Lukas S. Kindt

Der Westwald


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sehe dich«, sagte das Wesen erneut. Grünlich glühender Schleim strömte an den Lefzen herunter und platschte auf dem Fußboden, als es sich mit seinen dreizehn haarigen Insektenbeinen weiter in das Haus hineinlehnte. Der Gestank war zum Erbarmen. Es roch nach ranzigen Eiern und süßlicher Verwesung. »Ich habe mich aus meinem Grab unter der alten Eiche am Fluss erhoben«, fuhr es fort, »Und als meine Beine, nun vom hochehrwürdigen Gevatter vermehrt, sich langsam aus dem nassen Herbstschlamm und unter dicken Wurzeln hervorgruben, und als meine alten, müden Augen, nun so viel klarer geworden, die Sterne des Nachthimmels zum ersten Mal seit meinem Tod wieder hell brennen sahen, da sprach endlich der Sturm zu mir.«

      Der Hund lachte. Und ja, in der Tat, es ähnelte noch entfernt dem Bellen meines alten, verstorbenen Freundes, der mich durch die besten Jahre meines Lebens begleitet hatte, nur lag unter dem so vertraut hellen Bellen nun das tiefe Rauschen und gequälte Schreien von Tausend gemarterten Seelen. Der ganze Chor der Hölle sang aus diesem einen Mund. Entsetzt stolperte ich endlich zurück. Der Hund schlüpfte jedoch mit seinen Insektenbeinen nun vollends durch das Loch im Dach. Abgetragene Schindeln und Schutt fielen dabei lautstark auf den Boden herab. Er musste zudem im Tod gewachsen sein, denn als er sich im Haus aufrichtete, ragte seine Gestalt fast bis zum oberen Türstück. Die Insektenbeine bohrten sich in das Holz des Bodens und in die steinernen Wände. Erneut grinste das Wesen und erst da sah ich, dass es nicht mein Hund war, der sprach, sondern die Spinne dahinter verschlang langsam seinen Leib und während es biss und kaute, drangen diese grässlichen Geräusche aus seinem Maul hervor. Es sprach also:

      »Ja, nur deshalb bin ich wieder zurückgekehrt. Die Weisheit des Sturmes; sie drängt mich aus alter Erde wieder hervorzubrechen und aufs Neue meine Schnauze nach oben in luftige Himmel zu recken. Mein Herr und Meister! Erkennst du denn nicht? Ich bin nur zurückgekehrt, in dein nichtiges Reich, um dir zu berichten, was jenseits davon liegt. Also, bitte, oh bitte!… Freue dich! Und füttere mich!«

      Ich wusste nicht mehr, wie ich diesen grässlichen Chitin-Klauen entkommen war, wie ich es geschafft hatte, mich den wütenden Mandibeln, die wie bösartige Karikaturen von Gottes Schöpfung sich aus den Seiten der Lefzen gewaltsam aus Fleisch und Eiter herauswühlten, zu entreißen und wie es mir gelungen war, diesen widerlich langen mit drahtigen Haaren übersäten Spinnenbeinen auszuweichen. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann hier im Büro aufgewacht war. Ich lag nun unter meinem von Akten und Notizen wild übersäten Schreibtisch und meine weit aufgerissenen Augen starrten wild im Raum umher. Die schwere Mahagonitüre mit den zwölf Schlössern und Riegeln zum Gang war noch einen Spalt weit geöffnet, ich musste vergessen haben, sie bei meiner Flucht zu schließen. Und von dort kamen nun die vielen Geräusche her, die mein Innerstes mit purem Grauen und tiefer Hoffnungslosigkeit zersetzten. Ich hörte ein Beißen und Kauen, gefolgt von Splittern und Krachen. Ich stellte mir dabei vor, wie dieses unheilige Biest langsam meinen Fernseher auffraß. Und irgendwo dort hinter der Türe, hinter dieser undurchdringlichen Schwärze konnte ich es grässlich jammern und heulen hören:

      »Mein Herr und Meister, wieso versteckst du dich? Haben wir denn nicht immer zusammen gespielt und die sterbenden Herbstwälder erkundet. Haben wir denn nicht jedes Jahr frische Frühlingsluft gerochen und Kaninchen, die so lustig durch Bäume springen, gejagt? Und haben wir nicht immer zusammen die überquellende Stadt voller fremder Menschen, die so seltsam rochen, erkundet? Ich habe ja so viel Hunger, Herr und Meister, wieso fütterst du mich nicht mehr? Meine Schüssel war immer gedeckt, als ich gelebt habe, doch jetzt? Jetzt sehe ich, ist sie leer. Hasst du mich jetzt also? Nur weil ich jetzt eine andere Gestalt besitze? Ach, hab doch erbarmen Meister, bitte füttere mich! Nur noch ein letztes mal! Damit wir zusammen Frieden hinter der Grenze finden können, die die Welt des Leibes von der Welt des Sturmes trennt. Erbarme dich! Ich habe so viel Hunger!«

      Dann war schließlich für eine Weile Totenstille. Ich hörte unter meinem Versteck mit gespitzten Ohren auf das geringste und leiseste Geräusch, aber selbst das Rauschen des Fernsehers im Wohnzimmer war nun endgültig verstummt. Meine Augen richteten sich also wie festgezurrt auf den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Das schwache Licht des Bildschirmes reichte aber nicht aus, um die schwärende Dunkelheit dahinter zu erhellen und selbst die Einrichtung des Büros um mich herum selbst verschwand in einer trüben Suppe aus grauen Schlieren und dunklen Schatten. Kaum konnte ich noch den Aktenschrank zu meiner Linken und die kleine Edelholz-Kommode zu meiner Rechten ausmachen an der mein Blick aus irgendeinem Grund hängen blieb. Ich runzelte die Stirn. Das sperrige Teil gehörte noch zu dem wenigen, was aus meiner alten Wohnung in der Stadt stammte, deshalb hatte ihre Präsenz mich vorher eigentlich im Alltag immer gestört. Sie erinnerte mich nämlich ständig an mein altes Sklavenleben in der hektischen Großstadt, aber nun... aber nun hatte ihre vertraute Gestalt in dem geisterhaft flackernden Raum eine seltsam beruhigende Wirkung. Ja, sie gab meinem panisch rasenden Geist halt, wohl aus genau dem Grund, weil sie schon immer irgendwie dagewesen war. Sie war ein Anker, den ich verzweifelt auswarf in ein Leben vor dem Sturm, als alles noch Sinn gemacht hatte und keine Dämonen mich gejagt hatten.

      Meine Panik legte sich also tatsächlich ein bisschen und langsam kehrte so etwas wie angespannte Rationalität in meinen Verstand zurück. Ich konnte wieder klarer denken und war nicht mehr nur ein verzagtes Beutetier, dass sich vor seinem lauernden Räuber versteckte.

      Ich ging meine Lage nun durch, so verrückt und absurd sie auch sein mochte: Es war ein Jäger in mein Haus eingedrungen, der mich jagte und der mich mit der Stimme und der Gestalt meines alten Hundes zu locken versuchte, aber darauf durfte ich natürlich nicht hereinfallen. Doch wie konnte ich mich gegen dieses grausige Monster aus den tiefen Wäldern des nördlichen Landes wehren? Woher es auch immer gekommen war, es war mit dem halbverfaulten Leib des tief im Boden vergrabenen Hundes verschmolzen und hatte dessen Körper verdreht und verbogen, sodass es nun mehr wie ein Insekt, denn wie ein Hund aussah. Aber das hieß nicht, dass es unsterblich war. Ja, so redete ich mir vielleicht allzu optimistisch ein: Es gab nichts Unsterbliches auf dieser Welt! Also musste ich dieses Mistding irgendwie töten können. Und da fiel es mir endlich wie Schuppen von den Augen: Meine alte Schrotflinte! Ich bewahrte sie stets sicher in einer abgeschlossenen Glasvitrine im Schlafzimmer auf und mit ihr hatte ich schon auf vielen Jagden erfolgreich Wild geschossen! Wie hatte ich sie nur vergessen können? Die moderne Mercury-Schrotflinte mit dem schwarzen Doppellauf und dem breiten Holzschaft erschien mir dabei fast wie ein vom Himmel herabsteigender Engel in meiner von Angst gepeinigten Fantasie.

      Der Plan nahm also Gestalt an. Ich würde meine Flinte holen und erst dann versuchen zu fliehen. Ohne Waffen sich aus dem Haus davonzustehlen, wäre zwar schneller, aber falls dieses… Wesen meine Flucht irgendwann bemerken sollte, hätte ich keinerlei Verteidigung in den nachtschwarzen Wäldern mehr. Ohne sie ging es also nicht. Das war klar. Dazu brauchte ich außerdem unbedingt noch meine Hochleistungstaschenlampe gegen die Dunkelheit. Das Morgengrauen war nämlich noch weit im Osten entfernt. Dieses Wesen konnte dabei wahrscheinlich in der tiefsten Stockfinsternis sehen, ich aber nicht. Ich musste Licht haben, um den Weg zu meinem Jeep zu finden, der sich auf dem letzten Parkplatz an der alten Gebirgsstraße befand und den ich eigentlich nur noch hernahm, um alle zwei Wochen in die Stadt zu fahren.

      Ich dachte weiter: Der Weg zum Auto war am Tag und bei Helligkeit nicht weit, aber ich musste nun in der stockdunklen Nacht ein gutes Stück dichten Bergwaldes und einen normalerweise seichten Bach überqueren, der jedoch durch das vorherige Unwetter wahrscheinlich gerade reißend viel Wasser führte. Keine leichte Aufgabe. Trotzdem! Ich musste es einfach versuchen, denn ich würde hier sicherlich nicht sterben. Das schwor ich mir nun. Ich war meinem sicheren aber drögen Sklavendasein in der Großstadt nämlich nicht entflohen, nur um dann in diesen weit abgelegen Wäldern und Bergen zu sterben, die mir doch so sehr am Herzen lagen. Langsam richtete ich mich also von neuer Kraft durchdrungen unter dem Tisch auf und stierte zum Türspalt.

      Schweißperlen rannen zäh über meine gerunzelte Stirn. Meine Augen versuchten, diese schwärende Dunkelheit vor mir zu durchbohren. Die Ohren lauschten dabei auf jedes noch so leise Trappeln und subtile Knarzen, aber das einzige, was sie vernahmen, war das Summen des Computers auf dem Schreibtisch über mir. Hatte die Kreatur etwa das Haus verlassen, um leichtere Beute zu suchen? Nein! Ich schüttelte den Kopf. Dieses Wesen, was auch immer es tatsächlich nun sein mochte, war definitiv nur an mich interessiert und nur mich wollte es jagen. Es war also sehr viel wahrscheinlicher, dass es