Hermann Christen

Die Endzeitpropheten


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der vor zweihundertfünfzig Jahren die Erde überzog, den größten Teil der Menschheit dahinraffte und die technischen Errungenschaften zerstörte. Zurück blieben Ruinen, verpestete Luft und Elend. Und ein paar Millionen Menschen, die sich heute noch bei jeder Gelegenheit die Köpfe einschlugen. Wenigstens war das mittlerweile solides Handwerk und wurde nicht mehr ferngesteuert.

      Es war vorbei und diejenigen, welche das ganze Chaos in Gang setzten, waren genauso zu Staub zerfallen wie ihre Opfer. Die große Säuberung war nur noch eine flüchtige Erinnerung und Becker das bärtige Relikt davon, das irgendwie überdauert hatte.

      "Wilde Theorien", seufzte Steve und drehte den Umschlag in seinen Fingern.

      "Falsch. Nur weil du die Augen schließt, ist nicht alles in Ordnung. Ich sag's dir!", lachte Tino humorlos auf, "Ihr jungen Leute, du und deine Saufkollegen, merkt nicht einmal, dass ihr nur denkt und redet, was die Väter euch erlauben zu denken und zu reden. Aber echt jetzt!"

      Tino schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

      "Wer anders denkt, der bekommt sein Fett weg. Leute wie ich, die zu sagen wagen, was krumm läuft."

      "Die Kolonie funktioniert nur, wenn alle mitziehen. Du lässt dir einen kranken Zahn ja auch ziehen, bevor er dich völlig lahmlegt."

      "Du hast keine Ahnung", widersprach Tino heftig.

      "Deine Artikel werden nicht veröffentlicht, weil sie Unsinn sind und die Leute beunruhigen, obwohl es keinen Grund dafür gibt."

      "Quatsch. Die da oben haben nur Angst, dass ihre Schäfchen anfangen nachzudenken. Wer denkt, stellt Fragen. Das fürchten die Väter."

      Steve wandte sich ab. Tino hatte keine Ahnung, wusste nicht Bescheid über den Professor. Wusste nicht, dass er einer seltsamen Sekte, die sich die Katholiken nannte, angehörte und daran glaubte, dass ihr Religionsstifter, der Jesus mit der Magna Charta, die Fähigkeit gehabt haben soll, Wasser in Wein zu verwandeln und anschließend darüber zu gehen. Märchen! Bei der Schwerkraft auf der Erde war es unmöglich, über Wasser oder Wein zu gehen.

      Es war einfach so, dass Becker nie etwas über Telespeak tat. Steve vermutete, dass der Professor gar nicht wusste, wie Telespeak funktionierte.

      Er riss den Umschlag auf. Papier roch widerlich! Der hohle Abgesang von getöteten Pflanzen. Er zog einen gefalteten Zettel aus dem Umschlag.

      "Und?"

      Steve grinste und hielt Tino den Zettel hin. Er griff gierig danach. Papier hatte er weiß Gott wie lange schon nicht mehr gefühlt. Er blickte erwartungsvoll auf die Notiz. Seine Mundwinkel rutschten nach unten.

      "Er erwartet dich in der Uni. Ist das alles?"

      Er reichte den Zettel enttäuscht zurück.

      "Ja."

      "Und dafür treibt er einen solchen Aufwand? Der Kerl ist verrückt!"

      "Eben hast du ihn noch als cleveren, vorausschauenden Skeptiker, der sich nicht alles auf die Nase binden lässt, bezeichnet. Die Wahrheit ist, dass Becker unter Verfolgungswahn leidet. Er hat dauernd das Gefühl, dass er einer großen Sache auf Spur ist, die ihn zum Ziel für Spionage und Abhöraktionen mache."

      "Genau meine Rede. Sag ich doch…"

      "Er ist ein Spinner! Wenn es um verrückte Verschwörungstheorien geht, stellt er dich problemlos in den Schatten."

      Steve tippte auf den Zettel.

      "Und Becker schreibt noch, dass ich vorsichtig sein und mich vergewissern soll, dass ich nicht beschattet werde."

      "Wer sollte das tun? Dafür gibt's doch die Implantate"

      "Eben!"

      "Vielleicht hast du Recht", meinte Tino schulterzuckend und schnappte den nächsten Keks.

      Hirsch

      Kommandant Hirsch blickte hoch, als die wachhabende Kadettin Blanc an den Rahmen der offenen Tür klopfte und saltutierte.

      "Ja, Kadett?"

      Die junge, sportliche Frau räusperte sich.

      "Objekt 5288. Sir. Es ist aktiv."

      Hirsch gefiel die Ernsthaftigkeit, wie sie ihren Auftrag wahrnahm. Sie verkörperte das gesunde Material, aus dem sich das Überwachungskommando ÜKo bediente. Sie hatte das Zeug für das Elitetraining und dafür, sich für höhere Aufgaben zu qualifizieren. Es zeichnete sie aus, dass sie auch geisttötende und langweilige Aufgaben, wie einen Praktikumseinsatz, mit ernstem Eifer erledigte. Und darüber hinaus konnte sich mit ihr jeder Mann auf jeder beliebigen Party sehen lassen.

      "Objekt 5288?"

      "Ein Uniprofessor. Becker. Unterrichtet Prä-Hi…"

      "Prä-Historik. Katholik. Ich erinnere mich."

      Blanc bewunderte ihren Kommandanten. Es hieß, dass er für den Rat der Väter im Gespräch sei.

      Hirsch runzelte die Stirn. Die Meldung schreckte verdrängte Erinnerungen aus dem Tiefschlaf auf. Die Katholische Kirche…

      "Käptn!"

      "Sir!" Käptn Hirsch salutierte.

      Major Grands Blick schweifte verärgert zwischen dem jungen Offizier und den Bildschirm.

      "Was soll das?"

      "Sir?"

      "Pfeifen sie ihr Einsatzkommando zurück."

      "Sie meinen die Aktion gegen die Katholiken?"

      "Ja. Was sonst."

      "Sir. Es liegen Informationen vor, dass die Anführer nicht zugelassene Dokumente in ihrer Gemeinde besprechen."

      Grand winkte ab.

      "Sie steigern sich da in etwas hinein. Die sind harmlos."

      "Sir, ich muss widersprechen. Die Agenten, die sie überwachen, berichten von mehreren Vorfällen, in denen staatszersetzendes Gedankengut öffentlich beraten wurde."

      "Öffentlich…", bellte der Kommandant gereizt, "die Versammlungen dieser Handvoll friedlicher Leute nennen sie öffentlich. Für sie sind wohl auch Familienfeste öffentliche Veranstaltungen, Käptn."

      "Nein, Sir."

      Grand stand auf, strich sich das Haar glatt und sprach ruhiger weiter: "Käptn Hirsch, diese Aktion könnte falsch verstanden werden."

      "Wir tun unsere Pflicht, Sir."

      "Was sind das für Beweise", brüllte der Major unvermittelt, "von Agenten der untersten Vertrauensstufe…"

      "Sie stellten mir keine anderen zur Verfügung, Sir", unterbrach Hirsch seinen Vorgesetzten kalt, "und wie sie wissen, unterstehen die Katholiken nicht der Implantationspflicht, die nach dem Technikeraufstand eingeführt wurde."

      Hirsch machte eine Pause und blickte Major Grand direkt in die Augen: "Ich frage mich, wieso?"

      Grand blitzte ihn zornig an: "Was weiß ich. Aber was ich weiß ist, dass sie dabei sind, Mist zu bauen. Wo war ihr Verstand, als sie diese Agenten beauftragten? Der eine säuft, der andere steht in Verdacht, gegen Gesetze zu verstoßen. Ich bin enttäuscht, Käptn, dass sie diesen Berichten blind vertrauen."

      "Sir, die Aktion ist notwendig. Erinnern sie sich an den Technikeraufstand. Da haben wir zu spät gehandelt."

      "Das können sie doch nicht vergleichen. Die Techniker glaubten, dass sie mehr Rechte als der Durchschnittskolonist haben. Sie zettelten einen Aufstand an und besetzten Kuppel 10, um ihre Forderungen durchzudrücken. Wo ist da die Verbindung zu den Katholiken?"

      "Ich halte die Katholiken für genauso gefährlich", insistierte Hirsch, "haben sie sich ihre Lehre schon angesehen, Sir?"

      "Ja, sie singen und beten und versuchen gut zu sein."

      Hirsch lachte schmerzlich auf: "Sir, in der Altzeit kaschierten alle