Hermann Christen

Die Endzeitpropheten


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Kunden interessiert zu sein: Wohlstand für alle, Frieden für alle, Gerechtigkeit etc. etc."

      Er grinste gequält: "Wie wir heute wissen, ergab sich daraus eine äußerst explosive Konstellation."

      "Sie sehen zu schwarz", winkte Grand harsch ab, "die Katholiken sind seit langer Zeit Teil unserer Gesellschaft und sind nie aufgefallen. Ihre, wie sagten sie, Irrlehre, ist im schlimmsten Fall lächerlich."

      "Nein", widersprach Hirsch überzeugt, "Eingleisige Denkweisen machen aus Mitmenschen Feinde. Ideologien ernähren sich von Menschen. Sir, bei allem Respekt, sie unterschätzen die Brisanz."

      Grand schluckte seinen Ärger hinunter. Er wusste, dass Hirsch einer der kommenden Leute war. Doch da war dieser Befehl von oben. Er wechselte die Taktik.

      "Käptn, sie überreagieren."

      "Sir, wie sie konnte ich in der höheren Offiziersschule die wahre Geschichte der Altzeit studieren."

      "Mensch, Hirsch, das alles ist längst überwunden. Die Fehler von damals sind ausgemerzt."

      "Nein, Sir, das sehe ich anders. Die Katholiken sind in der Altzeit stehen geblieben. Sie haben nichts dazu gelernt, Sir."

      "Mag sein, aber sie stören nicht. Haben sie Kenntnis über einen Vorfall, in den die Katholiken verwickelt waren? Musste die ÜKo je eingreifen?"

      "Sir, dass sie still halten macht sie zusätzlich verdächtig. Ihre Lehre steht in Konkurrenz zum Regime."

      "Gerede. Nichts als Gerede."

      "Sir, es geschieht nichts, nur weil man etwas sagt. Aber es geschieht etwas, wenn man es immer wiederholt."

      Grand winkte gereizt ab: "Sie zitieren Cato? Was Besseres fällt ihnen dazu nicht ein?"

      "Sir, aus den Berichten geht klar hervor, dass sie die Macht der Väter nur dulden. Sie huldigen ihrem Gott, von dem sie sich allerhand versprechen."

      Grand scrollte durch die Akten und ging nicht auf Hirschs Vorwürfe ein.

      "Sir, vor zehn Jahren bei den Technikern haben wir zu lange zugewartet. Ein Präventivschlag wird uns viel Ärger ersparen."

      Grand erkannte, dass er den Käptn nicht überzeugen konnte.

      "Ich befahl", brüllte er unvermittelt los, "dass diese Aktion gestoppt wird."

      "Es ist falsch", beharrte Hirsch und fügte nach einer Sekunde zynisch: "Sir." an.

      "Was erlauben sie sich! Sie provozieren aus einer Laune heraus einen Aufstand! Das Vorgehen der ÜKo beim Technikeraufstand war sehr hart und viele meinen immer noch, dass wir zu hart vorgegangen sind. Damals verloren wir viel Wissen."

      "Sir, damals waren wir nicht zu hart, sondern zu spät. Hätten wir rechtzeitig reagiert und die die führenden Köpfe eliminiert, wäre es nicht so weit gekommen. Ohne Kopf beißt die Schlange nicht, Sir."

      "Sie rufen ihre Leute zurück. Jetzt. Unverzüglich!"

      "Sir!"

      "Ich wiederhole mich nicht mehr."

      Hirsch stellte die Aktion ein. Er vermutete, dass Grand nicht von sich aus handelte, sondern Befehle befolgte. Egal, wer oder was dahintersteckte, für ihn war es nur ein weiterer Grund, die Kirche als Feind einzustufen, den man nicht aus den Augen lassen durfte. Er vertiefte sich in ihre Lehre, studierte ihre Geschichte. Er kannte die längst verstorbenen Gestalten, die von ihr verehrt wurden.

      Er traute den Betbrüdern nicht, die sich auf ihren Propheten Kevin, einem abgehalfterten Junkie, ein Kolonist, der rund hundert Jahre nach der Großen Säuberung auftauchte und die Gemeinden in der Kolonie und auf der Erde zusammenschweißte, beriefen. Kevin verkündete damals, dass jeder Einzelne für seinen Weg zu Gott verantwortlich sei. Das widersprach der bewährten Doktrin der Kolonie: das Glück der Gemeinschaft wird zum Glück des Einzelnen.

      Er war überzeugt, dass der dogmatische Unsinn der Kirche nur ein Deckmantel war, um die wahren Absichten zu verschleiern. Die Worte der Botschaft, die von Güte und Nächstenliebe flöteten, waren nur der Schafspelz, den sich der Wolf überzieht, bevor er unter den Lämmern ein Blutbad anrichtet.

      Die Katholiken waren der schleimige Auswurf, den die Große Säuberung ausgewürgt hatte. Sie waren die Fanatiker, welche zurückgekehrt waren und sich auf die Altzeit beriefen. Die Kirchenführer rührten damals kräftig in der giftigen Suppe aus konkurrierenden, inkompatiblen Weltanschauungen mit. Übles Gesindel, das nicht davor zurückschreckte, den Planeten ins Unglück zu stürzen.

      Hirsch schwor, der Bande das Handwerk zu legen. In seinen höheren Funktionen setzte er sämtliche Mittel ein, die ihm zur Verfügung standen. Doch weder Razzien, noch Recherchen förderten Beweise zu Tage, die ein rigoroses Eingreifen gerechtfertigt hätte. Wie der regennasse Wurm wand sich die Kirche immer und immer wieder heraus. Es war wie Schattenboxen, ein Kampf gegen einen hinterhältigen Feind.

      Die treibende Kraft der Kirche war der Papst, der auf der Erde residierte. Ein undurchsichtiger Kolonist, Sohn eines Prospektoren und einer Ärztin, auf der Erde geboren und aufgewachsen. Ein Mann, der sich die meiste Zeit seines Lebens unter dem Radar der ÜKo bewegte. Ein Mann, der auf Hirschs Befehl hin unter steter Beobachtung stand.

      Hirsch wurde Kommandant der ÜKo. Neue Aufgaben nahmen ihn in Beschlag. Sein zähes Ringen gegen die Kirche musste in den Hintergrund treten.

      Kadett Blanc räusperte sich.

      "Was für Aktivitäten", hakte Hirsch scharf nach.

      Blanc zuckte zusammen.

      "Er sandte eine Drohne zu seinem Assistenten", sie blickte kurz auf ihr Tablet, "Steve Globe. Handschriftliche Mitteilung. Globe wird darin aufgefordert, unverzüglich in der Universität zu erscheinen und vorsichtig zu sein, Sir. Es scheint mir angezeigt, eine Akte Globe anzulegen. Zumal Tino Campos der Zeitpartner seiner Mutter ist. Campos wird in unseren Akten geführt, weil er in den 'freien Foren' durch reaktionäre Artikel mit haltlosem, staatsgefährdenden Inhalt auf sich aufmerksam macht."

      Sie arbeitet gründlich und sauber, dachte Hirsch zufrieden.

      "Nein. Sonst noch was?"

      "Nur, dass wir keinen überwachungstechnischen Zugriff auf die Räume des Professors in der Universität haben. Keine Elektronik, die wir anzapfen könnten."

      Blanc stockte: "Sir?"

      Hirsch sah Blanc auffordernd an.

      "Sir, warum werden die Räume von Objekt 5288 nicht elektronisch überwacht. Wie es scheint, werden alle Katholiken in ihren persönlichen Räumen nicht überwacht. Ich frage mich, weshalb?"

      Hirsch zögerte einen Augenblick: "Kadett, diese Leute haben uralte Privilegien."

      "Warum Sir?"

      "Das wäre alles, Kadett."

      Blanc verstand, salutierte und machte auf dem Absatz kehrt.

      Hirsch kratzte sich am Kinn. Die Haut fühlte sich schlaff und weich an. Das Alter forderte seinen Tribut. Die Fitness, die er sich während seiner Aktivzeit in der Eliteeinheit auf der Erde antrainiert hatte, zerfiel in der schwachen Anziehungskraft des Mondes. Da half weder asketische Lebensweise noch regelmäßiges Training im Schwerkraftraum. Die Lende setzte Fett an und der Bauch verlangte nach einer größeren Uniform.

      Es war nicht das Alter, das ihn beschäftigte, sondern die Trägheit, die es mit sich brachte. Er bedauerte, dass sein ermüdender Körper für harte Aktiveinsätze bald nicht mehr taugte. Eine Veränderung, die er als Herabstufung empfand. Er verabscheute die Degradierung vom aktiven Macher zum bleistiftdrehenden Verwalter, der feige aus dem Schutzbunker herausoperierte.

      "Mens sano in corpore sano", dachte er verbittert.

      Er rief die Unterlagen von Objekt 5288 auf den Schirm. Becker: Universitätsprofessor für Prä-Historik, Mitglied der katholischen Sekte. Becker war einer ihrer Hohen Priester, Kardinal. An der lunaren Uni hatte er Historik und Philosophie studiert. Hirsch wunderte sich über diese Studienrichtungen, denn die Lehrinhalte