Jay Baldwyn

Insonnia


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wieder die Schule wechseln müssten … Na, so weit ist ja zum Glück noch nicht.<<

      Für Velia war die traumatische Erfahrung in den Duschräumen nicht ohne Folgen geblieben. Sie war noch in sich gekehrter und reagierte panisch, wenn ihr jemand zu nahe kam. Klaudia – der „General“ - hatte für solcherlei Mätzchen kein Verständnis.

      >>Also, stehst du jetzt freiwillig auf, oder müssen wir dich herausheben?<<

      Velia zeigte keine Reaktion. Allein die Tatsache, dass Amadeo Klaudia begleitete, ließ sie in eine Art Schockstarre verfallen. Erst als die Krankenschwester und der Pfleger sie packten, schlug sie wild um sich.

      >>So, mein Fräulein, das reicht jetzt. Dann bleibst du eben in deinem ungemachten Bett liegen. Wir haben keine Zeit für deinen Starrsinn. Und damit du das nicht vergisst, wirst du für die nächsten drei Tage festgebunden.<<

      Mit geübten Handgriffen banden die Schwester und der Pfleger Velia unter Zuhilfenahme von Lederriemen mit Händen und Füßen an das Bettgestell.

      >>Und damit du nicht unter dich machst, kriegst du in der Zeit auch nichts zu essen. Wir wollen doch mal sehen, wer hier der Stärkere ist.<< Klaudias Ton ließ keinen Widerspruch zu. >>Und sollte sich eine von euch wagen, die Signorina loszubinden, geschieht ihr das Gleiche. Ist das klar?<<

      Ein unterdrücktes Gemurmel war die Antwort.

      >>Aber sie muss doch etwas trinken und dementsprechend auch mal Pipi machen<<, wagte nur eine ältere Frau zu bemerken.

      >>Dann kannst du ihr ja die Bettpfanne unterschieben, falls du dich für sie verantwortlich fühlst. Das Gleiche gilt auch für Wasser oder Tee zum Trinken.<<

      In der Nacht erhielt Velia Besuch von Gianna, die den Zeigefinger an den Mund legte, als Zeichen, ruhig zu bleiben.

      >>Was haben sie denn mit dir gemacht, mein Armes? Komm, ich mache dir erst einmal die Hände los<<, flüsterte Gianna.

      >>Ich wollte mich nicht anfassen lassen<<, flüsterte Velia zurück. >>Schon gar nicht von diesem Schwein Aleandro Er und Bosco haben in der Dusche mit mir unzüchtige Dinge gemacht.<<

      >>Ich weiß, das ist ihre Spezialität. Das Schlimme ist nur, dass dir niemand glauben wird. Wenn du einem Dottore oder gar dem Anstaltsleiter davon erzählst, wird man dich als Lügnerin hinstellen. Das macht alles nur noch schlimmer. Soll ich dir etwas zu trinken geben?<<

      >>Danke, das hat schon Paolina aus dem Bett drüben am Fenster getan. Sie stellt mir auch die Bettpfanne unter, wenn ich mal muss.<<

      >>Na, siehst du. Außer mir gibt es noch andere, die sich um dich kümmern.<<

      >>Ja, und jetzt bind mich lieber wieder an, damit wir nicht beide noch Ärger kriegen.<<

      >>Mir macht das nichts aus, aber ich will dich natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich komme dann morgen wieder nach dir sehen.<<

      >>Das brauchst du nicht. Wir sehen uns lieber wieder im Park, wenn das hier vorbei ist.<<

      >>Va bene, ganz wie du meinst. Dann sei stark und beim nächsten Mal etwas vorsichtiger.<<

      Gianna warf Velia noch eine Kusshand zu und verließ dann das Zimmer.

      >>Bis bald!<<, rief ihr Velia leise hinterher.

      Philomene und Giulietta, die beiden Frauen, die Velia auf der Bank im Park gesehen hatten, lagen auf der anderen Zimmerseite in nebeneinander stehenden Betten und sahen sich verschlafen an. Giulietta verzog das Gesicht.

      >>Unsere principessa führt schon wieder Selbstgespräche<<, sagte sie.

      >>Ja, wenn es eine verdient hat, hier zu sein, dann ist sie es<<, meinte Philomene und drehte sich grummelnd auf die andere Seite.

      Kiara Martinelli hörte mitten in der Nacht entfernte Gesänge. Es hörte sich an, wie man es von Nonnenchören kannte. Delano schlief tief und fest. Und daran konnte keiner oder irgendetwas so schnell etwas ändern. Kiara lauschte verzückt den lieblichen Tönen und beschloss dann, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie zog ihren Morgenmantel über und schlüpfte in ihre Pantoletten. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass die Kinder schlafend in ihren Betten lagen, ging sie nach unten in die Diele, nahm einen kleinen Schlüssel vom Bord, verließ das Haus und lief auf die kleine Kapelle zu.

      Je näher sie dem bescheidenen Gotteshaus kam, desto deutlicher hörte sie die Choräle. Als sie jedoch das Vorhängeschloss öffnete und durch die große alte Tür den Raum betrat, erstarb der Gesang auf der Stelle.

      >>Was machst du denn hier, mitten in der Nacht?<<, fragte Delano, der plötzlich neben ihr stand. Als er wach geworden war, hatte er gesehen, dass Kiara nicht neben ihm lag. Und nachdem er eine Weile gewartet und in den Kinderzimmern nachgesehen hatte, war ihm plötzlich ein Verdacht gekommen. Der fehlende Schlüssel am Brett hatte diesen erhärtet.

      >>Wie? Ach, ich meinte liebliche Töne gehört zu haben. Engelsgleiche Gesänge.<<

      >>So ein Unsinn. Wer würde sich schon nachts in die Rumpelbude stellen und singen?<<

      >>Vielleicht jemand, der nicht von dieser Welt ist. Es hörte sich wie ein Chor von Nonnen an.<<

      >>Ja natürlich. Jetzt komm bitte wieder ins Bett.<<

      >>Warte mal! Kannst du nicht veranlassen, die Kapelle wieder in den Urzustand zu versetzen?<<

      >>Weißt du, was das kosten würde? Auch gibt es meines Wissens keine Unterlagen, nach denen man sich richten könnte.<<

      >>Es muss ja nicht gleich eine Kopie der Sixtinischen Kapelle werden. Etwas Schlichtes, Stilechtes würde doch reichen.<<

      >>Na, Gott sei Dank. Michelangelo Buonarotti steht nämlich nicht mehr zur Verfügung.<<

      >>Spotte du nur. Ich meine es ernst.<<

      >>Dazu müsste man zuerst einmal das Gerümpel abtransportieren lassen. Wer weiß, was sich im Laufe der Jahrzehnte alles angesammelt hat.<<

      >>Das lässt sich leicht feststellen. Drei oder vier alte Kirchenbänke habe ich schon entdeckt. Und ein uraltes Gemälde, das da hinten verstaubt, könnte man über den einfachen Altar hängen. Es ist sicherlich kein Michelangelo, aber eine recht gute Kopie, wenn ich das richtig einschätze.<<

      >>Du meinst es wirklich ernst, nicht? Bisher hat sich deine Religiosität doch eher in Grenzen gehalten.<<

      >>Ich will dort auch nicht beten. Oder vielleicht doch? Auf jeden Fall ist es eine Schande, das alte Gemäuer so verkommen zu lassen. Glaubst du, es hat mal zum Kloster gehört?<<

      >>Du meinst, die spätere Irrenanstalt? Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Dazu liegt es nicht nah genug beieinander. Ich denke eher, eine frömmelnde Signora wollte ihre ganz private Kapelle haben. Deshalb wird es hier auch mit Sicherheit keine Nonnen gegeben haben. Ich bin ja schon froh, dass du keine Orgel gehört hast. Dafür ist das Gemäuer nämlich eindeutig zu klein.<<

      >>Du bist blöd. Also, erfüllst du mir den Wunsch, oder nicht?<<

      >>Bis morgen früh kannst du aber noch abwarten, ja? Entrümpelungsunternehmen machen keine Nachtschichten, soviel ich weiß.<<

      Kiara zeigte ihrem Mann einen Vogel und ging dann ins Haus zurück.

      Die Firma kam dann zwei Tage später. Kiara überwachte jeden Handgriff, damit nicht etwas verloren ging, das sich lohnte, behalten zu werden. Und sie erlebte eine Überraschung nach der anderen. Zwischen Kisten voll Unrat und hinter brüchigen Zimmertüren und halbverfaulten Dielen kamen zwei wunderschöne, alte Kerzenleuchter, ein weiteres verstaubtes Gemälde und ein nur leicht beschädigtes buntes Kirchenfenster mit Bleiverglasung zum Vorschein. Kiara war überglücklich und sah die restaurierte