Werner Karl

Königin der Spiegelkrieger


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des Raumes.

      Arianrhod erstickte ihren Aufschrei mit der eigenen Faust, die sie sich vor den Mund hielt, als sie sah, wie die Seile in die Haut ihres Geliebten schnitten.

      Mit keuchendem Atem traten endlich die Männer und die Frau zurück und blickten zu Sétanta. Der hatte derweil in seinen Sachen gekramt und allerlei Kräuter und undefinierbare Gegenstände auf einen Tisch gelegt und schnippelte daran herum. Mit scheinbarer Hast und fliegenden Händen produzierte er einen hellen Brei, den er in einer Schale mit ein wenig Met verdünnte und dann mit einem Löffel an den Gefesselten herantrat.

      Doch Túan presste die Lippen zusammen und rollte mit den Augen, dass nur noch das Weiß zu sehen war.

      Auf einen Wink Sétantas packten zwei Mann den Kopf des Kranken und pressten die Kiefer auseinander. Der alte Druide fackelte nicht lange und schob Löffel um Löffel zwischen die Lippen Túans. Nach jeder zweiten Portion hielten sie dem immer wilder sich aufbäumenden Mann die Nase zu und zwangen ihn so, den dünnen Brei zu schlucken. Nach dem zehnten Löffel beendete Sétanta scheinbar befriedigt die Quälerei und trat an den Tisch zurück.

      »Es wird ein wenig dauern«, sagte er. »… wenn es wirkt«, und er schaffte es, gespielte Hoffnung und Zweifel am Erfolg seiner Medizin in diese Worte zu legen.

      Wie zur Bestätigung röchelte Túan und im Licht der hastig entzündeten Fackeln und des ohnehin vorhandenen Feuers in der Raummitte sahen alle, was nun mit Túan geschah.

      Swidger bemerkte es zuerst, dann Arianrhod, danach die Krieger und die wenigen, die durch den geöffneten Eingang hereinblicken konnten. Sétanta sah es als Letzter, denn er hatte sich abgedreht um seine Utensilien wegzulegen, aber schon vorher gewusst, was nun folgen musste.

      Der Gefesselte dampfte!

      Die Feuchtigkeit aus Schweiß und Regen verließ seinen Körper und schwebte wie eine dünne Hülle über dem sich windenden Mann. Ein Gestank erfüllte den Raum, in dem nur der Schweiß ein bekannter Geruch war. Alle - bis auf Sétanta - schoben dies auf die verabreichte Medizin und blickten gespannt auf die einfache Liege.

      Aber der Mann darauf schlug seinen Kopf hin und her und seine Hände öffneten und verkrampften sich in Sekundenschnelle. Er schrie wieder und es war ein Mischmasch aus Cruithin, Germanisch, Latein und unbekannten Sprachen. Als er begann, sich in die Lippen zu beißen, steckte ihm Sétanta rasch ein Lederbündel zwischen die Zähne, doch fast augenblicklich spuckte Túan es wieder aus.

      Niemand wagte es, es aufzunehmen und ihm erneut in den Mund zu stopfen. Die Folge war, dass Túan sich die Lippen blutig biss und seine heftigen Worte rote Spritzer nach allen Seiten schleuderten.

      Arianrhod liefen die Tränen in Strömen aus den Augen und Swidger fasste sie an den Schultern.

      Doch als sie glaubten, diese Qual nicht mehr mit ansehen zu können, begann die nächste Stufe in Sétantas bösartigem Wirken.

      Über Túans Körper züngelten dünne Lichtblitze in einer grässlichen Färbung. Wie bei der Erweckung der Spiegelkrieger, zuckten grüne Flammenzungen wie giftige Schlangen über seinen Leib, und fügten ihm offensichtlich noch mehr Schmerzen zu. Heller und heller wurden die Blitze und genauso heller wurden seine Schmerzensschreie. Bis weit nach draußen schallten seine schrecklichen Rufe und Arianrhod wäre zusammengebrochen, hätte Swidger sie nicht mit verkniffenem Ausdruck im Gesicht gestützt.

      Als wäre dies noch nicht genug, veränderte sich die bleiche Haut Túans und nahm zunächst ein blasses Grün an. Innerhalb von Augenblicken wurde sie immer dunkler und bildete schließlich grünbraune, faulig wirkende Schwären aus. Als diese nach einer kurzen Phase blendend hellen Schimmers wie gelber Eiter aufplatzten und ekligen Gestank ausströmten, hielt es Arianrhod nicht mehr aus.

      »Sétanta!«, schrie sie und erntete nur betrübtes Kopfschütteln.

      Sie floh tränenüberströmt aus der Hütte und rannte durch die bestürzte und geschockte Menge, die immer noch im anhaltenden Regen ausharrte und ununterbrochen die Schreie wie körperliche Schläge hinnahm.

      Swidger lief ihr hinterher, ein Riese von Mann, niedergebeugt von seiner Hilflosigkeit.

      Drinnen jedoch war von dem Mann, der einmal Túan mac Ruith gewesen war, nur ein zuckender brauner Albtraum übrig, der es immer noch schaffte, zwischen zerbissenen Lippen- und Zungenfetzen unartikulierte Laute auszustoßen, die kälter waren als das kälteste Eis auf den höchsten Gipfeln des Gebirges.

      An den Wänden, auf der Liege und rings um diese, war alles mit rotem Blut und braunem Auswurf besudelt. Ein Krieger nach dem anderen verließ die Hütte und auch Sétanta wich - scheinbar verzweifelt und widerstrebend - als Letzter zurück.

      Er wusste, was nun kam.

      Der letzte Akt des Dramas.

      Der alte Druide hatte kaum die Schwelle zu seiner Hütte erreicht und war von Bran mit einem drohenden Knurren begrüßt worden, als sich die züngelnden Blitze in echte Flammen verwandelten. Anstelle von Gold und Rot brannten sie in allen Schattierungen von Grün über Túans Körper. Im Nu war seine verdreckte Kutte ein schwelender Fetzen, sein Geschrei erreichte markerschütternde Höhen und der Gestank der Geschwüre mischte sich mit dem von brennendem Menschenfleisch.

      Mit nur wenig gespieltem Entsetzen wich Sétanta vollständig ins Freie und befahl mit wischenden Bewegungen der Menge Platz zu schaffen.

      Hinter ihm erklang das langgezogene Heulen Brans und Sétanta unterdrückte seine Befriedigung, dass das Tier so anhänglich war.

      Das erspart mir, den Köter zu töten. Soll er doch mit Túan verbrennen!

      Zu Túans grässlichem Gebrüll und Brans immer schrecklicher werdendem Gejaule fügte sich nun das Knistern und Prasseln des Feuers hinzu und viele der ringsum stehenden Krieger griffen nach Eimern mit Regenwasser. Andere warfen mit blanken Händen Matsch und kalten Lehm in die heftigen Flammen, doch nichts konnte dieses unheilige Feuer löschen.

      Und immer noch drangen Túans Schreie zu ihnen.

      Erst als aus allen Ritzen der Stämme, welche die Hüttenwände bildeten, Rauch und Flammen loderten, erstarb seine Stimme.

      Die ganze Hütte brannte lichterloh und die seltsamen Farben der Flammen zeigten allen, dass dies kein Feuer von Menschenhand war, sondern ein bösartiger Brand dunkler Mächte. Selbst der immer noch fallende Regen hatte keine Chance gegen dieses Feuer.

      Auch wenn es Sétanta so nicht erwartet hatte, verschaffte ihm doch die Ungewöhnlichkeit dieses Feuers ein Alibi. Niemand würde je auf den Gedanken kommen, dass er durch die Manipulation des Trankes die Schuld am Tod Túan mac Ruiths trug.

      In gespielter Trauer blieb er solange stehen, bis seine Hütte - und der Mann und das Tier darin - vollständig niedergebrannt waren. Nur wenige leisteten ihm dabei Gesellschaft. Als schließlich nur noch ein schwelender Haufen dem Regen die Stirn bot, wandte er sich endlich ab.

      Niemand sah den grausamen Zug um seinen Mund und das verhaltene Grinsen, als er seine Kapuze über den Kopf zog und sich davon machte.

      Kapitel VI

       A. D. 183, Juni

       Ein seltsames Land

      Sidonius Gavius stand mit steinerner Miene auf dem Achterdeck der römischen Trireme. Es wehte ein mäßiger Wind und die Schläge der Ruderreihen platschten mit schon fast stoischer Gelassenheit in das bleigraue Wasser. Er blickte zu dem Trommler hinüber und sah, dass der Symphonieacus die Augen geschlossen hatte. Natürlich schlief dieser nicht, denn seine Trommelschläge kamen mit einer Präzision, die jahrelange Übung verrieten. Sidonius blickte mit seiner sprichwörtlichen Griesgrämigkeit auf das verhaltene Wellenspiel der skotischen See und zählte zum hundertsten Male an diesem Tag die Zahl der Jahre bis zu seiner Honesta Missio. Und genau wie die 99 Zählungen zuvor kam er auf eine Zahl, die ihm gar nicht schmeckte. Wären seine Mundwinkel nicht schon verkniffen und sein faltiges, aber ausdrucksstarkes Gesicht nicht ebenfalls