Werner Karl

Königin der Spiegelkrieger


Скачать книгу

absolviert hatte und finsterer dreinblickte wie selten zuvor.

      Als Ulpius Marcellus zu Lächeln begann, war Sidonius verblüfft und für einige Männer der zahlreichen Wachen und Seeleute, die sie umgaben, waren allein die beiden unterschiedlichen Gesichter mehr als einen Blick wert. Manche unterbrachen sogar ihre Arbeit und mussten von ihren Vorgesetzten ermahnt werden.

      »Warum lachst du, Herr?« fragte Sidonius verblüfft und blickte zwischen den Rüstungen und Ulpius hin und her.

      »Ich gebe dir recht, mein Freund«, sagte er und hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass der Mann vor ihm ähnlich, nein, genauso dachte wie er selbst. »Ich traue den Skoten ebenfalls nicht. Und auch Magnus Lucius benutzte die Skoten nur für die Drecksarbeit. Er nannte sie sein Skotenpack und du hast gerade denselben Begriff verwendet. Schlussendlich hat es ihn nicht davor bewahrt, mit einem Pictenschwert im Leib sein Leben auszuhauchen.« Ulpius machte eine umfassende Geste, die das ganze Treiben am Strand mit einbezog. »Weißt du, warum ich diesen Provianthandel überhaupt veranlasst habe? Wir hätten gut auch ohne diese Vorräte an der Westküste Britanniens landen können.«

      Jetzt war Sidonius Gavius wirklich verblüfft und Ulpius musste erneut lächeln, da er selten Gelegenheit bekam, von Sidonius einen anderen als grimmigen Ausdruck zu erhaschen.

      »Ich bin nicht dumm, Herr«, antwortete Sidonius und straffte seinen Oberkörper, als wollte er den Statthalter noch mehr überragen, als er es ohnehin schon tat. »Es gehört zu meinen Aufgaben, den Bedarf einer Expedition zu planen und Sorge dafür zu tragen, dass auch ein angemessener Teil als Sicherheit vorhanden ist. Ich dachte, du hast - ohne jemanden einzuweihen - das Ziel und die Aufgabe dieses Feldzuges ein wenig … sagen wir … erweitert und dafür zusätzliche Vorräte vorgesehen.«

      Wieder nickte Ulpius Marcellus zustimmend. »Du hast recht und wieder nicht ganz. Es ist wahr, dass ich mehr vorhabe, als die Picten im Rücken zu packen. Aber mir dient dieser kleine Aufenthalt auch dazu, mir den eigenen Rücken frei zu halten. Ich kann es nicht leiden, einen Feind anzugreifen und nicht sicher zu wissen, ob mein eigener Rücken unbedroht ist. Wenigstens für die Dauer dieses Feldzuges. Was danach kommt …«

      Sidonius Gavius ließ sich dazu herab, schon wieder eine neue Regung zu zeigen: Befriedigung. »Dann soll es mir recht sein, Herr, wenn dieses Skotenpack eine Handvoll Rüstungen erhält. Wenn es sie glauben lässt, das Rom sie in Ruhe lässt, werden sie vielleicht solange stillhalten, bis wir Britannien vollständig ins Reich eingegliedert haben und uns dann um … neue Aufgaben kümmern können.«

      Beide verfielen in Schweigen und sahen zu, wie die letzten Männer an Bord gingen und sich für die Nacht bereit machten.

      Längst waren viele Feuer entzündet und viele Rinder geschlachtet worden. Der Duft von brutzelndem Fleisch zog über den Strand. Heute würde es keine unzufriedenen Äußerungen geben. Die Aussicht auf ein üppiges Mahl, eine friedliche Nacht und einen Plan, der den Gegner überraschen sollte, hob die Stimmung der Legionäre.

      Weit entfernt vom Liegeplatz der Flotte stieg ein Skote auf einen kleineren Berg. Sein Blick fiel auf die 75 Triremen der Römer. Stumm rechnete er nach. Jede römische Galeere trug 90 Legionäre und 170 Mann Besatzung. Das bedeutete mindestens 6.750 Soldaten, dazu mehr als 12.700 Seeleute.

      Er schritt um eine steile Bergspitze herum und vergewisserte sich, dass niemand vom Strand zu seiner Position Einsicht hatte. Dann entfachte er ein kleines Feuer. Er nahm seinen Schild und hielt ihn abwechselnd vor das Feuer und nahm ihn wieder weg. Die Abstände variierten mehrmals. Dazwischen machte er eine mehr als deutliche Pause. Drei Mal wiederholte er die Prozedur. Als in der Ferne von einem kleinen Boot ein kurzes Signal zurückkam, löschte er sorgfältig das Feuer und machte sich auf den Heimweg.

      Kapitel VII

       A. D. 183, Juni

       Sehnsucht - Eifersucht – Selbstsucht

      Inga und Arianrhod saßen schweigend im innersten Raum der Befestigung, die so etwas wie einen provisorischen Königssitz darstellen sollte. Doch in Ingas Augen kam ihr Lucia - Arianrhod! - nicht im Entferntesten wie eine Königin vor. Viel eher sah sie die Witwe als verloren an. Allein gelassen von dem Mann, den sie geliebt und nun zum zweiten Mal hatte sterben sehen.

      Die Germanin versuchte, mit dem Kleinen zu scherzen. Doch dieser blickte sie nur streng an und missachtete ihre Versuche, ihm ein Lächeln oder gar ein glückliches Glucksen zu entlocken.

      Inga selbst war ebenfalls verzweifelt, und zwar im doppelten Sinne. All das, was ihr in ihrem Leben bisher Freude geschenkt hatte, schien sich in Nichts aufzulösen oder war schon verschwunden.

      Aus ihrer Herrin und Freundin war eine Fremde geworden, eine Pictin. Auch wenn Arianrhod beteuerte, sie sei noch dieselbe. Für die Germanin war sie es nicht.

      Túan mac Ruith, der Druide, allein durch dessen Existenz und ihre gemeinsame Flucht vor den Römern, hatte sie geglaubt, echte Freiheit zu erlangen. Doch stattdessen hatte sie in ihren Augen nur die Herren gewechselt. Sie diente immer noch. Als Kinderfrau ihrer neuen Königin. Der Königin eines fremden Volkes, barbarisch und primitiv. Bei den Römern hatte sie wenigstens einen kleinen Anteil an deren Kultur und Fortschrittlichkeit abbekommen.

      Und Swidger? Sie hatte davon geträumt, seine Frau zu werden und eine Familie zu gründen. Doch er trug immer noch Schuldgefühle mit sich herum und wich fast nie von Arianrhods Seite. Beide, Arianrhod und er, waren viel öfter zusammen, als sie mit ihm.

      Und wenn er bei ihr, Inga, war? Natürlich liebten sie sich, doch mittlerweile tat sie nur so, als würde sie der Sex mit ihm befriedigen. Ständig hatte sie Bilder von ihm im Kopf, wie er Arianrhod bestieg, sie sich unter ihm in Wonnen krümmte und beide schweißüberströmt sich dem Orgasmus entgegenkeuchten, den sie mit ihm schon lange nicht mehr erreicht hatte.

      Schließlich gab sie ihre Bemühungen, Brannon zum Lachen zu bringen auf. Es war einer der vielen gescheiterten Versuche, damit vielleicht Arianrhod ebenfalls ein zaghaftes Lächeln zu bereiten.

      »Er ist nicht in der Laune für Späße«, sagte sie und hielt Arianrhod den Jungen hin. »Vielleicht hat er Hunger.«

      Dessen Mutter nahm ihn mit einem gequälten Ausdruck entgegen, in dem sich ihr eigenes Leid und die Aussicht auf schmerzhaftes Stillen mischten. Sie setzte Brannon in den Schoß und bot ihm eine Brust an. Doch der grapschte nur mit seinen kleinen Händen danach und machte keine Anstalten von ihr trinken zu wollen. Sichtlich erleichtert schob sie die Brust wieder unter ihr Gewand und setzte ihn auf den Boden. Dort rollte er sich auf den Bauch und griff nach allem, was in seiner Reichweite war.

      Beide Frauen ließen ihn gewähren. Sämtliche Waffen und gefährlichen Gegenstände befanden sich so hoch an den Wänden, dass selbst, wenn er sich plötzlich aufrichten würde, sie nicht erreichen könnte. Sie hatten diese Vorsichtmaßnahme ergriffen, da sich der Kleine mit rasender Eile entwickelte. Es war nach übereinstimmender Meinung der Frauen nur eine Frage der nächsten Wochen, bis Brannon sich auf seine kleinen Füße erheben und laufen würde.

      »Ich möchte nach Hause, Lucia«, sagte Inga unvermittelt und wunderte sich über ihre eigenen Worte. Schon lange trug sie sich mit dem Gedanken. Doch die sich überstürzenden Ereignisse hatten ihr bislang keinen passenden Moment gelassen, Lucia darauf anzusprechen. Und genau jetzt, als sie die Worte aussprach und die Frau, die ihr gegenübersaß, immer noch Lucia nannte, wurde ihr endgültig klar, dass sie sich hier im Pictenland niemals heimisch fühlen würde.

      »Das, was unser Zuhause war, existiert nicht mehr«, antwortete Arianrhod barscher, als sie wollte. »Und ich werde alles tun, damit dieses Land nie wieder das Zuhause irgendeines Römers wird.« In ihrem Leid hatte sie Inga völlig missverstanden.

      »Ich meine nicht das Kastell und schon gar nicht Britannien, das du jetzt Breith nennst … Königin.« Der Trotz färbte auch ihre Worte schärfer, als sie es vorgehabt hatte. »Und auch das römische Imperium ist nicht das Zuhause, das ich meine. Ich möchte zurück nach Germanien.« Und bevor Arianrhod etwas darauf erwidern konnte, schob sie noch