Werner Karl

Königin der Spiegelkrieger


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Swidger brauchte; er war ihre Leibwache, er war die letzte Verbindung, die sie außer Brannon noch zu Túan hatte. Er war einer der wenigen Menschen, der vieles miterlebt hatte, was sie mit dem Druiden verband. Wenn auch er ging, würde sie wirklich allein sein.

      Ihr Blick fiel auf den Kleinen, der sich eine Tonschale genommen hatte und unentwegt damit auf ein Bild eines Pferdes einschlug, das in einen metallenen Krug gehämmert war. Er hörte erst damit auf, als die Schale zerbrach. Mit überraschender Zielstrebigkeit griff er sich eine Scherbe und kratzte damit am Hals des Pferdes herum. Es sah aus, als wollte er das Tier köpfen.

      Arianrhod bückte sich und entwand ihm die Scherbe. Sie musste dabei mehr Kraft aufwenden, als sie erwartet hatte und für einige Sekunden blickte sie den protestierenden Kleinen erstaunt an.

      Inga klaubte wortlos die anderen Teile der Schale auf und legte sie auf den einzigen Tisch im Raum.

      Arianrhod richtete sich auf und nahm unbewusst eine beinahe königliche Haltung an. Auch Inga versteifte sich und Arianrhod erkannte, dass ihre Freundin zu glauben schien, es sei eine beabsichtigte Geste, die ihre Position bestärken sollte.

      »Mein Herz ist schon gebrochen, Inga«, kam es aber wenig königlich aus ihr hervor. »Wenn auch ihr beide mich verlasst, tretet ihr die spärlichen Reste meines Herzens in den Staub.« Sie senkte betrübt den Kopf. »Aber natürlich werde ich dich nicht aufhalten; du kannst gehen, wohin es dir beliebt.«

      »Und Swidger?« Inga konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.

      »Für ihn gilt natürlich das Gleiche. Ich habe nicht vor, mich wie ein römischer Statthalter zu gebärden. Weder gegenüber meinem neuen Volk noch gegenüber meinen einzigen Freunden.«

      Es tat Arianrhod fast körperlich weh, als sie sah, wie sehr die Erleichterung ihre ehemalige Freundin aufatmen ließ. Mit einem feuchten Schimmer in den Augen sah sie zu, wie Inga sich unmerklich verbeugte, sich umdrehte und den Raum verließ.

      Der selbstverständlich vor der Tür Wache haltende Swidger blickte verständnislos auf die beiden Frauen und machte ein völlig ratloses Gesicht, als Inga ihm leise aber mit fester Stimme zuraunte:

      »Sobald es deine Herrin erlaubt, möchte ich dich in meiner Hütte sehen.«

      Inga konnte nicht verhindern, dass sich ihre Titulierung mit Spott färbte und sie bei den anderen Worten einen befehlenden Ton angenommen hatte, der Swidgers Stirn zum Runzeln brachte. Sie stob davon und hätte beinahe Sétanta umgerannt, der gerade den äußeren Ring und die dortigen Wachen passiert hatte.

      Der alte Druide blickte ihr nach, dann in Swidgers Gesicht und durch die immer noch offene Tür in das seiner Königin.

      Manche Dinge scheinen sich auch von selbst zu erledigen. Also haben meine kleinen Gespräche über Freiheit mit dieser Germanenhure endlich Wirkung gezeigt.

      »Ich bitte um ein wenig deiner Zeit, Krone des Nordens«, sagte Sétanta und blieb abwartend vor der privaten Kammer Arianrhods stehen. Er wandte sich noch einmal in den Gang um, durch den Inga verschwunden war und dann wieder zu seiner Königin zurück. »Wenn du eine zweite Kinderfrau benötigst, kann ich dir eine empfehlen. Die Römer haben auch vor Kindermord nicht zurückgeschreckt und ich kenne einige Cruithin, die sich freuen würden, den kleinen Brannon mit dir gemeinsam aufzuziehen.« Er blieb immer noch vor der Tür stehen.

      Arianrhod erhob sich und nahm Brannon auf die Arme. Sie trug ihn zu seinem Bett und legte ihn hinein, doch fast augenblicklich fasste der Junge, der gerade 1 ½ Jahre alt war, den Rand des Kinderbettes und zog sich daran hoch. Seine Beinchen wackelten längst nicht mehr und er blieb trotz seiner Müdigkeit lange stehen. Als er schließlich niedersank, hatte er immer noch ein triumphierendes Lächeln im Gesicht.

      »Er ist stark, so wie sein Vater es war und seine Mutter jetzt ist. Ich beglückwünsche dich zu deinem Kind. Auch bei den Cruithin ist die Herrscherfolge wichtig. Zwar zählt nicht allein die Herkunft, aber Stärke ist etwas, was jeder Herrscher sein Eigen nennen sollte. Und dieser Junge zeigt jetzt schon, dass er anders ist, als andere Kinder in seinem Alter.«

      »Ja, das tut er«, antwortete Arianrhod und winkte Sétanta und Swidger herein. »Es wäre mit aber lieber, Brannon wäre genau wie all die anderen Kinder. Jede Mutter sieht in ihrem Kind etwas Einzigartiges.«

      Sétanta fühlte, dass Brannon dieses mütterliche Vorurteil in ganz besonderem Maße erfüllte. Mit ein wenig Unbehagen beobachtete er, wie der Kleine mit seiner Müdigkeit kämpfte und immer wieder die Augen aufriss, so als wolle er unbedingt mitbekommen, was die Erwachsenen zu bereden hatten. Erst als beide Männer im Raum waren und Swidger die Tür schloss, fielen Brannon die Augen zu.

      »Nun Sétanta, was führt dich zu mir?«

      Dieses Mal nahm der Druide auf einem Hocker Platz und richtete seine Kutte zurecht, bevor er sprach. Er hatte seinem Gesicht eine lange geübte und zerknirschte Miene verpasst.

      »Ich habe die letzten Zehnttage abgewartet, um dir Zeit zu lassen, wenigstens deinen größten Schmerz zu überwinden«, sagte er mit gespielter Einfühlsamkeit. »Das, was von deinem Mann und meiner Hütte übrig blieb, haben wir mit den größten Menhiren bedeckt, die wir bewegen können. Dein Einverständnis vorausgesetzt, wurde an dieser Stelle ein … neues Grabmal errichtet, mit allen Dingen, die ein Cruithin auf den Weg ins Andersland benötigt. Ich selbst habe jede einzelne Rune auf die Steine gezeichnet und die notwendigen Beschwörungen gesungen. Nur ausgesuchte Männer schlagen sie nun seit Tagen so tief in den Stein, dass sie die Jahrtausende überdauern können, um Zeugnis abzulegen vor den Göttern und unseren Nachkommen. Sein Name wird niemals in Vergessenheit geraten.«

      Jetzt verstand Arianrhod das ständige Schlagen der Meißel. Sie nickte und lächelte ohne wirkliche Freude.

      »Ich hatte zuerst geglaubt, dass es sich um die Laute der Handwerker und Schmiede handelte, die unentwegt an ihrer Ausrüstung und Bewaffnung arbeiteten. Erst jetzt kann ich also das helle Singen von Hämmern auf Ambossen vom Klang der Hämmer auf metallenen Meißeln unterscheiden.«

      Sie neigte dankend den Kopf und Sétanta bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Swidger mit einem Nicken die Worte des Druiden bestätigte.

      »Ich danke dir für deine Rücksicht und deinen Fleiß, Sétanta. Es ist gut zu wissen, dass es noch immer Menschen um mich herum gibt, die wissen, was zu tun ist. Auch wenn ihre Königin vor Trauer gelähmt scheint.«

      Jetzt war es an Sétanta, dankbar den Kopf zu senken. Aber er tat es nur, um sein zufriedenes Aufblitzen in den Augen zu verbergen und den nächsten Teil seiner Absichten in Gedanken vorzuformulieren.

      »Túan hat mir erzählt, dass er auch dich über seine Absicht informierte, den Aufenthaltsort und damit das Wissen um den Trank niemals wieder in Vergessenheit geraten zu lassen. Sein erster Tod hätte dies beinahe bewirkt. Aus diesem Grunde teilte er sein Wissen mit mir und so können wir weiterhin Spiegelkrieger zum Leben erwecken. Das Mittel, die Römer in naher Zukunft aus unserem Land zu vertreiben, steht uns also weiterhin zur Verfügung.«

      Sie nickte bestätigend. »So bist du nun derjenige, der allein um die Bestandteile des Trankes weiß.« Er erkannte natürlich die beabsichtigte Betonung des Wortes und ihre Angespanntheit, was er auf die unausgesprochene Frage antworten würde.

      »Auch mir - einem alten Mann - erscheint es zu gefährlich, so ein wichtiges Geheimnis alleine zu tragen. Deshalb möchte ich auf die Insel Ynys Môn reisen, um dort aus den Schülern der Druiden einen oder zwei geeignete auszuwählen, die diesen Schatz bewahren sollen, wenn mich mein Schicksal ereilt.« Er lächelte selbstironisch. »Wie du siehst, Königin, bin ich nicht mehr der Jüngste.«

      Es sah ihr offen ins Gesicht und achtete auf jede einzelne ihrer Muskelbewegungen und den Ausdruck in ihren Augen. Wenn sie jemals Misstrauen für ihn empfunden hatte, verflüchtigte es sich so rasch, wie Inga aus der Tür gerauscht war.

      Beinahe schien es ihm, als könne er ihre Gedanken lesen:

      Sollte ich mich in ihm getäuscht haben? Seine Gründe sind mehr als einleuchtend. Er ist alt! Und er ist augenblicklich der Einzige, der das Geheimnis kennt.