Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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legte er die Schachteln mit Pistazien und persischen Süßigkeiten, die er auf die Kiste gestellt hatte, in der Teeküche ab und schrieb einen Zettel, alle sollten sich bedienen. Mochten sie ihn für ein durchgeknalltes Verhängnis auf zwei Beinen halten, er wenigstens hatte wie stets an sie gedacht.

      Er schleppte die Kiste mit dem Teppich weiter in sein Büro, das ihm zu seiner Beruhigung unverändert schien, und hievte seine Errungenschaft auf den Schreibtisch. Er ging zum Tresor in der Zimmerecke und stellte die Kombination ein, als ihn ein Geräusch zusammenfahren ließ.

      »Ist er das?«

      Er fuhr herum und sah Ingrid in der Tür stehen und auf die Kiste starren.

      Also war sie nicht beim Friseur oder im Nagelstudio.

      »Ist wer was?«, fragte er verdattert.

      »Der Teppich, für den du eine Million zum Fenster rausgeschmissen hast, wie mir Frau Beckmann heute Morgen gebeichtet hat.«

      Frau Beckmann war ihre Buchhalterin, und natürlich hatte er sie anrufen müssen, damit sie das Geld auf ein Konto in Dubai überwies.

      Ingrid näherte sich mit klappernden Absätzen. Sie fasste sich, wie um sich zu beruhigen, an ihr Seidenhalstuch und legte ihr Gesicht in so zornige Falten, dass sie so alt aussah, als wäre sie seine Mutter.

      »Ich habe nichts ›rausgeschmissen‹«, entgegnete er. »Der Teppich ist so außergewöhnlich, dass ich ihn für ein Mehrfaches verkaufen könnte.«

      Ingrid blieb vor dem Schreibtisch stehen und fixierte ihn mit einem rabenschwarzen Blick. »Du könntest es, aber du wirst es nicht tun, oder?«

      Eschenbach zuckte mit den Achseln. »Das Geschäft gehört zur Hälfte mir. Betrachte ihn als einen meiner Anteile.«

      »So wie die anderen für ein Irrsinnsgeld gekauften ›Beweise‹, die sich bis zur Decke stapeln? Was ist es diesmal, sag schon!«

      Eschenbach legte die Hände auf die Schnappverschlüsse der Metallkiste, unentschieden, ob er Ingrid die Holztruhe mit dem Teppich darin zeigen oder sie im Gegenteil hindern sollte, selbst nachzuschauen.

      »Ein Afghan. Aber was genau darauf ist, wird dich kaum interessieren.«

      »Etwa die Weltformel?«, höhnte sie. »Oder die Koordinaten ihres Heimatplaneten? Da mach dich gleich hin!«

      Vielleicht hätte er es Ingrid ja gezeigt. Jetzt nicht mehr. »Ja«, sagte er. »Das käme dir zupass! Nachdem du’s nicht geschafft hast, mich zu vergiften. Dass du’s überhaupt wagst, mir gegenüberzutreten.«

      Ingrids Lachen klang wie ein spitzer Schrei. »Ja, dass ich es wage. Gehst du diesmal statt mit dem Rechaud mit einem Messer auf mich los?«

      Eschenbach nahm die Hände vom Metallkoffer und machte eine beschwichtigende Geste. »Hör zu, Ingrid, ich habe bis jetzt keine Ahnung, was im Tee war. Ich glaube, du wolltest mir bloß einen Schrecken einjagen. Ich halte dich nicht für so dumm und begreife ehrlich gesagt kaum, wie du so tief sinken konntest. Ist es das Geld? Oder dass sogar deine Friseuse wegen meiner ›Narrheit‹ die Mundwinkel verzieht? Oder immer noch Dolores?«

      Dolores war der Name der ehemaligen Haushälterin, mit der er dummerweise etwas angefangen hatte. Aber Ingrid schüttelte nur den Kopf und er fuhr fort: »Ich mache dir ein Angebot. Wir trennen uns im Guten, aber zu meinen Bedingungen, und ich vergesse alles, was du mir angetan hast.«

      Ingrids Augäpfel quollen bedenklich aus ihren Höhlen. »Zu deinen Bedingungen? Alfred, du lebst wirklich in einer anderen Welt. Du gehörst nicht hierher … Du gehörst …«

      »Was?«, fragte Eschenbach scharf.

      »Du saudummer Hund, du! Was glaubst du, was sie im Tee finden werden? Nichts! Weil niemand was reingetan hat. Dafür habe ich inzwischen ein Gutachten über deinen Geisteszustand, und der Psychiater empfiehlt, dich in der Geschlossenen unterzubringen.«

      »Du hast … heimlich einen Klapsdoktor engagiert?«

      »Ja. Hat dir das dein famoser Anwalt nicht gesagt?«

      »Ich habe noch nicht … Wie konntest du?«

      Eschenbach packte eine Wut wie damals. Ingrid musste es ihm ansehen, denn sie griff in ihre Handtasche und zog eine kleine Sprayflasche hervor, die sie ihm wie ein Kruzifix entgegenhielt.

      »Stopp!«, rief sie. »Sonst wünschst du dir die nächsten Tage, du hättest keine Augen.«

      Pfefferspray, begriff er. Für sie war er nur mehr ein tollwütiger Hund.

      »Alfred, ich habe dir jetzt einen Vorschlag zu machen, und es ist mein einziger. Du ziehst dich sofort aus dem Geschäft zurück, gibst mir die Schlüssel und verschwindest für immer. Das Ding da«, sagte sie mit einem Blick auf die Kiste, »ist der letzte Beweis, dass du nicht zurechnungsfähig bist. Wenn du verschwunden bist, zahl ich dich aus, sobald ich kann. Selbstverständlich nach Abzug des Rufschadens und der Fehlkäufe, die auf dein Konto gehen. Dann bin ich auch bereit auszusagen, du hättest doch nicht auf mich gezielt.« Ingrid zog mit der anderen Hand einen Umschlag aus ihrer Tasche. »Darin ist eine Einverständniserklärung. Ich will sie zusammen mit dem Schlüssel unterschrieben zurück.«

      Sie legte das Kuvert wie eine Kapitulationsurkunde zwischen ihnen auf den Schreibtisch und streckte die Hand aus. »Die Schlüssel, bitte!«

      Die Wut wich aus Eschenbach wie Luft aus einem zerschnittenen Reifen. Er hatte verloren. Aber nicht so. Ließ er sich darauf ein, würde sie ihn nach vierzig Jahren Rackerei mit einem Trinkgeld abspeisen. Er schüttelte den Kopf. »Meinetwegen. Du hast gewonnen«, erwiderte er zum Schein. »Ich will nur meine Sachen rausräumen. Außerdem mit dem Anwalt reden. Du kriegst die Schlüssel nächste Woche.«

      »Spätestens Montag«, sagte Ingrid. »Sonst gilt das Angebot nicht mehr.«

      Sie steckte das Pfefferspray weg, drehte sich um und rauschte davon.

      Eschenbach zückte das Handy, um einen Termin in der Kanzlei zu vereinbaren. Doch dringlicher erschien ihm, den Teppich im Tresor zu verstauen und seine Unterlagen und persönlichen Dinge in die Jagdhütte zu schaffen. Dringlicher war auch der Plan, den er gerade gefasst hatte. Also wählte er stattdessen Bernhards Nummer. Als er nicht abnahm, hinterließ er eine Nachricht mit der Bitte, Sonntagabend mit dem Transporter in der Galerie vorbeizukommen.

      Ingrid würde noch staunen.

      Als sein Zielobjekt nach einer Stunde wieder aus der Galerie auftauchte, wartete Rahim noch immer im Wagen. Er wollte sichergehen, dass Eschenbach den Teppich nicht hinterher fortschaffte. Niemand sollte ihm die Schuld in die Schuhe schieben, wenn es am Ende schiefging.

      Seine Vorsicht erwies sich als begründet. Entsetzt sah er, wie Eschenbach wieder etwas in den Händen trug. Der Teppich? Fuhr er ihn jetzt zu einem Bankschließfach? Rahim zerrte das Fernglas aus der Tasche. Diesmal kam ihm kein herumschnüffelnder Mummelgreis in die Quere. Sondern schlicht das Postauto, das in diesem Augenblick vor der Galerie parkte und ihm die Sicht versperrte.

      Legte Allah ihm Steine in den Weg? Warum lief in Filmen immer alles glatt? Rahim fluchte und drosch auf das Lenkrad ein. Der gelb gekleidete DHL-Mann räumte mit einer Gemächlichkeit Pakete aus dem Wageninneren, als hätte er sich den ganzen Nachmittag dafür reserviert. Er war noch nicht einmal mit ihnen zum Ladeneingang getrottet, als Eschenbachs Mercedes an ihm vorbei auf die Straße preschte.

      Rahim überlegte fieberhaft, was er in seinen Armen gesehen hatte. Einen Korb? Oder eine Kiste? Wie die, die er mit hineingenommen hatte? Er war sich unsicher. Instinktiv glitt seine Hand zum Zündschloss und er ließ den Motor an.

      Die nächste halbe Stunde wurde zum Horrortrip. Zweimal hätte Eschenbach ihn fast abgehängt und einmal war er direkt hinter ihm gewesen. Er betete, dass er ihn nicht bemerkt hatte. Am schwierigsten wurde es, als der Teppichhändler die Stadt verließ und Richtung Wald fuhr. Wollte er den Teppich dort verbuddeln? Jedenfalls musste Rahim Abstand halten und prompt war Eschenbachs Wagen nach einer Kurve verschwunden.

      Doch endlich einmal