Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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Vorwarnung über Rahims Handgelenk und überkreuzte blitzschnell die Griffe. Es schnürte ihm das Blut ab und der Schmerz raubte ihm den Atem. Sofort ließ Dastan locker.

      »Siehst du? Mein treuer, kleiner Freund«, sagte er. »Eine Klaviersaite.«

      Rahim rieb sich das Handgelenk, auf dem sich ein roter Striemen gebildet hatte. Eisige Kälte packte ihn. Eine solche Würgeschlinge benutzte man nur von hinten, nicht zur Verteidigung. Dastan hatte erzählt, dass er früher Soldat gewesen war. Aber wofür brauchte er eine Mordwaffe?

      Dastan sah ihn einen Moment forschend an. Schließlich sagte er: »Reine Gewohnheit. Natürlich werden wir sie nicht benutzen. Hast du damit ein Problem?«

      Rahim schluckte. »Nein. Auf der Schule hatten auch viele Messer«, fiel ihm ein.

      Dastan nickte. »Du weißt nie. Jetzt tu sie wieder rein.«

      Rahim parkte in der stillen Seitenstraße, von der aus er die Galerie in den letzten Tagen beobachtet hatte. Seine Gäste drückten sich in die Rückbank, Dastan spähte durch ein Fernglas. Niemand sagte etwas, bis Dastan das Glas absetzte. »Seyyed und ich schauen es uns an.«

      Kurz darauf schlichen sie hinüber. Rahim beobachtete, wie sie die Front mit den heruntergelassenen Stahlrollläden abliefen und schließlich im seitlichen Hof vor dem Nebeneingang haltmachten. Dort inspizierten sie die Alarmanlage und das Zahlenschloss. Auf Rahim machten sie einen ratlosen Eindruck. Er hatte bis jetzt keinen Gedanken daran verschwendet, wie sie die Festung knacken würden. Für Profis, nahm er an, trotz allem kein Problem. Die zwei waren ehemalige Soldaten, vielleicht noch anderes, wovon er besser nie etwas erfuhr. Echte Einbrecher waren sie jedoch nicht, das merkte ein Blinder.

      Zurück im Wagen, knatterten sie los in kehligem Farsi, von dem Rahim trotz seines aus dem Iran stammenden Vaters nur Brocken verstand. Der Corsa füllte sich mit Dastans Aftershave und Sey­yeds käsigem Körpergeruch. Ihre Atemluft staute sich und ließ die Scheiben beschlagen.

      Schließlich wandte sich Dastan auf Englisch an ihn: »Das wird schwierig, Junge. Wir brauchen einen Plan, jede Menge Zeit und vermutlich Hilfe von anderen. Verdammt! Der Scheich wird enttäuscht sein.«

      Nicht nur er. Rahim hatte es befürchtet, trotzdem deprimierte es ihn. Der Traum von Zahra schrumpfte so rasant wie sein Schwanz vorhin im Lokal. London – aus und vorbei? Kehrte er wieder wimmernd in das schwarze, abgeschottete Verlies zurück? Außerdem dachte er daran, dass er die beiden nicht ewig mit dem Zweitwagen herumkutschieren und vor Teppichgeschäften auf der Lauer liegen konnte, ohne dass sein alter Herr etwas peilte.

      »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte er.

      Dastan winkte ärgerlich ab und stieß etwas aus, das wie ein persischer Fluch klang. »Fahr uns in die Tekke, was können wir schon tun?«

      Rahim ließ achselzuckend den Motor an. Er legte den ersten Gang ein, bog auf die Fahrbahn und näherte sich der Kreuzung.

      Dann bremste er abrupt.

      »Warum bleibst du stehen?«, fragte Dastan.

      Gestoppt hatte er nicht wegen des Querverkehrs, sondern wegen eines schwarzen Mercedes, der diskret die Hauptstraße entlangfuhr. Jetzt bog er in den Hof der Galerie und kurz darauf schlüpfte jemand aus der Limousine.

      Im fahlen Licht der Laterne erkannte Rahim Eschenbach.

      8

      Wo steckte Bernhard? Eschenbach sah die Straße entlang. Von seinem weißen Mercedes-Transporter keine Spur. Kommen würde er, das hatte er ihm auf seine Nachricht hin versprochen. Seit er Bernhard vor Jahrzehnten auf einer Auktion kennengelernt hatte, war er sein bester Freund. Die Teppiche, die er sich heute Nacht als Vorabanteil am Geschäft reservieren würde, wären in Bernhards Lager in Zürich behütet wie in Fort Knox.

      So wie der Afghan. Eschenbach brannte darauf, ihn zu fotografieren und sich zu versichern, dass jenes Unglaubliche, das er im Büro des Basaris auf ihm entdeckt hatte, nicht nur in seiner Einbildung existierte. Nur hatte er die Galerie seit dem Streit mit Ingrid gemieden. Wie ein Gespenst konnte sie jederzeit auftauchen.

      Für heute Abend jedoch hatte sie Karten für die Premiere der Walküre im Staatstheater. Das hatte er sich gemerkt, weil es so zu ihr passte.

      Bernhard mochte, überlegte Eschenbach, das niedrigere Tempo mit dem Transporter unterschätzt haben. Immerhin waren es dreihundert Kilometer. Zur Sicherheit rief er ihn an, aber er nahm nicht ab, wiederum nicht überraschend, wenn er am Steuer saß. Bernhard war genau in diesen Dingen.

      Am besten holte er erst den Teppich aus dem Safe und empfing ihn anschließend unten.

      Für den Fall, er käme doch gleich, deaktivierte Eschenbach die Alarmanlage und hielt die Tür mit einem Keil offen. Denn die Klingel funktionierte nicht.

      Dann ging er nach oben.

      »Was will er um die Zeit hier?«, murmelte Dastan.

      »Keine Ahnung«, erwiderte Rahim.

      Dastan hatte ihn angewiesen, auf den Beobachtungsposten zurückzufahren. Von dort beobachtete er mit dem Fernglas den Hintereingang der Galerie, in dem Eschenbach verschwunden war.

      Plötzlich tauchte die hagere Gestalt des Händlers erneut in der Tür auf. Er machte sich an ihr zu schaffen, ehe er wieder im Inneren verschwand. Zurück blieb ein Lichtspalt zwischen Rahmen und Tür.

      Dastan pfiff durch die Zähne. »Sieh mal an, er hat sie mit etwas blockiert. Was hat er vor?«

      Während Rahim noch darüber nachdachte, legte Dastan das Fernglas beiseite. Rahim sah im Rückspiegel, wie er einen Blick mit Seyyed tauschte. »Warte hier!«, zischte Dastan.

      Die beiden stürzten aus dem Wagen und hinüber zur Galerie. Um Himmels willen. Was hatten sie vor? Rahims Puls raste, und eisige Kälte breitete sich in seinem Magen aus. Er war froh, dass Dastans Drosseldraht in der Reisetasche geblieben war.

      Dastan sah sich im Treppenhaus um. Es brannte Licht, rechts lag eine geschlossene Tür, vor ihm die Treppe. Der Deutsche blieb unhörbar und unsichtbar.

      »Was ist dein Plan?«, flüsterte Seyyed.

      Dastan war sein Gruppenführer in der Armee gewesen. Zusammen waren sie durch dick und dünn gegangen, oder eher: Seyyed mit ihm. Dastan betrachtete sich als einzigen Freund seines massigen und unansehnlichen Kumpels, der nie eine Frau gehabt hatte. Nur ihm zuliebe war er überhaupt zu den Söhnen gekommen, vermutete Dastan. Er hatte sein ganzes Leben jemanden gebraucht, der ihm einen Plan präsentierte. So wie jetzt.

      »Was fragst du so blöd? Wir müssen an den Teppich ran. Das ist der Plan«, zischte er.

      »Der Scheich hat doch nur von einem Einbruch geredet …«

      »Wir wissen von Rahim, dass die Truhe mit ihm hier ist. Aber wie lange noch? Wenn er sie wohin schafft, wo wir nicht rankommen? Erklärst du es dann dem Scheich … und Allah?«

      Seyyed schwieg und Dastan deutete auf einen grauen Kasten an der Wand, auf dem die Anzeige »Alarm aus« leuchtete. »Siehst du? Vielleicht erwartet er jemanden und will ihm den Teppich geben. Deshalb der Keil.«

      Dastan öffnete die Tür rechts und spähte in den Raum dahinter. Im Halbdunkel machte er Ware, Tresen und Tische aus. Der Verkaufsraum. Hier war der Deutsche nicht, sonst hätte er Licht gemacht. Er horchte nach oben und hörte von dort leise Geräusche.

      »Ich geh hinauf und du bleibst hier, ob jemand kommt.«

      Dastan schlich die Treppe hoch.

      Oben im Flur, auf dem Weg zu seinem Büro, erspähte Eschenbach in der Teeküche angewidert dreckiges Geschirr. Die Reste einer Vernissage vom Freitag, um die sich die Putzfrau erst am Montag kümmern würde. Im Büro sah es noch schlimmer aus. Sein Schreibtisch war vollgestellt mit Flaschen und Schachteln, eine Lieferung ihres Chemikalienhändlers, die Freitagnachmittag gekommen sein musste. Auch vor und neben dem Tisch standen Kartons, die