Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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dass sein Büro als Abstellkammer diente? Eschenbach fegte die Flaschen und Kanister von seiner Arbeitsfläche. Daraufhin öffnete er den Tresor und zog die Truhe mit dem Teppich heraus. Er stellte sie auf dem Tisch ab, und erst jetzt fiel ihm auf, dass für all das Unerwünschte, das darauf gelandet war, etwas Wichtiges verschwunden war: die Transportkiste aus Aluminium. Das jahrhundertealte Holz der Truhe war zu brüchig, um sie ungeschützt zu transportieren. Nur hätte sie in der Kiste nicht in den Tresor gepasst. Deshalb hatte er sie auf dem Schreibtisch abgestellt.

      Noch während er suchte, klingelte sein Handy. Es war Bernhard. In zehn Minuten würde er da sein. Eschenbach entschied sich, erst nach unten zu gehen und ihm die Teppiche aus dem Kellerlager zu richten. In der Zeit, in der Bernhard sie einlud, konnte er nach der Kiste fahnden.

      Er ließ die Truhe auf dem Tisch und verließ das Büro.

      Auf dem Weg durch den Flur hörte er aus der Teeküche ein Geräusch wie von einer Gabel, die auf einem Teller klirrte.

      Sollte er nachsehen? Keine Zeit, entschied er.

      Kurz zuvor war Dastan oben auf einen Gang gestoßen, an dessen Ende Licht aus einer halboffenen Tür fiel. Er näherte sich auf Zehenspitzen, spähte durch die Tür und sah Eschenbach sein Handy in die Anzugjacke stecken. Hatte er telefoniert? Und mit wem?

      Eher er darüber nachdenken konnte, bemerkte er die kleine Truhe aus altem, dunklem Holz auf dem Schreibtisch. Er sog die Luft ein, gleichzeitig lief ihm ein Schauer über den Rücken. Obwohl er sich ihn imposanter vorgestellt hatte: Er musste es sein.

      Dastan zog den Kopf aus dem Türspalt und ging alle Optionen durch: Weder er noch Seyyed trugen Waffen. Seyyed hatte sein Messer in Rahims Kofferraum gelassen, so wie er die Klaviersaite. Er würde es mit den Händen erledigen müssen. Was kein Problem wäre, wenn er … Da hörte er Schritte, die sich der Tür näherten.

      In einem Reflex zog er sich zurück. Entscheidend war: Er musste Eschenbach überraschen und nicht umgekehrt. Dastan hastete zu einer dunklen Öffnung im Flur. Eine Art Küche, hatte er auf dem Hinweg registriert. Er zog sich in die Nische zurück, in der es nach Fisch und schalem Sekt roch. Gerade rechtzeitig, denn Eschenbach passierte ihn schon. Instinktiv wich Dastan weiter zurück ins Innere. Dabei stieß er gegen etwas auf der Küchenplatte, das ein Scheppern verursachte. Eine Gabel auf einem Teller. Hatte Eschenbach es gehört?

      Dastan machte sich bereit. Doch die Schritte auf dem Gang entfernten sich wieder.

      Er hörte Eschenbach die Treppe hinuntergehen. Sollte er hinterher? Unten stieße der Deutsche auf Seyyed. Aber der würde seine Schritte hören und sich rechtzeitig unsichtbar machen. Erst der Teppich, entschied er, nur der zählte.

      Dastan schlich zurück ins Büro und trat an den Schreibtisch. Ehrfürchtig hob er den Deckel der Truhe an und sah in ihr einen verblichenen, alt und brüchig wirkenden, rötlichen Teppich. Das Geheimnis aller Geheimnisse. Dastan konnte es nicht fassen. Mit größter Vorsicht klappte er die Kiste wieder zu, die Scharniere waren fast zerfallen.

      Der Schatz, der den Lauf der Welt verändern konnte, lag nun in ihren Händen. Jetzt musste er sich noch um Eschenbach kümmern. Angestrengt suchte er nach einer geeigneten Waffe. Sein Blick fiel auf die Flaschen und Kanister auf dem Schreibtisch. Manche trugen Flammensymbole, auf einem Behälter entzifferte er »Terpentin«. Auf einer kleinen, braunen Glasflasche blieb sein Blick haften, weil sie nicht nur ein Warnkreuz, sondern einen Totenkopf trug. Er las das Etikett. Chloroform. Was in aller Welt machte ein Teppichhändler damit?

      Die Umrisse eines Plans zeichneten sich ab. Konnte man Chloroform nachweisen, nachdem ein Mensch verbrannt war? Würde jemand danach suchen? Dastan traf eine Entscheidung. Er verstaute die Flasche in seiner Jacke, klemmte sich die Truhe unter den Arm und eilte aus dem Zimmer.

      Am Fuß der Treppe stieß er fast mit Seyyed zusammen. Der deutete auf beleuchtete Stufen, die noch tiefer führten: »Er ist im Keller.«

      »Gib mir deinen Schal«, kommandierte Dastan. »Dann warte hier und pass auf die Kiste auf.«

      Er stellte die Truhe auf dem Boden ab. Seyyed warf einen ehrfürchtigen Blick darauf, während er eilig seinen dünnen, grauen Wollschal abnahm.

      Dastan schlich mit dem Schal erst die Treppe hinunter, dann den Gang entlang, in dem es intensiv nach Teppichen und Mottenkugeln roch. Eine der Türen stand offen. Er pirschte sich heran und sah den Deutschen in einem Lagerraum Brücken auf einen Stapel schlagen. Zum Glück kehrte er ihm den Rücken zu.

      Dastan tränkte den Schal mit der farblosen, süßlich riechenden Flüssigkeit aus der Flasche – und bog sich zurück, denn die Dämpfe ließen ihn schwindeln. Auf Zehenspitzen stahl er sich in den Raum. Eschenbach wandte den Kopf. Doch da war Dastan schon bei ihm. Er presste dem Deutschen den Schal auf den Mund und umklammerte ihn gleichzeitig mit einem Arm.

      Eschenbach zappelte für einige Sekunden. Dann sackte er in sich zusammen.

      Dastan fing ihn mit Mühe auf und legte ihn auf den Teppichstapel. Er stopfte den Schal in die Jacke, spurtete nach oben, vorbei an Seyyed, weiter die Treppe hoch und holte aus dem Büro den Kanister Terpentin und noch eine Flasche mit einem Flammensymbol.

      Unten stoppte er wieder vor Seyyed. »Hast du dein Feuerzeug?«

      Seyyed rauchte nur gelegentlich. Er kramte in den Jackentaschen, aber die Hände waren leer, als er sie herauszog.

      »Nein, in der Reisetasche.«

      »Verdammt, Seyyed! Ich weiß nicht, wie lang er bewusstlos ist.«

      »Lass uns einfach mit dem Teppich abhauen.«

      »Denk nach! Wenn er überlebt, vermisst er ihn und stellt Nachforschungen an. Wenn wir aber das Geschäft anzünden, wer soll ahnen, dass das heilige Stück nicht verbrannt ist?« Dastan machte Anstalten, in den Keller zu spurten. »Ich erwürge ihn.«

      Seyyed hielt ihn zurück. »Warte!«

      Er öffnete die Tür zum Verkaufsraum, verschwand darin für kurze Zeit, und als er zurückkehrte, lag etwas in seiner Hand. Ein Feuerzeug aus gebürstetem Aluminium. In ihm eingraviert das Logo der Galerie, ein aufgerollter Teppich.

      »Davon steht ein Korb voll auf dem Tresen«, sagte Seyyed. »Hab ich entdeckt, als ich mich vor ihm drin versteckt und mit der Lampe umgesehen hab.«

      Seyyed trug stets ein Mini-LED-Licht am Schlüsselbund.

      »Mein Bester!« Dastan tätschelte ihm die Wange.

      Er schnappte sich das Feuerzeug, raste in den Keller und leerte das Terpentin über einige Teppiche aus.

      Dastans Lid zuckte kurz. Der Deutsche tat ihm leid. Aber er erfüllte Allahs Willen. Außerdem musste er an das kleine, schwarze Buch des Scheichs denken. Und an die Augen des Jungen in dem abgetrennten Kopf. Als hätten sie ihn angestarrt.

      Er hielt das Feuerzeug an die benzingetränkten Fransen eines Teppichs und zündete es mit einem Klick.

      In den vergangenen Minuten hatten sich Rahims das Lenkrad umkrallende Hände mit Schweiß bedeckt. Was trieben die zwei da drin? Einmal wäre er fast abgehauen.

      Erst als die beiden aus dem Hintereingang stürmten und er in Seyyeds Armen etwas Schwarzes, Eckiges wie eine Truhe sah, löste sich seine Beklemmung und wich Triumph.

      Sie hatten Eschenbach den Teppich irgendwie abgeluchst. Rahim sah sich in London, als Held vor dem Scheich und vor Zahra. Ein siegreicher Kämpfer Allahs.

      Er ließ den Motor an.

      Die beiden sprangen in den Wagen, schlugen die Türen zu. Seyyed legte die Truhe auf dem Rücksitz neben sich ab.

      »Fahr los!«, zischte Dastan.

      Rahim tat es mit quietschenden Reifen.

      Erstaunlich gefasst lenkte er danach den Corsa auf die Hauptstraße, Richtung Stadtausgang.

      Nur dass es im Wagen bald nicht mehr nach Dastans Parfüm stank oder nach Seyyed, sondern nach