Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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war der justizielle Teil von Eschenbachs Akte. Wenig überraschend stand zwischen den Zeilen der Vermerke und Protokolle, man hielt ihn für einen paranoiden Querulanten. Begonnen hatte es damit, dass Eschenbach sich auf der Rückfahrt von einer Teppichauktion beim Überholtwerden fast von der Straße gedrängt sah. Die Ermittlungen dazu verliefen im Sande, genauso wie bei dem zweiten Vorkommnis, einem nächtlichen Überfall zu Hause. Er war allein, seine Frau besuchte übers Wochenende Bekannte und mitten in der Nacht wachte er auf von einem heftigen Stoß, der ihn aus dem Bett schleuderte. Es war Sommer, deswegen stand das Fenster offen. Sonst fand er jedoch ebenso wenig einen Hinweis auf einen Eindringling wie später die Kripo. Die Spurenakte war buchstäblich ein leeres Blatt.

      In der Folge äußerte Eschenbach laut seiner Frau und ihrer Haushälterin den Verdacht, jemand müsse ihn beobachten, und notierte hinter den Gardinen die Kennzeichen fremder Autos in der Straße. Bis die Dinge kulminierten an dem fatalen Abend, an dem Eschenbach einen komischen Geschmack in seinem Tee bemerkte. Im anschließenden Streit bewarfen sich beide Seiten erst mit Worten, »Gift-Borgia« hier und »verrückt wie ein Marshuhn« da. Bis Eschenbach beherzt zum kiloschweren Teerechaud aus Bleikristall griff und ihn neben seiner Frau in die Wand donnerte.

      Die Sache mit dem komischen Geschmack war für mich Anlass eines privaten Experiments gewesen. Gestern Abend hatte ich mich mit meinen ehemaligen Kommilitoninnen Petra und Monika zu einer besonderen Teeprobe getroffen. Zuvor hatte ich verschiedene Tees aufgebrüht und einige davon mit dem Inhalt einer Flasche Kombikill aus dem Gartenschuppen meines Opas versetzt. Dies jeweils dosiert nach dem Ergebnis des toxikologischen Gutachtens. Nach dem hätte Eschenbach zwar einen Eimer davon trinken müssen, um ernsthaft zu erkranken. Aber wenn man das Herbizid herausschmeckte, war es dann so verrückt, an einen Giftmord zu glauben? Schließlich hatte der Gutachter den Tee analysiert, doch sicher nicht verkostet.

      Ergebnis unseres heroischen Selbstversuchs: Mal schmeckten wir etwas heraus, mal nicht, leider unabhängig davon, ob die Probe überhaupt Pflanzenschutzmittel enthielt. Es hing wohl ab von der Sorte, der Aufgusszeit und Feinfühligkeit des Gaumens. Zum Überfluss kostete es mich eine Flasche Bananenlikör, mit dem wir den Geschmack des Tees herunterspülten, den wir alle drei, ob »mit oder ohne«, hassten.

      Den zweiten Nackenschlag erteilte mir anschließend Petra, die es zur Richterin auf Probe gebracht hatte. Gerichte, sagte sie, folgten in Unterbringungssachen fast immer der Empfehlung des Arztes. Den Grund dafür brachte später mein in Singapur weilender Freund Volker in einem nächtlichen Anruf auf den Punkt.

      »Glaubst du, ein Richter will seinen Namen in der Zeitung lesen, wenn er einen Irren auf eigene Mütze freilässt und der köpft hinterher ein Kind mit einem Samuraischwert?«

      »Es war ein Teerechaud, Volker, kein Schwert.«

      »Von mir aus eine Kulimine wie im Schweigen der Lämmer. Warum hängst du dich so rein für den Spinner? Was willst du überhaupt mit dem dämlichen Strafrecht?«

      Volker und ich, ein Thema, das vielleicht nicht hierher gehört. Er wusste genau, dass ich auf eine solide Beamtenstelle als Staatsanwältin spekuliert und mich deshalb auf Strafrecht spezialisiert hatte. Was er jetzt sagte, ließ mich trotzdem den Rest der Nacht nicht schlafen.

      »Denk bloß, was mit deinen Eltern passiert ist!«

      Rahim parkte in der Seitenstraße, von der aus er die Galerie im Blick hatte. Er wusste nur, es ging um einen Teppich, der ein religiöses Geheimnis barg und den Assassinen und damit der Bruderschaft gehörte. Ein Dieb hatte ihn aus Alamut gestohlen und an Eschenbach verkauft, den Hehler und Schmuggler, vor dessen Galerie er nun schon den dritten Tag auf der Lauer lag.

      Dastans Plan war, einzubrechen und den Teppich von dort, wie er sich ausgedrückt hatte, zu entfernen. Rahim sollte den Laden auskundschaften und Dastan und seinem Begleiter Seyyed unter die Arme greifen, wenn sie am Sonntag eintrafen. Denn juristisch käme man an Eschenbach leider nicht heran.

      Rahim kam es einerseits seltsam vor. Andererseits sprach einiges für Dastans Version. Denn wenn es in Wahrheit um Geld oder etwas Unehrenhaftes ginge, warum wollte man ausgerechnet diesen Teppich statt, zum Beispiel, eine Bank zu überfallen? Entscheidend war jedoch, Allah hatte ihm ein Zeichen geschickt, ein Licht in seiner dunkelsten Stunde, in der er sogar überlegt hatte, Hand an sich zu legen. Dastan hatte angedeutet, er könne hinterher nach London kommen, und Rahim schwelgte in der Aussicht, der Misere hier zu entfliehen und, kaum auszumalen, Zahra wiederzusehen.

      Was nicht hieß, dass er sich in seiner Haut wohlfühlte. Einbruch blieb Einbruch und die Polizei würde sich kaum von religiösen Rechten der Bruderschaft und Allahs Willen beeindrucken lassen. Das galt leider auch für sein Gewissen.

      Trotzdem hatte er den Laden observiert, war sogar einmal darin gewesen, unter dem Vorwand, sich für eine Teppichreinigung zu interessieren. Alles in allem: Es war eine Festung. Alarmanlage, gesicherte Eingangstür mit Zutrittscode und nachts stählerne Rollläden. Wie Dastan hier einbrechen wollte, war ihm schleierhaft. Einem Teil von Rahims Verstand machte dies Sorgen. War die große Chance vorbei, ehe sie begonnen hatte? Oder sollte er heilfroh sein, wenn es so käme?, wisperte es aus einer anderen Ecke seines Schädels.

      Dabei fing es mit den Sicherheitsvorkehrungen erst an. Eschenbach, und damit der Teppich, blieb bis jetzt verschwunden. Wozu aber einbrechen, solange das mysteriöse Stück fehlte? Er hatte keine Ahnung, wie er aussah, mit einer Beschreibung konnte Dastan nämlich nicht dienen. Immerhin hatten sie erfahren, dass Eschenbach ihn wahrscheinlich selbst nach Deutschland bringen würde.

      Rahim plagte die Sorge, sein Mitbruder würde ihn verantwortlich machen, wenn es dabei bliebe. Ihn zurückstoßen in das schwarze Loch, wo ihm die Dunkelheit erst recht den Verstand rauben würde, nachdem er das Licht gesehen hatte.

      Doch wieder erhörte Allah seine Stoßgebete. Denn um die Mittagszeit bog ein schwarzer Mercedes in den Hof hinter der Galerie. Ein weißbärtiger alter Herr im grauen Anzug stieg schwungvoll aus dem Wagen. Rahim erkannte ihn sofort vom Foto in seiner Jacke. Eschenbach lief um die Limousine herum zum Kofferraum.

      Rahim zückte sein Fernglas und richtete es auf den Teppichhändler, gerade als der die Klappe öffnete.

      In diesem Augenblick klopfte es an die Scheibe.

      Rahim ließ den Feldstecher in der Jacke verschwinden und fuhr herum zum Beifahrerfenster. Ein Opa mit einem Gehstock spähte ins Innere.

      »Was machen Sie hier?«, drang seine brüchige Stimme gedämpft durchs Glas.

      Ein Schreck durchfuhr Rahim. Einen Moment lang sah er sich in Handschellen auf einer Polizeiwache. Bis ihm einfiel, dass er nichts Verbotenes tat.

      »Was geht Sie das an?«, knurrte er zurück.

      Als der Alte nicht weiterging, ergänzte er: »Meine Oma sitzt drüben beim Arzt. Darf ich hier auf sie warten oder haben Sie damit ein Problem?«

      Er hatte die onkologische Praxis gleich am ersten Tag im Nachbarhaus registriert. Jetzt gratulierte er sich zu seiner Geistesgegenwart.

      Der Mann nickte und schlurfte weiter.

      Der kurze Moment hatte gereicht, Rahims Hemd feucht werden zu lassen. Er wartete, bis er den Tattergreis im Rückspiegel sah. Daraufhin zog er das Fernglas wieder aus der Tasche und richtete es auf den Galeriehof. Er hatte Glück: Eschenbach schloss gerade den Kofferraum und hob vom Boden eine Metallkiste, auf der außerdem Pappschachteln standen. Er wuchtete den Behälter hoch und ging damit zum Hintereingang der Galerie.

      Rahim richtete das Glas jetzt genau auf die Kiste aus. Was er auf ihrer Seite sah, ließ sein Herz gleichzeitig höher schlagen und Richtung Turnschuhe sinken. Ein grüner Aufkleber mit einem Bundesadler und einer Aufschrift. So sahen Zollaufkleber aus, den Tipp hatte Dastan ihm gegeben. »Zollamtlich abgefertigt« müsste darauf stehen.

      Rahim hatte keinen Zweifel, es war der Teppich.

      5

      An dem Samstag, der mein Leben veränderte, war mein Bruder vierzehn gewesen und ich sechzehn. Ich schlief