Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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F. vom Spaziergang am Fluss zurückkam, fand er im Briefkasten zwei Umschläge. Einer war von Gregor aus Südafrika und er wusste schon, worum es ging, als er ihn sah. Wenn sein alter Schulkamerad ihn nur hätte informieren wollen, was die Straußenfarm dort machte oder seine Liebschaften, hätte er einfach eine Mail geschickt. Ver… Nun, so hatte es kommen müssen.

      Bedrohlicher war beinahe noch der zweite Brief. Er steckte in einem rosa Umschlag und roch nach Parfüm. F. war ebenso klar, worum es in ihm ging und von wem er war, obwohl er nicht einmal einen Absender trug. Beunruhigend war er vor allem deshalb, weil Sybille Schramm ihm ihre Botschaften bislang nur an die Anschrift seines Büroservices in Frankfurt geschickt hatte.

      Jetzt kannte sie sogar seine echte Adresse.

      Für einen Detektiv war das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht weniger verstörend als für andere Menschen und F. sah sich unauffällig auf der Straße um. Aber sein geschulter Blick machte nur ein echtes Fahrzeug der städtischen Müllabfuhr samt Besatzung aus und eine echte türkische Mutter samt Kinderwagen. Dafür einen unechten, an der Ecke Flugblätter verteilenden kenianischen Studenten mit Rastalocken unter einer Baseballkappe. Jonathan Goodluck vertickte in Wahrheit Drogen. Er war F.s Lieblingsdealer und F. hatte ihm selbst zu der Tarnung geraten.

      Jonathan blinzelte herüber. F. hatte seiner Erinnerung nach oben noch einige Krümel in der Teedose, dafür jedoch zwei papierne Probleme in den Händen. Er schüttelte mit einer knappen Bewegung den Kopf und ging ins Haus.

      Oben im Arbeitszimmer, das ihm zugleich als Meditationsraum und Teeküche diente, riss er zuerst den rosa Brief auf, weil er ihn trotz allem für den leichteren Fall hielt und sich die übelste Nachricht lieber aufsparte.

      Im Umschlag steckte wie immer eine Grußkarte, diesmal mit einem blutroten Herz. »In Gedanken bin ich stets bei Ihnen«, hatte sie geschrieben. »Der Tag wird kommen, an dem Sie Ihren gerechten Lohn erhalten. Ist Rot die Farbe der Liebe?«

      Nein, die der Dummheit. F. stellte die Karte aufgeklappt zwischen das Teegeschirr auf der japanischen Kommode. Tröstlich war, dass der Liebesgruß diesmal von weither gekommen war, aus London, wie Briefmarke und Poststempel nahelegten. F. seufzte. Ob es die Schramm glücklich machen würde, wenn sie wüsste, dass er nicht zuletzt ihretwegen beschlossen hatte, keine Detektivaufträge mehr anzunehmen? Es war der letzte Fall in einer unangenehmen Reihe gewesen. Ein anderes Wort für »unangenehm« wäre »beschissen«.

      Für derlei fand er sich schon mit dreißig zu alt. Was sein zweites Problem nicht geringer machte: Er riss den nächsten Brief auf und fand darin, was er befürchtet hatte. In langen, netten Worten teilte Gregor ihm mit, ökonomische Erwägungen und die endgültig gefundene Liebe seines Lebens hätten ihn zur Entscheidung gebracht, für immer ins Land der guten Hoffnung überzusiedeln. Die geräumige Vierzimmeraltbauwohnung, in der F. als eine Art Haushüter die letzten fünf Jahre für einen Spottpreis gewohnt hatte, müsse er deshalb leider verkaufen und F. daher hinauskomplimentieren. Fatalerweise waren inzwischen die Mietpreise in der Stadt höher gestiegen als die Flusspegel im üblichen Frühjahrshochwasser. Für das gleiche Geld – angesichts seiner armseligen Einkünfte im Grunde jetzt schon zu viel – ergatterte er inzwischen gerade mal ein möbliertes Zimmer.

      F. widerstand der Versuchung, den Brief zu einem Knäuel zu ballen und durch den Raum zu schleudern. Stattdessen legte er ihn ordentlich in die Ablageschale für offene Aufgaben. Für die die einzige Lösung ein munteres Feuer auf seinem Noch-Balkon mit Blick auf die Altstadt wäre. Direkt unter Gregors Brief lag jetzt passenderweise der Gliederungsentwurf seiner Habilitation. Die Relevanz Platons, gezeigt am unlösbaren Leib-Seele-Problem. Punkt Nummer drei. Das Thema hatte ihm sein Professor Lahrenfurt, ein hoffnungsloser Platoniker, aufs Auge gedrückt. Er verband es mit dem vagen Versprechen einer Assistentenstelle oder eher einer halben. Die ihm trotzdem ein Mehrfaches an Einkünften brächte als seine beiden mickrigen Proseminare derzeit.

      Er würde es ja machen. Nur fehlte ihm die Lösung für die in den Prämissen hausenden Schwierigkeiten: Das Leib-Seele-Problem schien ihm mittlerweile nämlich sehr wohl lösbar. Und zwar zugunsten des Leibs. Der in Büsten stets alt und bärtig gezeigte Platon hatte mit seiner Ideenlehre seiner Meinung nach heutzutage so viel Relevanz wie sein ebenso gütiges, bärtiges Pendant über den Wolken. Zu zeigen, dass die Welt aus purem Geist reiner Ideen bestünde, deren belanglose Schatten nur die moderne Naturwissenschaft erhaschte, das war für ihn so, als müsste ein Biologielehrer als Voraussetzung für das Lehramt beweisen, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hatte. Schriebe er andererseits die Wahrheit, bekäme er statt einer halben Assistentenstelle einen ganzen Fußtritt vor die Tür.

      So würde er wohl enden als hauptberuflicher Yogalehrer. Was den Vorteil hatte, zahlreiche Frauen kennenzulernen, selbst wenn sie die betrübliche Tendenz hatten, faltig, übergewichtig und nichtsdestotrotz verheiratet zu sein.

      Mittlerweile hatte er sich so in Rage geschlussfolgert, dass er entschied, eine kleine Sternenfahrt konnte ihn heute von nichts Wichtigem mehr abhalten. Er griff nach der Teedose, in der sein Marihuanavorrat steckte, und öffnete sie. Anders, als er unten gedacht hatte, war sie bis auf ein paar traurige Fäden leer. Er lief zum Fenster und sah zur Straßenecke. Aber sie war verwaist. Jonathan Goodluck suchte sein Glück inzwischen anderswo.

      Jetzt musste er schon die in fünf Jahren in Meditations- und Yogakursen auf drei Kontinenten erlernte Selbstbeherrschung zusammenkratzen, um die Teedose nicht durchs Zimmer zu pfeffern. Aber es gelang ihm, auch wenn seine Finger dabei juckten, sie mit der Ruhe eines Zenmönchs zurück auf die Kommode zu stellen. So beruhigt zog er sich zum Yoga um. Wie er geplant hatte, wurde sein Kopf erst leicht und zum Schluss ganz schwer. Allmählich verbreitete sich herbstliches Dunkel im Zimmer und darin lösten sich nach und nach die Probleme auf wie Schatten in der Finsternis.

      12

      Den Rest des Tages telefonierte ich im Fall Eschenbach. Ich schickte Ruchling ein Update per E-Mail, traf Jan Früchtetee brauend in der Teeküche und verriet ihm nichts von den neuesten Wendungen, aus Angst, er schnappte mir auch noch diesen Fisch weg. Ich tat sogar einen Sachverständigen auf, mit dem ich am nächsten Tag Eschenbachs Dachgeschossbüro inspizieren würde, aus dem Korb einer Feuerwehrleiter heraus.

      Nur jener F. Molban blieb ein Phantom. Weder auf eine Mailboxnachricht noch auf meine E-Mail reagierte er. Vielleicht, überlegte ich, war er auf Observation und verhindert. Aber selbst Detektive kamen heim zum Duschen. Ich besorgte mir folglich bei Frau Hambrecht die Adresse, die nicht auf seiner Karte stand. Es war nur ein Abstecher auf dem Weg zu dem Thailokal, in dem ich später mit Petra und Monika verabredet war. Also ging ich hin.

      Auf dem Weg überlegte ich, was er für Eschenbach tun könnte. Würde er hinter einer Hecke darauf lauern, ob sich seine Frau mit Verschwörern traf? Oder ihren Müll nach verräterischen Botschaften durchwühlen? Und wer haftete, wenn da etwas schiefging? Und was würde Eschenbach sagen, wenn man sein Geld verpulverte und nichts herauskam? Weil es nichts gab?

      Ich bog in eine Gasse und erreichte das grüne Jugendstileckhaus, das Frau Hambrecht beschrieben hatte.

      Ich klingelte Sturm. Nach dem vierten Mal summte endlich der Türöffner. Ich kletterte die knarrende Holztreppe hoch bis zu einer offenen Tür im zweiten OG. Angesichts des von Frau Hambrecht angedeuteten Lebenslaufs erwartete ich von einer von Balgen umrahmten Freundin mit Nickelbrille, Norwegerpulli und fettigen Haaren empfangen zu werden. Stattdessen stand in der Tür ein schlanker, hochgewachsener und muskulöser Mann, der aussah, als hätte ich ihn, es war kurz nach sechs Uhr abends, aus dem Schlaf gerissen.

      Er starrte mich an wie eine Erscheinung – und ich ihn.

      Er trug dichtes, schwarzes Haar, normalerweise wohl nach hinten gekämmt, jetzt wild verstrubbelt. Die Augen in seinem ebenmäßigen Gesicht lagen genau in der Mitte zwischen Scheitel und spitzem Kinn. Als ich vor ihm stand, sah ich, es waren grüne Augen, mit so feinen, regelmäßigen Brauen darüber, als zupfte er sie.

      Der imposante Eindruck wurde nur leicht getrübt durch schwarze Leggings, Yogasocken an den Füßen und ein schlabbriges T-Shirt mit der Aufschrift: »Was dich nicht umbringt, tut es