Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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das betraf, war ich mir nicht mehr ganz sicher, so sehr hatten mich seine Gestalt, die warme, dunkle Stimme und seine unglaublich grünen Augen verwirrt. »Margarethe Pfennig von der Kanzlei Ruchling & Suttner«, stotterte ich schließlich. »Ich habe Sie wegen einer Ermittlung zu erreichen versucht …«

      Molbans Gesicht verschattete sich, als hätte sich seine Erscheinung als Zeitschriftenwerberin entpuppt. »Kommen Sie rein«, sagte er schon weniger freundlich.

      Er führte mich in ein Zimmer, dessen Mobiliar nur aus einer Yogamatte, einem Gymnastikball und einem niedrigen Tischchen mit einem Notebook und einem Sitzkissen davor bestand. Außerdem bemerkte ich eine wunderschöne Lackkommode mit Teegeschirr mit einer japanischen Tuschezeichnung darüber. Sonst bedeckten vollgestopfte Bücherregale jeden freien Fleck der Wände. Wie im Flur roch es nach Tee, Curry und etwas Süßlichem, Verbotenem aus meiner Jugend.

      »Ball oder Kissen?«, fragte er mit einem Gähnen und machte sich am Teegeschirr zu schaffen. »Sie erlauben? Ich war eingenickt«, fügte er ohne Scham hinzu.

      Erste Zweifel kamen mir. Molban war zweifellos ein Adonis. Aber auch ein Exzentriker, ein – trotz seines offenbar ironisch gemeinten T-Shirts – Kiffer und dazu, so schien es, ein fauler Strick. »Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte ich und entschied mich für den Gymnastikball als Sitz. Besser als der Boden. »Wie gesagt, wenn Sie meine Mail gelesen hätten …«, bemerkte ich spitz. »Ich brauche einen Ermittler für einen Mandanten.«

      Molban machte Wasser heiß und füllte Teeblätter in einen Metallfilter. »Seit wann arbeiten Sie bei meinem Bruder?«, fragte er zusammenhangslos.

      »Ups … seit fast zwei Monaten«, sagte ich.

      »Und?«, bohrte sein Rücken nach.

      »Oh, danke.« Ich rutschte unbehaglich auf dem Ball herum. »Am Anfang hatte ich keine eigenen Mandate, jetzt läuft es langsam an. Und deshalb bin ich hier.«

      Wollte er mich aushorchen? Jedenfalls erwiderte er nichts, sondern versank vollkommen in die Zubereitung seines Tees. Nur deren Geräusche durchbrachen die Stille. Den gebrühten Tee goss er gleich wieder ab und füllte die Kanne mit frischem Wasser. Es war das erste Mal, dass ich das Waschen von Grüntee erlebte.

      Vom zweiten Aufguss schenkte er etwas in zwei winzige Teeschälchen aus Ton und reichte mir unaufgefordert eines davon. »Ein Drachenbrunnen«, sagte er.

      Tee wurde anscheinend mein Schicksal. Dieser hier roch auch noch nach Fisch. Höflichkeitshalber nippte ich und stellte angetan fest, er schmeckte nur süßlich und intensiv pflanzlich.

      Molban sog, an die Kommode gelehnt, mit gewöhnungsbedürftigem Schmatzen einen Schluck aus seiner Schale. Dabei fixierte er mich wie jemand, der schlechte Nachrichten hatte und sich fragte, wie er sie mir beibiegen sollte.

      »Sie suchen einen Ermittler«, sagte er schließlich. »Das Problem ist nur, ich habe aufgehört als Detektiv.«

      Es klang, als ginge er nach fünfzig harten Berufsjahren in Rente. Warum hatte er es nicht gleich gesagt? Ich wollte aufstehen, mich für den Tee bedanken und gehen.

      Molban hielt mich mit einer Handbewegung zurück. »Es hat nichts mit Ihnen zu tun.« Er griff auf der Kommode nach einer Grußkarte mit einem geschmacklosen roten Herzen und wedelte mit ihr. »In meinem letzten Fall ging es um eine angebliche Vergewaltigung. Ihr Chef, ein Ausbeuter und Tyrann, manche sagen sogar: ein Kapitalistenschwein. Alle wären froh gewesen, man hätte ihn aus dem Verkehr gezogen. Bis ich rausfand, das Schlafmittel, mit dem sie betäubt worden sein will, stammte von ihrer eigenen Ärztin. Es erwies sich als Komplott, in das sogar der Betriebsrat eingeweiht war. Jedenfalls, jetzt bekomme ich diese Drohungen. Und davor ist auch schon so einiges vorgefallen. Vorerst – ich habe keine Lust mehr! Ob Sie es verstehen oder nicht.«

      Ich hätte wohl in Tränen ausbrechen sollen. Stattdessen ging mir etwas ganz anderes durch den Kopf. »Moment mal! Das haben Sie herausgefunden? Ganz allein? Ohne Polizei?«

      Er hatte es wie Routine klingen lassen. Doch ich erinnerte mich, davon in der Zeitung gelesen zu haben. Sybille S. Der Fall hatte Wellen geschlagen, auch wenn es am Ende nur hieß, das Opfer hätte seine Anzeige zurückgezogen. Dahinter steckte also er. Mein arbeitsmüder Junkie.

      »Die Polizei sucht nach Beweisen für ihre Tathypothesen«, antwortete er. »Nicht immer nach der Wahrheit. Und sie muss sich an bestimmte Regeln halten.«

      »Aber das genau ist das Problem meines Mandanten«, entschlüpfte mir. »Er ist möglicherweise … auch Opfer einer Verschwörung.«

      Molban musterte mich kritisch. Ich dachte, weil er mir nicht glaubte. Dann jedoch ging er in die Hocke, sodass er auf gleicher Höhe mit mir war, und sagte: »Sie sitzen so verkrampft. Lassen Sie die Schultern locker und entspannen Sie den Bauch. Sonst klemmen Sie Ihr Manipura ein, das Solarplexuschakra.« Er machte es mir in der Hocke vor. »Ich bin außerdem Yogalehrer, wissen Sie.«

      Ich verschluckte mein Schmunzeln. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht daran.«

      Er lächelte nachsichtig. »Ich auch nicht in dem Sinne, in dem Sie es meinen. Aber es wirkt trotzdem.«

      Schon, um ihn als prospektive Spürnase bei Laune zu halten, ließ ich probehalber die Schulter sacken und den Bauch locker. Tatsächlich fühlte es sich an, als würde lange aufgestaute Luft aus einem Ballon entweichen. War ich so verspannt? Weil es so schön war, ließ ich noch ein Stück nach. Und noch eins – bis mein Sitzball ins Rollen geriet.

      Ich begann zu rutschen, würde gleich samt Teeschale auf dem Parkett landen. Es war ein hilfloses Gefühl, als sähe man sich selbst beim Sturz in den Abgrund zu. Da sprang Molban mit einem Satz zu mir, stoppte den Ball und hielt mich fest.

      »Nichts passiert!«

      »Nein, nichts …«, sagte ich atemlos.

      Unsere Finger blieben einen Moment verschränkt, und ich roch ihn, spürte die Kraft seiner Hand. Und ich spürte ein Prickeln, als hätten sich die Bahnen unserer, nun, Chakren vereint und unsere Ströme flössen ineinander.

      Molban löste den Griff und trat zurück. Ich hatte den Eindruck, er atmete genauso heftig wie ich.

      »Frau Pfennig, ein Angebot. Ich habe nichts vor. Warum erzählen Sie mir nicht von Ihrem Fall und vielleicht fällt mir was ein, wenigstens jemand, der Ihnen helfen kann.«

      »Eins der Probleme«, sagte ich einige Schalen Tee später, »ist dieser angeblich vergiftete Tee. Seit er deswegen den Teerechaud geworfen hat, trauen sie ihm alles zu.«

      Überraschenderweise runzelte Molban da die Stirn. »Warum sagen Sie ›angeblich vergiftet‹?«

      Jetzt war es an mir, die Stirn zu runzeln. Hatte er zu viel vom süßen Kraut genascht? »Ich sagte doch: Der Gutachter hat festgestellt, es sind nur Reste vom Anbau.«

      Molban kräuselte spöttisch die Lippen. »Bloß mit welchem Recht?« Er ging zu einer Tafel an der Wand und malte einen Tisch mit Kugeln darauf und eine Art Vase. »Die Logik des Gutachters ist: Im Teeanbau werden Pflanzenschutzmittel benutzt und solche finden sich auch im Tee. Schlussfolgerung: Das Mittel stammt vom Anbau.« Er malte Kugeln ins Innere der Vase.

      Zugegebenermaßen beschäftigte mich bis jetzt mehr seine Figur, die mir inzwischen fast wie die eines Tänzers erschien. Ich verglich sie mit Volkers – eher einer reifen Birne. Nicht die einzige Hinsicht, in der sich mein Liebster zum Negativen hin entwickelt hatte.

      »Jetzt stellen Sie sich einen Tisch mit einer Urne voller roter Kugeln vor.« Er deutete auf die Vase mit den Bällen darin. »Auf dem Tisch liegen außerdem weitere rote Kugeln verstreut.« Er klopfte mit dem Stift darauf. »Das ist Herrn Eschenbachs Tee. Und jetzt kommen Sie ins Zimmer, sehen die Kugeln, also den Tee, auf dem Tisch, schauen in die Urne und sagen: Ja, die roten Kugeln, die stammen aus der Urne.«

      »Genau!« Worauf zum Teufel wollte er hinaus?

      »Das aber ist eine unzulässige Induktion. Sie haben das Pflanzenschutzmittel in Ihrem kleinen Experiment doch auch hinterher hineingetan.