Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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Das erste zeigte Natascha, die mit hinter dem Rücken gefesselten Händen vor ihm kniete. Er hatte eine Hand in ihre Haare gekrallt, die andere umklammerte das Hundeband um ihren Hals, während sie ihn oral befriedigte. Auf dem zweiten Foto kniete sie auf dem Bett, derweil er spielerisch eine Lederpeitsche auf ihren Rücken sausen ließ und sie gleichzeitig von hinten nahm.

      Für einen Moment war Hamid verwirrt. Wollte sie ihm die Bilder als Erinnerung schicken an einen schönen Abend? Bis ihm dämmerte, sie musste ihn heimlich mit einer versteckten Kamera fotografiert haben. Wie, wusste er nicht. Dann begann er, sich vor sich selbst zu ekeln. Sein fetter Leib, für den er sich so schämte, sein weit geöffneter Mund und die aufgerissenen, blödsinnigen Augen, ein irres Monster, das eine junge Frau vergewaltigte. So sah es aus und so fühlte er sich, selbst wenn es nur ein Spiel gewesen war und nicht mal seine Idee.

      Erst als er den Text las, begriff er, in welchem Schlamassel er steckte: »Hamid, Lieber, dein Vater ist bestimmt stolz, wenn er sieht, was für ein wilder Kerl du bist. Habe ich dir nicht von meiner Familie erzählt? Leider gibt es schlechte Nachrichten. Mein kleiner Bruder hat Blutkrebs und braucht eine Knochenmarkspende. Kannst du mir einen Kredit geben, so fünfzigtausend? Du rettest ein Leben, du Guter! Willst du, dass ich die Fotos lösche? Voller Leidenschaft, Natascha.«

      Hamid blieb nur übrig, Faisal um Hilfe zu bitten. Er rief ihn an und wie erwartet fiel er aus allen Wolken.

      Schnaufend rief Faisal: »Du hast was? Sie ausgepeitscht? Bist du verrückt?«

      »Es war bloß ein Spiel und ihre Idee.«

      »Mann, Bruder, Mann! Deshalb warst du so lange weg. Weißt du nicht, dass die dort nach Viertelstunden abrechnen? Das Luder stand schon mit fünfhundert auf der Rechnung. Anscheinend nur das Vorspiel …«

      »Faisal, bitte! Was soll ich machen? Glaubst du … könnte ihr Bruder tatsächlich krank sein und sie will nur einen Kredit?«

      Faisals Schnauben klang, als stünde eine Herde Nashörner mit Heuschnupfen neben dem Telefon. »So wahr, wie ich König von Sansibar bin. Mann, wach auf! Was hast du ihr noch erzählt? Über uns etwa? Bekommen wir bald alle Post von deiner Schnecke?«

      Hamid lief rot an. »Höchstens harmloses Zeug … Jedenfalls musst du mir unbedingt helfen.«

      »Was heißt ›helfen‹? Glaubst du, ich habe fünfzigtausend als Wechselgeld auf der Kommode liegen?«

      »Bestimmt kann man sie runterhandeln.«

      »Du meinst: Kann ich sie runterhandeln?«

      »Faisal! Wenn jemand die Fotos sieht …«

      Wenn seine Freunde sie sähen, würden sie nur ihr Leben lang über ihn lachen. Mutter spräche schon nie mehr mit ihm. Und Vater – brächte ihn um.

      »Dann überleg dir mal, wie du Geld auftreiben kannst«, sagte Faisal unbarmherzig.

      14

      Es war schon nach Mitternacht, als Hamid durch ein Klopfen an der Tür aus seinen Grübeleien gerissen wurde. Abbas streckte den Kopf ins Zimmer. »Wir sollen beide in den Keller, sagt der Scheich.«

      Abbas war ihr höchster Pir, ihr höchster Älterer. Er hatte Ruhollah noch persönlich gekannt und misstraute Vater nicht nur wegen der Todesumstände seines Vorgängers, sondern kritisierte hinterrücks angeblich mangelnde Zucht und Askese. Zwar hatte Abbas selbst keine Ahnung, worum es ging. Doch wenn sein Vater sie beide in den Keller zitierte, konnte das nur bedeuten: Er war aufgeflogen. Natascha hatte die Bilder verschickt und jetzt würde er ihn auspeitschen vor Abbas’ Augen oder vor denen aller. Aber warum? Ihre SMS war keine drei Stunden alt.

      Hamids Beine knickten ein beim Hinabsteigen. Vielleicht hätte er sich davonmachen sollen. Aber er war unfähig, sich zu wehren, und ging weiter wie ein Verurteilter auf dem Weg zum Galgen. Unten im Keller kamen ihnen Dastan und Seyyed entgegen. Hamid beachtete sie kaum. Abbas betrat mit ihm einen Raum, in dem bis dahin Möbel gelagert hatten. Jetzt war er fast leer, wunderte er sich. Hatte sein Vater den Winkel seinetwegen geräumt?

      Seine drohende Gestalt wartete an der Wand und Hamid suchte nach einem Gürtel oder einer Peitsche in seinen Händen. Aber sie waren leer. Vor Vater stand eine kleine, schwarze Holztruhe und er sagte mit heiserer Stimme: »Ich will, dass ihr es mit eigenen Augen seht.«

      Hamids Erleichterung war grenzenlos. Auf Vaters Geheiß hoben er und Abbas den Deckel der morschen Kiste an und fanden darin einen brüchigen, alten Teppich. Mit größter Vorsicht breiteten sie ihn auf dem Boden aus.

      Sein Vater starrte den Teppich an. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, ehe er sagte: »Kniet nieder und betet!«

      Hamid klopfte sich erst das feine, weiße Pulver von den Händen, in das das antike Stück in der Kiste gebettet gewesen war. Damit schüttelte er zugleich seine Angst ab. Worum auch immer es ging, es war nicht Natascha. Also sank er nieder und sprach ein stilles Dankgebet für das morsche Gewebe, das ihm im Übrigen nicht das Geringste sagte.

      Sein Vater begann zu rezitieren: »Dereinst wird ein Hirte euch den Teppich bringen. Er stammt von Mohammed selbst und wird euch weisen den Weg zum Paradies, den Heiden zum Höllenfeuer und den Ketzern zum Untergang.« Anschließend fügte er hinzu: »Abbas, Hamid, dies ist der Teppich! Er stammt aus Alamut, gefunden von einem Hirten. Ihr wisst, was das bedeutet.«

      Deshalb hatte Vater ihn herzitiert. Es war, als würde sein Verstand mit Tempo dreihundert in eine Hundertachtzig-Grad-Kurve geschleudert. DER TEPPICH. An den er längst nicht mehr glaubte. Den er als Märchen, als ketzerische Phantasie Ruhollahs und seines Vaters abgetan hatte, wie die kindische Idee von der Herrschaft der Reinen.

      Abbas neben ihm gab einen heulenden Laut von sich. Er rutschte auf seinem langen Sufgewand aus grober Wolle näher heran und krallte die Hände in den mächtigen, verfilzten Bart. Vaters Mund war aufgerissen und seine Augen waren geweitet. Er sah den Teppich wohl selbst zum ersten Mal. Wenn er jetzt von Natascha erführe – es scherte ihn nicht mal mehr, ging Hamid durch den Kopf.

      »Es ist ein Afghan«, murmelte Abbas ergriffen. »Die rötliche Farbe, das ist Krappwurzel, und in der Bordüre, das sind Göls, afghanische Stammeswappen.«

      »Aber müsste es nicht ein Perser sein?«, entfuhr Hamid.

      Die beiden starrten ihn an, als hätte er darauf gepinkelt.

      »Eine afghanische Sklavin, von Nomaden nach Mekka gebracht, kann ihn geknüpft haben«, sagte Abbas eisig. »Außerdem vergiss nicht, Afghanistan war damals Teil des Großpersischen Reichs und das bald Teil des Kalifats.«

      Hamid errötete. Er betrachtete das löchrige Gewebe und die verblassten Farben. Gegen seinen Willen und trotz der Erleichterung, nochmals davongekommen zu sein, brütete sein Verstand weitere Einwände aus und ließ sich nicht davon abbringen, sie hinauszuposaunen. »Trotzdem frage ich mich: Wie kann ein Teppich überhaupt so lange halten? Ich habe mal gelesen, die, die so alt sind, waren alle im Eis vergraben. Die Mikroben sind das Pro…«

      »Es ist sehr wohl möglich«, schnitt ihm Abbas das Wort ab. »Der weiße Stoff, den du dir abgeklopft hast, ist sicher Mottenpulver. Schau dir dazu die Truhe an! Das schwarze Metall innen ist keimtötendes, angelaufenes Silber, außen ist sie mit Pech versiegelt. Außerdem muss es dunkel und trocken in der Burg gewesen sein.«

      »Du bist ein Narr, Hamid«, fluchte sein Vater. »Ein unverbesserlicher Zweifler. Ich habe dich kommen lassen, damit du siehst und die Gelegenheit zur Umkehr nutzt.«

      Hamid schwieg betreten. Er senkte den Blick und betrachtete die Muster. Sie waren grob und eher langweilig. Einzig interessant war ein rautenförmiges Objekt in der Mitte, mit kleinen Tupfern wie Bullaugen und einer Art Antenne. Komischerweise erinnerte es ihn an eine fliegende Untertasse. Vielleicht wegen der Science-Fiction-Romane, die er las. Sonst sah er nur endlose geometrische Bänder.

      Da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. »Meinetwegen bin ich ein Narr«, sagte er trotzig. »Aber wo bitte ist denn jetzt die