Wolf Thorberg

Tödliche Sure


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Urne.«

      Jetzt begriff ich es. »Sie meinen, es kann trotzdem jemand was reingetan haben? Nur, wozu sollte er das tun? Die Dosis war viel zu gering, um Eschenbach zu vergiften.«

      »Das ist aber eine andere Frage. Vielleicht wollte derjenige ihn warnen – oder gerade als paranoid dastehen lassen.«

      Ich starrte ihn an wie ein Orakel. Ein Plan, um Eschenbach als Irren abzustempeln? Bloß wer und warum? Es klang phantastisch. Andererseits … »Aber selbst wenn, wie kann ich es beweisen?«

      Molban zuckte die Schultern. »Unter Umständen gar nicht. Wenn Sie es jedenfalls versuchen wollen, müssen Sie herausfinden, ob sozusagen die roten Kugeln auf dem Tisch überhaupt die gleichen sind wie in der Urne.« Er malte einen Pfeil mit einem Fragezeichen darüber zwischen dem Gefäß und einer Kugel auf der Platte. »Es gibt zum Beispiel Biotees, die haben keine Rückstände. Außerdem werden sich Pestizide je nach Anbaugebiet unterscheiden, die genaue chemische Zusammensetzung, was weiß ich?« Er schob die Kappe auf den Stift und legte ihn weg wie nach einer gelösten Rechenaufgabe.

      Ich überlegte. Dann stand ich auf: »Könnten Sie Ihren Widerwillen, als Detektiv zu arbeiten, noch ein einziges Mal überwinden?«

      In dem Blick zwischen uns liefen Dinge ab, über die ich lieber nicht nachdachte.

      Molban schwieg jedoch und ich sah, ich musste die Samthandschuhe ausziehen. »Oder verdient man so viel als Yogalehrer?«

      Er war angeschlagen, brauchte aber noch einen Nachschlag. »Wenn Sie es sich natürlich nicht zutrauen … Immerhin ist es ein interessanter Fall. Ein antiker Teppich und außerirdische Mathematik …«

      Jetzt lächelte er spöttisch. »Ach das. Yamamotos Theorien kennt jeder hier an der Uni. Ein alter Hut.«

      Er sah mir länger in die Augen, als schicklich war. »Wenn ich es mache«, sagte er schließlich, »dann Ihnen zuliebe. Und versprechen kann ich nichts.«

      13

      Deserter, so nannte sich die Gruppe arabischer und persischer Studenten, mit denen Hamid sich regelmäßig traf. Es war ein Wortspiel, das auf das Wüstenklima ihrer Herkunft anspielte wie auf die Abkehr von Traditionen und Ansichten ihrer, mit Ausnahme Hamids, begüterter Väter. Arsalan, ein persischer Mitstudent an der London School of Economics, hatte ihn eingeführt. Seitdem verbrachte Hamid dort viel Zeit mit leidenschaftlichen Debatten über Politik und einen toleranten, weltlichen Islam, der sich mit Demokratie und Fortschritt vereinbaren ließ. Und sie taten dies, Schiiten und Sunniten gemischt, sogar mit der phantastischen Idee, eines Tages die Schia zu überwinden. Wüsste sein Vater davon, würde er ihn allein deswegen auf glühenden Kohlen rösten.

      Von den anderen Dingen ganz zu schweigen. Faisal, ihr inoffizielles Oberhaupt, veranstaltete nämlich Partys, auf denen Hamid all das kennenlernte, was sein Vater in seinen Predigten regelmäßig verdammte: Tabak, Gras, Koks, Alkohol – und Frauen.

      So hatte ihn Faisal, als Hamid am heutigen Abend heimkehrte, zuvor mit den anderen nach dem gemeinsamen Lernen noch zu einer Weinprobe gebeten. Vorsichtshalber benutzte er deshalb nicht den Haupteingang der Tekke, so müsste er den diensthabenden Assassinen in der ehemaligen Pförtnerloge passieren, sondern stahl sich durch eine Seitentür in der Umgrenzungsmauer.

      Er durchquerte den Garten, als sich dort eine Gestalt von der Bank löste. Einen Moment dachte er erschrocken: Reza, die petzende, schleimige Laus. Bis er sah, es war nicht sein Halbbruder, sondern seine Schwester Zahra.

      »Es ist schon nach zehn. Wenn Aischa oder jemand dich sieht …«, flüsterte er.

      Aischa, Vaters Zweitfrau und Rezas Mutter, hasste sie wegen Hamids Stellung als Ältestem noch mehr als ihr Sohn es tat.

      »Du hast’s nötig!« Zahra schnüffelte an ihm. »Und du riechst nach Wein.«

      Zahras Nase ersetzte jeden Alkoholtester. »Ich war … eingeladen«, druckste er. Er hoffte, sie sah im Halbdunkel nicht seine roten Wangen.

      »Deine neuen Freunde? Hamid, das macht mir Angst. Eines Tages kriegt Vater es raus.«

      Er rieb sich das Gesicht. »Zahra, Zahra, ich glaube, er weiß es schon. Reza, der Schnüffler! Aber es spielt sowieso keine Rolle mehr.«

      Sie betrachtete ihn ängstlich. Angst machte sie noch schöner als die majestätische Miene, die sie meist aufsetzte. »Warum sagst du das?«

      Hamid zögerte. Bald würde sie es ohnehin erfahren. »Er will mich nach Täbris schicken. Zum Beten und Nachdenken über mein verfehltes Leben.«

      »Und dein Studium?«

      »Nach dem Bachelor ist Schluss. Im Frühjahr hau ich ab. Ich such mir irgendeinen Job. Vater … neulich hat er mir Tee ins Gesicht gekippt, weil ich gesagt habe, was alle munkeln. Dass er Ruhollah umgebracht hat. Zahra, unser Vater ist ein Mörder und er hat nicht alle Tassen im Schrank. Ich muss weg von hier!«

      »Du darfst ihn nicht reizen, Hamid.« Sie packte ihn am Arm und sagte eindringlich: »Weißt du außerdem noch, was du mir versprochen hast?«

      Er fühlte ihren bohrenden Blick, und mit einem Mal spürte er eine Angst, die ihn in der herbstlichen Kühle schaudern ließ. Angst um Zahra, nicht um sich. Er hatte ihr ein freies Leben versprochen, ohne Schleier, der ihr bezauberndes Gesicht und ihre glänzenden, schwarzen Haare verbarg. Ohne einen Mann, der sie wie eine Sklavin, bestenfalls wie eine Dienstmagd behandelte. Den womöglich sein Vater aussuchte, sie damit verschacherte wie einen Preis.

      »Nein. Ich hab’s nicht vergessen«, sagte er. »Wenn ich gehe, nehme ich dich mit.«

      In seinem Zimmer zog er die begonnene Hausarbeit über die Ölindustrie hervor, die er in zwei Wochen abgeben musste. Er schuftete, weil er wusste, dass er von seinem Vater nichts zu erwarten hatte, wenn er ihm und der verrückten Bande erst den Rücken gekehrt hatte. Die Deserter waren nicht nur das Einzige außer Zahra, das ihn diesen irrsinnigen Haufen überhaupt noch ertragen ließ. Sie bildeten auch seine Rückversicherung, wenn er einen Job oder sonst etwas brauchte.

      Er rieb sich die Augen und wollte das Fenster öffnen, damit ihn die frische Luft klarer denken ließ, als ihm sein Smartphone mit einem Klingeln eine SMS ankündigte. Bestimmt einer der Deserter, dachte er, der ihn auf ein Facebookposting im Anschluss an die Weinprobe hinweisen wollte.

      Stattdessen kam sie von Natascha. Sofort stürzte es ihn in einen Strudel widersprüchlicher Gefühle. Es war sein erstes Mal gewesen und so, wie er es sich nie hätte vorstellen können. Die anderen waren beinah Stammgäste im Eastern Butterfly und einmal war er eben mitgegangen. Faisal hatte ihn eingeladen, denn von seinem mageren Zuverdienst als Bibliotheksaushilfe konnte er sich keine Professionellen leisten. Natascha stammte aus Moldawien und hatte lange Beine, honigblondes Haar und Brüste wie die Kuppeln einer Moschee. Sie stürzte sich gleich auf ihn in dem plüschigen Etablissement voller Spiegel, Plastikschmetterlinge und schummriger Musik und verwickelte ihn in ein Gespräch. In dessen Verlauf beichtete er ihr nicht nur sein halbes Leben, sondern gab Etliches über die Deserter preis und klagte auch noch über seinen schauerlichen Vater.

      Er hatte sich gefühlt wie in einer Parallelwelt, besser gesagt: einer abgeschotteten Blase, aus der nichts nach draußen dringen konnte. Natürlich halfen auch der Champagner und der Koks.

      Letzterer hatte sein Lampenfieber endgültig hinweggefegt und auf ihrem Zimmer penetrierte er sie ohne Schwierigkeiten bis zum Orgasmus. Anschließend redeten sie, bis er wieder konnte. Da, erinnerte er sich dunkel, erzählte sie ihm von den »bösen Männern«, für die sie arbeite, die das meiste einbehielten, von ihren Schulden und ihrer armen Familie. Wie sie sich nach einem anständigen Mann sehne wie ihm, denn er sei so ein netter Kerl. Irgendwo da hatte er ihr seine Handynummer gegeben.

      Danach war gekommen, was ihm bis heute, zwei Wochen später, Schauer der Erregung verursachte. Da hatte sie ihm nämlich ihr besonderes Spielzeug gezeigt.

      Die gleiche Aufwallung ergriff ihn, als er jetzt ihre Nachricht sah. Wollte sie sich mit ihm treffen und noch mehr