Burkhard Simon

Der Kruse


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man anno 1985 beim Anbaggern im Bonner „Rock-Pop-Keller“ überhaupt nicht auf dem Schirm hatte). Zu jedem noch so kleinen Anlass rannten mir diese Blödmänner die Bude ein, und meine Frau hatte nichts Besseres zu tun, als die ganze Sippschaft von vorne bis hinten zu bekochen und ihnen mein letztes Bier anzubieten. Ja, ich denke, hier sind wir am eigentlichen Kern meines Problems angelangt: bei meiner Ehe.

      Die Geschichte meines Untergangs beginnt, wie so viele Untergänge in der Geschichte, mit einem einzigen kleinen Wort. Damals, im April 1912, war es das Wort »Eisberg«, ausgesprochen im Krähennest der Titanic, 1986 war es das Wort »Hoppla«, ausgesprochen in einem Kontrollraum im ukrainischen Tschernobyl, und in meinem Fall war es das Wörtchen »Ja«, ausgesprochen im Trauzimmer des Standesamtes in Bonn-Bad Godesberg vor gut dreißig Jahren. Dieses kleine Wort, diese beiden unbedeutenden Buchstaben läuteten mein persönliches Desaster ein. Zumindest sehe ich das heute (als durch das Leben geläuterter und verbesserter „Robbie“) so, und ich denke nicht, dass „Robbie“ damit allzu falsch liegt.

      Ich kann förmlich riechen, was Sie gerade denken, aber Sie liegen schon wieder daneben. Nein, ich hänge nicht in einer extrem verspäteten Midlife-Crisis. Nein, ich bin auch keineswegs verbittert! Ich bin keiner dieser selbsternannten Sozialverbesserer, die den lieben langen Tag am Fenster sitzen und Falschparker über die Notrufnummer der Polizei melden. Ich bin keiner dieser Typen, die darauf warten, das Waldo von nebenan auf ihren Rasen kackt, damit sie den ersten nachbarschaftlichen Kleinkrieg nach mindestens drei langen und ereignislosen Stunden anzetteln können. Ganz im Gegenteil.

      Ich war eigentlich die meiste Zeit meines Lebens ein ziemlich umgänglicher Mensch. Schwer, zu glauben, habe ich Recht? Kein Party-Animal, ganz bestimmt nicht, aber auch kein Kostverächter, wenn Sie wissen, was ich meine.

      Es gab mal Zeiten, da fühlte ich mich so richtig wohl in meiner Haut. Ich hatte einen guten Job (Lohnbuchhalter bei der Deutschen Roheisen und Hütten Bank AG, mittlerweile sogar als stellvertretender Abteilungsleiter), brachte jeden Monat mein sauer verdientes Geld auf das gemeinsame eheliche Konto und hatte eigentlich ein recht gutes Auskommen durch Einkommen, wie man so schön sagt. Einmal, manchmal sogar zweimal im Jahr, fuhr ich mit meiner Frau Karin in den wohlverdienten Urlaub. Und damit ging es los: mit unserem letzten Urlaub.

      Von diesem Urlaub möchte ich Ihnen gerne berichten. Von unserem letzten Urlaub und von einigen Dingen, die er ins Leben rief. Es ist die Geschichte von Herrn Robert Kruse nebst Gattin. Von dem leidlich wohlsituierten Ehepaar mit dem Reihenhaus. Es ist auch eine Geschichte über Ruhm und Ansehen, eine Geschichte über Macht und Ohnmacht und die Geschichte von der Sache mit den Tickets ins Paradies. Und natürlich ist es auch eine Geschichte über Sie, lieber Leser. Über die „Zielgruppe“.

      Urlaub. Wie wundervoll kann dieses Wort klingen.

      Urlaub...

      Eine Zeit der Erholung sollte es sein. Eine Zeit ohne Stress, ohne Zeiterfassungs-Chips, ohne Computer und all den anderen Kram, mit dem man so Tag für Tag zu tun hat. Eine Auszeit. Eine Unterbrechung des täglichen Lebens, damit man mal wirklich leben kann.

      Es lief folgendermaßen ab: Kurz vor meinem Urlaubsantritt kam es zu den üblichen Schwierigkeiten, mit denen man immer zu rechnen hat, wenn man eine Stufe vor dem Posten des Abteilungsleiters steht und anfängt, ernsthaft Verantwortung in der Firma zu übernehmen. Immerhin war ich als stellvertretender Abteilungsleiter der Lohnbuchhaltung in planerischen Dingen davon abhängig, dass mein Chef auf dem Posten war. Fehlte mein Chef, war es an mir, ihn zu vertreten, und was soll ich sagen? Fast wäre es dazu gekommen, dass ich meinen Urlaub hätte auf Eis legen müssen.

      Es wäre interessant, zu erfahren, wie mein Leben in den letzten anderthalb Jahren dann verlaufen wäre.

      Aber der Reihe nach...

      Mein direkter Vorgesetzter trug zwar den extrem säuberlichen Namen Reinhard Glanzknecht, war jedoch ein absolut widerlicher Drecksack. Ein Bilderbuch-Macho, der mit seinen samstäglichen Besuchen im „Sauna-Club“ angab, wie andere Leute mit dem Nobelpreis für Medizin. Ich sah ihn, umgeben von einem erregt summenden Schwarm schleimscheißender Kollegen, auf dem Korridor in der Ecke mit der Kaffeemaschine. Gerade wollte ich zurück in mein Büro flüchten, da entdeckte er mich und winkte mich zu seiner Fangemeinde hinzu.

      »Schau an, der Kruse! Ich nehm sie nicht, nimm Du se, sonst nimmt sie halt der Kruse!«

      Die Tatsache, dass das, was ihm da gerade aus dem Kopf gefallen war, nicht nur keinen Sinn ergab, sondern auch noch total unwitzig war, schien meine Kollegen nicht die Bohne zu stören. Sie lachten, als habe dieser selbstverliebte Idiot eben den Kalauer des Jahres gerissen und grinsten mich frech an. Immerhin war es ja ein Witz auf meine Kosten (auch wenn es kein Witz war).

      Ich mühte mir ein Lächeln ab, schloss kurz die Augen und kniff mir in den Nasenrücken. Kündigte sich da ein leichter Kopfschmerz an? Vor meinem geistigen Auge erschien Reinhard Glanzknecht, wie er mit einer überdimensionalen Fleischwurst in der Luft herumwedelte und ein Haufen speichelleckender Hunde, völlig außer sich vor Begeisterung, an ihm hochsprang und Kunststückchen vorführte. Ich öffnete die Augen, das Bild verschwand, und ich war überrascht zu sehen, wie wenig sich die Szene an der Kaffeebar von meiner Vision unterschied. Ich tackerte mental mein gequältes Lächeln an den Mundwinkeln fest und gesellte mich zum Rest der Abteilung, die fast vollzählig an den Lippen unseres obersten Bürohengstes hing. Nach einem kurzen »Morgen, zusammen« bediente ich mich und hielt mich dann krampfartig an meiner Kaffeetasse fest.

      Nachdem er ausgiebig über die Vorzüge osteuropäischer Damen referiert hatte (»Jungs, die gehen da viel unverkrampfter an die Thematik, als ihr das von euren Faltenrock-Weibchen zuhause kennt!«), kam die Sprache auf gesundheitliche Probleme, die er seit einiger Zeit hatte, die ihm aber nicht direkt Sorgen zu machen schienen. Genauer gesagt, klagte er über leichte Übelkeit, begleitet von einem sehr lästigen Hautausschlag. Er habe seit Tagen eine leicht erhöhte Temperatur, was ihn aber nicht weiter störte, so sagte er. Nur der Ausschlag würde ihn dazu treiben, sich im Schlaf handflächengroße Hautfetzen vom Leib zu kratzen, wie er meinte. Dann lachte er wieder, und die Kollegen lachten mit ihm. Er meinte, es sei wahrscheinlich nur irgend etwas, das er sich neulich bei einem Kurztrip nach Bangkok eingefangen habe und lachte nun noch lauter. Pflichtbewusst, wie sie waren, lachten meine Kollegen nun ebenfalls lauter. Dabei machten Sie abwinkende Gesten, die wohl bedeuten sollten, dass man so etwas als ganzer Kerl ja schließlich kenne, und dass mein Chef ihnen da nichts Neues erzählte. Glanzknecht, dem mein gekünsteltes Lächeln aufgefallen sein musste, schlug mir, jetzt vor Lachen schier prustend und mit hochrotem Kopf, kumpelhaft auf die Schulter.

      »Mensch, Kruse! Machen Sie sich mal locker! Wir sind hier unter uns, und die Dame des Hauses wird Sie ja wohl kaum hören können, was?«

      Die Kollegen wieherten jetzt schier vor Begeisterung.

      »Oder kriegen Sie sonst was mit dem Nudelholz über den Schädel, oder wie?«

      Er stieß ein bellendes Lachen aus und die Meute bellte ihm nach. Er schlug mir erneut kraftvoll auf die Schulter, und das Kläffen meiner Kollegen erreichte seinen Höhepunkt.

      »Immer schön der Herr im Hause bleiben, was Kruse«, dröhnte mein Boss, während die Farbe seines Kopfes nun von einem tiefen Rot in ein dunkles Violett changierte. Ich bemerkte ein leichtes Flattern in seinem rechten Augenlid. Dann deutete er auf eine Stelle an der kahlen Wand, rief »Pudding!« und schlug stocksteif der Länge nach aufs Gesicht.

      Jetzt lachte er nicht mehr. Meine Kollegen auch nicht. Ich schon, aber ich versuchte, es mir – angesichts der Dramatik der ganzen Situation – zu verkneifen.

      Einigermaßen überrascht von der etwas sprunghaften Entwicklung des Vormittags verständigten wir den Notarzt. Mein Boss wurde mit viel Tatütata in die nächste Klinik gebracht. Dort kicherte er wirr vor Fieber vor sich hin und verfiel hin und wieder in einen seltsamen Singsang, der schließlich von einem zufällig anwesenden Hausmeister zweifelsfrei als die Nationalhymne Papua Neuguineas identifiziert wurde, was jedoch niemandem sonderlich weiterhalf und den Hausmeister, der gehofft hatte, in bester Dr. House-Manier den entscheidenden Hinweis für eine Diagnose geliefert zu haben, einigermaßen zerknirschte. Er verbrachte die nächsten