Burkhard Simon

Der Kruse


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      Natürlich kam meine Urlaubsplanung im Zuge dieser Ereignisse bedenklich ins Wanken und hatte schon eine recht bedrohliche Schlagseite, als plötzlich die Nachricht die Firma erreichte, dass es meinem Vorgesetztenmacho wieder erheblich besser ginge, und er tatsächlich sogar von der Intensiv- auf eine normale Station verlegt worden sei.

      Am nächsten Tag besuchte ich ihn (im Auftrag der Abteilung Personalbuchhaltung, zu deren Obermotz ich während der Abwesenheit dieses Kotzbrockens geworden war), und beglückwünschte ihn zu seiner schnell fortschreitenden Genesung. Bei dieser Gelegenheit ließ ich ganz lapidar einfließen, dass ich eigentlich demnächst Urlaub hätte, ihn aber gerne verschieben könne, sollte mein Chef nicht pünktlich wieder auf dem Damm sein. Schließlich hatte ich nichts fest gebucht, ich wäre also flexibel, falls ich es sein müsse, fügte ich hinzu (immer ein Satz, den Vorgesetzte gerne hören). Er lachte, winkte ab und wünschte mir persönlich und voller guter Dinge einen angenehmen Urlaub. Es war schön zu sehen, wie gut sich der Arsch erholt hatte. Seine Gesichtsfarbe war frisch und fast schon wieder normal, sein Lächeln wirkte nicht gekünstelt, sondern offen und ehrlich. Meine Laune besserte sich gemeinsam mit seinem Gesundheitszustand, und alle waren wir glücklich und zufrieden, denn je schneller die Genesung von „Mr. Saunaclub“ voranschritt, desto schneller konnten für Karin und mich die schönsten Wochen des Jahres beginnen.

      Am Freitag der darauf folgenden Woche, meinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub, hörte ich zufällig in der Kantine die Unterhaltung zweier Kollegen aus der Kreditwirtschaft, Abteilung A bis F, die sich darum drehte, dass die Spätzle nach Hausmacherart mal wieder schmeckten, wie in Streifen gerissene Raufasertapete, die Soße – rein von der Konsistenz her – stark an Kleister erinnere und somit dem ganzen Mittagessen ein Hauch von Renovierungsarbeiten anhefte. Einer der Kollegen merkte bei dieser Gelegenheit scharfsinnigerweise an, dass umfangreiche Renovierungsarbeiten der leicht in die Jahre gekommenen Dame an der Essensausgabe auch nicht schaden würden. Von so viel Wortwitz überwältigt, konzentrierte ich mich wieder auf mein eigenes Problem, nämlich, mein Zartes Filet vom Schwein an jungen Möhrchen mit Püree von der Süßkartoffel daran zu hindern, sich nach jedem Bissen kurz oberhalb des Kehlkopfes schmerzhaft in meinem Hals zu verkeilen.

      Die Luft war angefüllt von den exotischen Gerüchen unserer Nahrungsmittel-Surrogate, dem Geklapper von Besteck auf dem schmucklosen Kantinengeschirr, der Unterhaltungen unserer Mitarbeiter und der unvergleichlichen Unruhe und Hektik, die man nur in den Pausenräumen großer Firmen zu finden scheint. Die Mitarbeiter von der Kreditvergabe machten gerade Mittagspause, während die Jungs vom Fuhrpark noch in den letzten Zügen der Frühstückspause lagen. Immer ein unruhiger Moment in unserer Kantine.

      Mein heroischer Kampf gegen das Zarte Filet vom Schwein war gerade in eine besonders heikle Phase getreten, als ich von den Kollegen am Nebentisch die Fortsetzung ihrer Unterhaltung mitbekam. Das Gespräch wurde eher geschrien als gesprochen, und so gelangte ich ungewollt an neue Informationen über den weiteren Genesungsverlauf meines Bosses. Es handelte sich um Informationen, auf die ich lieber verzichtet hätte.

      Offenbar ging es mittlerweile darum, dass mein fast schon wieder komplett gesundeter Chef von seinen Ärzten dazu ermuntert worden war, in der würzigen Abendluft einen kleinen Spaziergang im Krankenhauspark zu unternehmen, in dessen Verlauf er dann prompt von einer entfesselten Horde endorphintriefender Mountainbiker über den Haufen gefahren wurde. So lag er nun, ausgestattet mit vielen neuen und medizinisch herausfordernden Verletzungen, erneut in seinem angestammten Bett auf der Intensivstation und wartete dort gemütlich sediert auf eine grundlegende Renovierung ausgedehnter Teile seines Knochenbaus.

      Sie werden sicher verstehen, dass ich die anhaltende Renovierungs-Wortspielerei nicht mit der selben Begeisterung wie meine Kollegen aufnehmen konnte. Zwar war ich leidenschaftlich am Wohlergehen meines Vorgesetzten interessiert (immerhin war es ja untrennbar mit meinem eigenen Urlaub verbunden), jedoch entschied ich mich trotzdem, so zu tun, als hätte ich die Unterhaltung meiner Kollegen nicht gehört. Ich wollte auf keinen Fall den Anschein erwecken im Bilde zu sein, denn dass wäre der Verpflichtung gleichgekommen, dem Sack erneut einen Besuch abzustatten, und wir wissen doch alle, wie anstrengend diese Besuche für Patienten sind, die doch eigentlich nur viel Ruhe brauchen.

      Die restlichen Stunden im Büro verbrachte ich also mit einer imaginären Telefonkonferenz mit einem nicht minder imaginären Kollegen in unserer Hamburger Niederlassung, die ich mir aus den Fingern gesaugt hatte, um einen „Bitte nicht stören, Telefonkonferenz“-Zettel an meiner Tür anbringen zu können. Ich durfte auf gar keinen Fall einem meiner Kollegen über die Füße laufen, denn dann hätte ich zweifellos vom Unfall meines Bosses „erfahren“ und mein Urlaub wäre auf unbestimmte Zeit verschoben worden. An diesem letzten Arbeitstag hatte die Stunde gefühlte einhundert Minuten aber schließlich wurde es dann doch noch siebzehn Uhr, und ich machte mich, in aller gebotenen Eile und mit einem aus dem sich schließenden Aufzug vorgebrachten „Tschüss, zusammen!“ vom Acker.

      Tja, und so ging das los.

      Erstes Kapitel

      - - - -

      „Wer einen Sieg über sich selbst errungen hat, ist stark.

      Wer einen Sieg über seine Frau errungen hat, lügt.“

      (Li Bai)

      Wie ich bereits kurz angeschnitten habe, beginnt die Geschichte meines Untergangs, meines phoenixgleichen Wiederaufstiegs und all den damit verbundenen Begleiterscheinungen, wie bei so vielen Menschen, mit meiner Ehe. Karin und ich waren gefühlte vierhundert Jahre verheiratet, als der ganze Mist seinen Anfang nahm. Tatsächlich waren es ziemlich genau drei Jahrzehnte, was ebenfalls eine ganz schön großzügige Zeitspanne ist, aber glauben Sie mir, es fühlte sich länger an.

      Langeweile spielte in unserer Ehe keine besondere Rolle. Wir führten weiß Gott kein besonders aufregendes Leben, doch man kann auch nicht sagen, dass uns jemals der Gesprächsstoff ausgegangen wäre. Nein, das Leben war im Großen und Ganzen beschwerdefrei, uns fehlte es an nichts, und so kam es auch nie zu Dramen, wie Fremdgeherei oder Eifersucht. Um es kurz zu machen: Unsere Ehe war, wie alle Ehen, von denen man so hört, glücklich.

      Allerdings hatten wir einen kleinen, unbedeutenden Streit, der sich im Zuge der Ereignisse zu einer großen und sehr bedeutenden Krise hocharbeitete. Es ging, wie sollte es auch anders sein, um das liebe Geld.

      Karin war der vollkommen bescheuerten Meinung, ich solle meine Weihnachtsgratifikation sowie mein Urlaubsgeld auf einem gesonderten Konto deponieren, um so eine Rücklage für harte Zeiten zu bilden, was natürlich exakt die dämliche Einstellung ist, die Frauen nun mal haben.

      Ich jedoch war der absolut vernünftigen Ansicht, dass das Geld bestimmt viel zufriedener mit seiner Verwendung wäre, würde es in eine nette kleine Reise investiert, denn was das Herrchen freut, das freut auch das Geld. Schließlich sei es ja die Aufgabe von Kaufkraft jeder Art, Freude und Entlastung zu bringen, Bedürfnisse zu befriedigen und das Leben lebenswerter zu gestalten. Warum würde man sonst so unglaublich viel Zeit damit verbringen, ihm hinterher zu laufen? Es wurde – dies war ein Punkt den ich meiner Gattin gegenüber besonders herausarbeitete – von den fleißigen Mitarbeitern der Bundesdruckerei nicht hergestellt, um dann ein virtuelles Dasein auf einem unpersönlichen Konto zu fristen. Ich erinnere mich noch, dass ich sogar eine recht humorvolle Bemerkung darüber machte, dass ich ja schließlich Buchhalter sei und daher bestens wisse, wovon ich rede, wenn es um Geld und Konten ginge, eine amüsante Fußnote, die Karin, diese humorlose Schnalle, überhaupt nicht zu würdigen wusste.

      Sie schaute mich nur stumm an, schüttelte langsam den Kopf und atmete tief durch. Die Pause war kurz.

      »Und was ist mit der anderen Sache?«

      »Welche andere Sache?«

      »Wirklich, Robert?«

      »Was ist denn?«

      »Wirklich? Echt, jetzt?«

      »Was meinst du denn? Was für eine andere Sache?«

      »Die andere Sache, über die ich vor noch nicht ganz zwei Minuten mit dir gesprochen habe!«

      »Was?