Burkhard Simon

Der Kruse


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verständnisvoll. »Robert, es ist schon gut! Du hast es ja auch irgendwie gut gemeint, und ich kann auch verstehen, dass du mal eine anständige Reise machen wolltest. Lass es gut sein, Schatz, okay? Jetzt komm her und iss auf. Ich denke, es schmeckt dir so gut...«

      »Ja, tut es auch. Sehr lecker. Wirklich.«

      Ich setzte mich und nahm noch einen Bissen, dann legte ich mein Besteck wieder hin und platzierte ohne ein weiteres Wort den Umschlag auf den Tisch zwischen uns.

      Karin schaute verdutzt. »Was ist denn in dem Umschlag?«

      »Ich habe da eine Kleinigkeit für dich, Schatz.«

      Sie schien erfreut. »Was? Ach, Robert! Du sollst doch nichts für mich...«

      »Es ist eigentlich etwas mehr als nur eine Kleinigkeit. Aber nach unserem Streit dachte ich, wir sollten einfach mal Ruhe einkehren lassen und uns selbst einen kleinen Tapetenwechsel verordnen, weißt du?«

      Karin war noch immer mit ihren Kartoffeln beschäftigt. Sie nahm sich noch ein Stück, und noch während sie kaute, legte sich ihre Stirn in Falten. »Sag mal, was genau meinst du denn mit Tapetenwechsel?«

      Es lag unzweifelhaft etwas Skeptisches in ihrer Stimme, aber immerhin hatte sie noch nicht ihr Besteck niedergelegt. Es war noch immer ein nettes Gespräch beim Abendessen. Nichts weiter. Trotzdem machte sich bei mir langsam Verunsicherung breit.

      Der Umschlag lag noch immer unangetastet zwischen uns auf dem Tisch. Karin schien ihn absichtlich zu ignorieren.

      »Tapetenwechsel? Was ich damit meine? Na, ja... Ich dachte halt, jetzt sind wir schon so lange zusammen und haben noch immer nichts von der Welt gesehen, meinst du nicht auch? Und du hast ja selbst gesagt... du weißt schon... Das verlängerte Wochenende oder die Tour mit dem Auto... und... also, da dachte ich, wenn du doch auch so urlaubsreif bist, wie ich... ähm..., dann sollten wir es auch gleich richtig angehen! Ich meine, der Moment ist günstig, das Geld ist da, und auch, wenn ich noch was drauf packen musste, denke ich, du wirst dich freuen.«

      Ich tippte auf den noch immer unbeachtet zwischen uns liegenden Briefumschlag.

      »Hier, mein Schatz. Für dich! Schau doch mal rein!«

      Sie legte langsam, sehr langsam, ihr Besteck auf den Teller und schaute mich nachdenklich an.

      Dann schaute sie auf den Umschlag.

      Dann wieder zu mir.

      Sie nahm die Serviette, tupfte sich den Mund ab und legte sie auf ihren Teller. Sie nickte in Richtung des Umschlags.

      »Robert, was ist das?«

      Ihre Stimme zischte leise. Es klang ein wenig nach einem angerissenen Streichholz in einer Feuerwerksfabrik.

      »Was ist was?«

      »Verkauf mich nicht für blöd, Robert. Der Umschlag. Ich will von dir wissen, was in dem komischen Umschlag ist.«

      »Mach ihn doch mal auf! Ist für dich! Oder auch für uns, wenn du so willst!«

      Karin schob den Teller beiseite und nahm den Umschlag an sich. Sie klappte ihn auf und zog langsam eines der Tickets so weit hinaus, dass der Bug eines Schiffes sichtbar wurde.

      »Tataa!«, rief ich.

      Karin stand auf und sagte: »Ja. Tataa. Heute kannst du ja mal abräumen, wenn es dir nicht allzu viel ausmacht.«

      Mit diesen Worten rauschte sie an mir vorbei und verschwand im Schlafzimmer.

      Karin fuhr nicht mit mir in die Karibik. Sie fuhr zu ihrer Mutter nach Wanne-Eickel, was ja auch ein schönes Fleckchen Erde sein soll.

      Innerhalb weniger Minuten hatte sie ein paar Klamotten in den alten Koffer gepackt. Dann hatte sie ihre Mutter angerufen, den Bahnhof angerufen, ein Taxi bestellt (wobei sie betonte, sie würde unten an der Ecke auf den Wagen warten) und schließlich – ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen – die Tür hinter sich zu geknallt. Das alles ging so schnell, dass ich noch immer, mit meiner Serviette in der Hand, in der Diele stand und nach passenden Worten suchte, um einer Situation zu begegnen, die längst vergangen war.

      So schnell kann es gehen. Gefühlte vierhundert Jahre Ehe. Und jetzt war sie weg.

      Nachdem ich noch eine ganze Weile lang die geschlossene Tür vor mir bestaunt hatte, entschloss ich mich, Karin ein wenig Zeit zum Nachdenken zu geben. Irgendwie konnte ich sie sogar verstehen. Ich meine, schließlich hatte sie ja so reagieren müssen, wollte sie mir gegenüber ihr Gesicht nicht verlieren. Okay, sie war dagegen, das Geld auszugeben. Okay, wir hatten darüber geredet. Okay, ich hatte noch ganz schön draufzahlen müssen. Okay, sie war sauer. Okay, das Ding war nach hinten losgegangen.

      Okay, okay, okay.

      Ich ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf die Couch und legte die Tickets vor mir auf den Tisch. Diese dämlichen Papierschnipsel hatten mir eine Menge Ärger eingehandelt. Den größten Ärger seit dem Bestehen unserer Ehe.

      So saß ich da und wartete auf Karins Rückkehr.

      Allzu lange würde es ja sicherlich nicht dauern. Ich glaubte keine Minute daran, dass sie wirklich den weiten Weg bis zu ihrer Mutter fahren würde, nur um mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten. Sie würde bald zurückkommen, um sich mit mir einen richtig schönen altmodischen Schlagabtausch zu liefern, da war ich sicher. Wahrscheinlich würde sie mit einem Spruch eröffnen, wie: »Ich sehe gar nicht ein, dass ich zu meiner Mutter fahren soll, nur damit du hier auch noch in Ruhe den Junggesellen raushängen lassen kannst, mein Freund! Ich hab keinen Mist gebaut, Robbielein, das warst immer noch du!«

      So was in der Art.

      Anschließend würde sie mir dann all die guten Argumente und sorgfältig zurechtgelegten Sprüche um die Ohren hauen, die sie sich ohne jeden Zweifel – während ich arme Sau zuhause saß und auf sie gewartet hatte – vorformuliert haben würde. Komplett mit jeweils passendem Gesichtsausdruck und Tonfall, jeden Einschlag ihrer Satzgranaten auf maximale Wirkung programmiert.

      Langsam wurde es dunkel und Karin war noch immer fort. Als der Film um viertel nach acht vorbei, und noch immer kein Lebenszeichen meiner Gattin in Sicht war, machte sich schleichend ein ganz neuer Gedanke in meinem Kopf breit: Sie war vielleicht, nur vielleicht, wirklich zu ihrer Mutter gefahren! Ja, war diese dusselige Kuh denn jetzt völlig übergeschnappt? Scheinbar wollte sie diesen theatralischen Blödsinn tatsächlich bis zum bitteren Ende mit mir durchziehen! Unfassbar!

      Na gut. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Natürlich versuchte ich sofort, sie in Wanne-Eickel anzurufen. Das Gespräch mit dem Domizil meines heißgeliebten Schwiegertieres lief in etwa folgendermaßen ab:

      Tuuut..... Tuuuut.....

      Tuuut..... Tuuuut.....

      »Hauser, hallo?«

      »Ja, hallo! Ich bin es, Robert! Grüß dich! Sag mal, ist Karin bei dir? Ich weiß, die Frage muss dir komisch vorkommen, aber...«

      »Die Karin ist noch nicht hier, und ich weiß auch nicht genau, wann sie ankommen wird. Aber ihr Bett ist schon frisch bezogen! Sie hatte sich doch zu Weihnachten ein neues Smartphone von dir gewünscht! Ihr altes Telefon fällt ins Spülwasser, in dem meine Tochter deine dreckigen Teller abwäscht, und du vertröstest meine Karin auf den nächsten Sonder-Rabattverkauf? Typisch Buchhalter! Mein Lieber Robert... wenn du ihr damals so ein Ding gekauft hättest, könntest du sie jetzt selbst anrufen und sie fragen, wann sie ankommt! Jedes Kind hat heute so ein Ding! Kein Mensch rennt mehr ohne so ein blödes Handy durch die Gegend, zwölfjährige Mädchen haben so was, aber der Herr Buchhalter schaut natürlich auf die Mark, wenn es um seine Frau geht! In der Fernsehwerbung sagen sie immer für null Euro, Robert! Null Euro! Ist das noch immer zu viel für meine Karin, Robert? Ja? Null Euro sind zu viel für meine Tochter, ja?«

      »Äh... ja! Nein! Ich meine natürlich nein! Hör´ mal Margot, kannst du ihr vielleicht was von mir ausrichten?«

      KLICK.

      Meine Schwiegermutter vertrat schon immer die Meinung, dass ich nicht