Burkhard Simon

Der Kruse


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nach unserem Streit nicht mehr über das Thema geredet worden war. Vielleicht hatte sie damit gerechnet, dass ich – quasi um mein Gesicht zu wahren – ohne ihr Einverständnis eine Woche in Klein-Kleckersdorf bei einem dieser Busreiseunternehmen buchen würde oder vielleicht mit einem langen Wochenende auf Mallorca mit Billig-Air, aber eine Karibik-Kreuzfahrt hatte sie garantiert nicht erwartet.

      Ich hatte wirklich das volle Paket gebucht. Es hatte sogar einen Namen, der mir aber im Moment nicht einfallen will. Irgend etwas Englisch-Neudeutsches. So etwas wie „Comfort Class Convenient Cruise“ oder so ähnlich. Jedenfalls eine Menge Wörter, die mit „C“ anfingen, und die alle irgend etwas Gutes zu bedeuten hatten. Ich war mir sicher, dass Karin, würde sie die Tickets erst mal in Händen halten, ihre Meinung ändern würde. Ihre Meinung im Bezug auf unsere Beziehung, im Bezug auf meine Qualitäten als Familienvorstand, meine Qualitäten als Urlaubsplaner, meine Qualitäten als Mensch im Allgemeinen. Und das überzeugende Argument, das für eine Änderung ihrer Einstellung sorgen würde, lag gerade in einem Briefumschlag in der Innentasche meines Mantels. Ich schlief lächelnd ein und wusste, dass der morgige Abend ein wichtiger Moment in unserer Ehe sein würde.

      Und ich sollte Recht behalten.

      Irgendwie schon.

      Zweites Kapitel

      - - - -

      „Manche Männer bemühen sich lebenslang, das Wesen einer Frau zu verstehen.

      Andere befassen sich mit weniger schwierigen Dingen, wie zum Beispiel der Relativitätstheorie.“

      (Albert Einstein)

      Der Abend war schön.

      Wirklich schön.

      Es war der Abend des Tages, an dem es mir gelungen war, aus der Firma zu verschwinden, ohne offiziell vom Pech meines Vorgesetzten zu erfahren, so dass meinem Urlaubsantritt nun nichts mehr im Wege stand. Nichts mehr, außer der Tatsache, dass Karin noch nichts von ihrem baldigen Glück unter der karibischen Sonne wusste. Den ganzen Abend lang herrschte zwischen uns gelöste Stimmung und gute Laune, was ich in erster Linie auf Karins Vorfreude zurückführte. Sie war völlig aus dem Häuschen, weil ich nun endlich Urlaub hatte und so endlich dazu käme, das rissige und trockene Holz des Garagentores abzuschleifen und mit guter Holzschutzlasur auf Vordermann zu bringen. Ein Projekt, vor dem ich mich seit geraumer Zeit mit einigem Erfolg gedrückt hatte.

      Wir saßen am Esstisch, und ich genoss den Abend in vollen Zügen. Wir redeten während des Essens miteinander, was selten vorkam. Meistens war es zwischen uns eher so, dass man sich nur gegenüber saß und auf seinen Kartoffeln herumkaute. Das waren die Momente, in denen ich mir wirklich vorkam, wie ein Teil eines alten Ehepaares, ein Bild, das nach dreißig Jahren Ehe sicherlich auch nicht ganz falsch war. Trotzdem kam es mir falsch vor, so am Tisch zu verschimmeln, kauend und schweigend, wie fremde Tischnachbarn im Seniorenstift. Dafür waren wir selbst nach all den Jahren noch viel zu jung. Es gibt Dinge, die macht das Leben einfach mit dir, ohne sich vorher mit dir abzusprechen. Die langen schweigenden Abendessen gehörten zu diesen Dingen. Und ich hasste sie.

      Dieser Abend jedoch schien unter einem anderen Stern zu stehen. Wir sprachen über unseren jeweiligen Tag und machten uns ausgiebig über die neuesten Entwicklungen in der Carola Reimann Problematik lustig. Das Ehepaar Reimann wohnte zwei Häuser weiter und was ihre Ehe anging, könnte man behaupten, dass der Haussegen in letzter Zeit nicht nur schief hing, sondern derartig am Nagel rotierte, dass die Tapete in Fetzen von der Wand flog. Carola Reimann genoss innerhalb der Spießerfraktion unserer gutbürgerlichen Nachbarschaft aufgrund ihres eher freizügigen Kleidungsstils den Ruf einer Vorstadtschlampe reinsten Wassers.

      Die alte Frau Kampnagel, die das Haus zwischen uns und den Reimanns bewohnte, hatte Karin hinter vorgehaltener Hand über den Gartenzaun hinweg berichtet, dass es bei „dem Reimann und seinem Flittchen“ am vergangenen Abend wieder zu Geschrei und zugeschlagenen Türen gekommen sei. Sie erzählte, dass es im Zuge der Streitereien auch zum Gebrauch von Schimpfwörtern der übelsten Art gekommen sei, Schimpfwörter, die Frau Kampnagel nicht wiederholen wolle, da sie ja schließlich eine Dame sei, nicht so wie die Reimann, bei der die Röcke eher aussähen, wie breite Gürtel, aber „Arschloch“ sei auch dabei gewesen, dass müsse man sich nur mal vorstellen. Es sei einfach nicht zu fassen, gleich nebenan, hier in unserer Straße, was es ja früher niemals gegeben hätte, aber schließlich ging ja die komplette Gesellschaft gerade geschlossen vor die Hunde, weswegen man sich ja eigentlich nicht zu wundern bräuchte, vor allem jetzt, wo so viele Ausländer nach Deutschland kämen, und man den ganzen Juden überall türkische Teehäuser hinsetzen würde, damit die da in Ruhe in ihren Burkas ihre Korangürtel bauen könnten, aber wie die Reimann rumlief, dass wäre ja auch nicht in Ordnung, man könne ja auch irgendwo dazwischen was finden, also nicht mit der Burka aber auch nicht, wie die Reimann herumliefe, das wäre doch richtig ekelhaft, wie sie die Straße runterstöckelte, mit ihren Röcken.

      Abschließend fügte sie noch hinzu, dass man ja ohnehin nichts machen könne, so lange die Politiker alles aussäßen und nicht zu Potte kämen, schämen müsse man sich so langsam, und dann fragte Sie mit dem geübten Blick einer Frau, die jahrelang in der Kantine des Landesvermessungsamtes gearbeitet hat, ob Karin mit ihrem neu gepflanzten Rosenbusch auch tatsächlich die vorgeschriebenen fünfzig Zentimeter Abstand zum Grenzzaun eingehalten habe.

      Wir lachten uns schlapp bei der Vorstellung, wie die alte Kampnagel mitten in der Nacht bei gelöschtem Licht am gekippten Fenster saß, um den Krimi nebenan in allen Details mitzubekommen, damit auch nur nichts an verwertbaren Informationen verloren ginge.

      Jedenfalls spürte ich so etwas wie ein Gefühl der Einigkeit zwischen uns. Alles war in Ordnung und die Atmosphäre schien einfach perfekt, um in dieser Situation häuslichen Friedens die Katze aus dem Sack zu lassen. Ich konnte die Rufe der Tickets, die ich jetzt in einem Briefumschlag in meinem Arbeitszimmer versteckt hielt, förmlich hören. Jetzt war der Moment für den ganz großen Hammer gekommen. Wir verstanden uns prima, wir redeten sogar miteinander, wir waren – wie man so schön sagt – auf einer Wellenlänge. Sie freute sich darauf, zuzuschauen, wie ich unserem Garagentor zu neuem Glanz verhelfen würde? Ich würde ihr etwas geben, worauf man sich wirklich freuen konnte.

      Sommer, Sonne, Schirmchendrinks! Wenn ich ihr die Tickets jetzt nicht zeigen würde, wann dann?

      Ich entschuldigte mich kurz, lobte wohl zum dritten Mal an diesem Abend ihre Kochkünste, murmelte möglichst nebensächlich irgendwas von wegen »Ich bin gleich wieder da... muss nur schnell was nachsehen...« und holte den Briefumschlag. Sein Innenleben bestand, neben den beiden Tickets, aus einer Hochglanzbroschüre mit wunderschönen Fotos der Ziele, die wir auf unserer Route anlaufen würden, einer Landkarte, auf der ich schon mal den etwaigen Verlauf der Kreuzfahrt eingezeichnet hatte, sowie einem beeindruckenden Foto unseres Schiffes, der Sonne des Südens. Welch passender Name.

      Als ich wieder den Raum betrat, tupfte sich Karin gerade mit einer Papierserviette etwas Soße aus dem Mundwinkel und nahm noch einen Schluck Wasser.

      »Ist alles okay, Schatz?«

      »Ja, alles gut. Ich war nur schnell im Arbeitszimmer, etwas nachsehen. Oder besser gesagt: Ich wollte etwas holen.«

      Ich versuchte, möglichst geheimnisvoll dreinzuschauen und machte eine völlig übertriebene Geste, wie ein Magier, der vor einem faszinierten Kindergartenpublikum einen Strauß Blumen unter einem Tuch hervorzieht, doch sie war schon wieder mit ihrem Abendessen beschäftigt und bekam von meinen Bemühungen überhaupt nichts mit. So verharrte ich in affiger Pose im Esszimmer und wartete darauf, dass Karin zu mir hochschaute, doch als sie nach etwa fünf Sekunden noch immer mit Ihren Gemüse beschäftigt war, kam ich mir blöd vor und setzte mich zurück zu ihr an den Tisch.

      »Hhm.«

      »Du, Karin...?«

      Sie schaute auf. »Ja?«

      »Also... ich...«

      »Robert, ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist auf einmal so komisch...«

      »Ja, alles in Ordnung! Wirklich! Es ist nur... Na ja... Weißt du, unser