Burkhard Simon

Der Kruse


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nachmittags im „Café Waldblick“ ihren Pudel unter dem Tisch mit Pralinen mästen und den Tierarzt verklagen, wenn die kleine Trixi an Herzverfettung stirbt.

      In den vierhundert Jahren meiner Ehe hatte mein Schwiegermonster sage und schreibe vier dieser haarigen Trethupen ihrem Erschaffer zugeführt. Genauso oft hatte sie den Tierarzt gewechselt und hinterher eine regelrechte Hetzkampagne gegen ihn und seine Praxis geführt.

      Das einzige Vergehen des jeweiligen Tierarztes hatte darin gelegen, meiner Schwiegermutter immer und immer wieder vorzubeten, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass sich Hundefutter gerade unter Hunden solch hoher Beliebtheit erfreut, und Süßigkeiten doch eher was für Menschen seien.

      Falls Sie sich die Frage stellen sollten: Nein, ich mochte meine Schwiegermutter nicht besonders. Ich weiß, es ist ein Klischee und wenn man sich hinsetzt, um Seiten mit Buchstaben zu füllen, sollte man sich nicht an der Aufrechterhaltung dämlicher Klischees beteiligen, aber was soll ich machen? Meine Schwiegermutter war ja selbst ein Klischee. Sie hier anders darzustellen, würde einer Lüge gleichkommen.

      Dann doch lieber das Klischee.

      Karin und ich hatten es bislang immer verstanden, unsere Eltern – und speziell ihre Mutter – aus unseren Diskussionen auszuklammern. Schon während der Flitterwochen waren wir zu dem Entschluss gekommen, es sei besser, unsere kleinen Kabbeleien ausschließlich unter uns auszufechten. Es waren private Dinge, die weder ihre noch meine Eltern etwas angingen. Hätten wir uns nicht immer an diesen Vorsatz gehalten, glauben Sie mir, wir wären schon geschiedene Leute gewesen, bevor wir überhaupt an eine Verlobung gedacht hätten.

      Unsere Eltern kannten sich aus dem Kegelclub, doch die Clans der Kruses und der Hausers waren sich nie wirklich grün gewesen. Ich könnte Ihnen da, nur zur Verdeutlichung, die Geschichte von der Sitzordnung bei unserer Hochzeit zum Besten geben.

      Die Gäste der Braut, vom Tisch des Brautpaares aus gesehen, links, die Gäste des Bräutigams rechts, und in der Mitte, wo eigentlich hätte getanzt werden sollen, zog sich ein unsichtbarer und unüberwindlicher Graben durch den Festsaal. Wir hätten auf der improvisierten Tanzfläche ebenso gut unter viel Tschingerassabumm den letzten noch lebenden Dodo grillen können, glauben Sie mir, niemand unserer Gäste hätte das Aussterben dieses bemerkenswerten Vogels bemerkt, denn das hätte die Gefahr unmittelbaren Blickkontaktes nach sich gezogen.

      Ein tolles Fest war das damals. Sehr gemütlich, wirklich. Doch das nur am Rande.

      Und wo stand ich jetzt? Vier Jahrhunderte nach diesem schicksalhaften Tag? So, wie es aussah, stand ich erst mal alleine im Flur.

      Karin war verschwunden. Zu ihrer Mutter. Ausgerechnet zu der Pudelplätterin aus dem Ruhrpott war sie geflohen. Zu jedem anderen hätte sie gehen können. Zu einer Freundin, zum Beispiel. Das wäre wunderbar gewesen! Eine Freundin hätte sich verständnisvoll ihren Blödsinn anhören und später als Vermittlerin fungieren können. Aber nein, die ledrigen Fittiche des Drachen mussten es sein. Mutti, eben. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was jetzt unter der für die Ewigkeit ausgehärteten Dauerwelle dieser Psycho-Oma vorging. Da war natürlich in erster Linie Bestätigung, denn Margot Hauser, die unerschrockene Bezwingerin großer Teile der Wanne-Eickel'schen Hundepopulation, war insgeheim natürlich schon immer der Meinung gewesen, der Pfennigfuchser aus dem Rheinland, dieser seltsamen Gegend, in der sich die Leute einmal im Jahr zum Amüsieren als Cowboy und Indianer verkleideten, und wo billige Süßigkeiten von Anhängern aus in eine besoffen grölende Meute geworfen wurden, sei nicht der richtige Mann für ihren kleinen Engel.

      Nun war Karin wieder heimgekehrt.

      Der geheime Traum des Köterkillers war nun endlich in der Realität angelangt.

      Weitere Versuche, mit Karin Kontakt aufzunehmen, scheiterten auf die selbe klägliche Weise, wie mein erster Anlauf. So gingen die Tage langsam, unendlich langsam, ins Land, und der Termin der Abfahrt der Sonne des Südens rückte unaufhaltsam näher. Der verdammte Kahn sollte am fünfzehnten August auslaufen. Ausgerechnet an meinem Geburtstag. Als ich einige Zeit zuvor im Reisebüro die Buchung für unseren Urlaub klargemacht hatte, deutete ich dieses Datum als Omen. Als den Startschuss für den Neubeginn unserer leicht in die Jahre gekommenen Ehe. Mann und Frau gehen mit Problemen belastet an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, welches mit Hilfe der Sonne des Südens zur Rettung ihrer Ehe und einem Wiederbeleben der gegenseitigen Liebe führen sollte.

      So was in der Richtung, Sie verstehen schon.

      Jetzt stand ich da, das Geschirr stapelte sich in der Spüle, und der Neubeginn unserer Ehe schien schon vor dem Startschuss verreckt zu sein.

      Als langsam klar wurde, dass Karin wohl tatsächlich nicht mit mir auf große Fahrt gehen würde (davon ging ich aus, denn ich hatte es noch immer nicht geschafft, sie auch nur ans Telefon zu bekommen), beschloss ich schweren Herzens, die Tickets zurückzugeben und den ganzen Quatsch abzusagen. Es fiel mir nicht leicht, dass kann ich Ihnen versichern. Zu allem Überfluss schien es, als hätte sich der Wettergott in den Kopf gesetzt, mir den Gedanken einer Absage der Reise schnellstmöglich wieder auszutreiben, denn als ich mich in meinen Wagen setzte, schüttete es wie aus Eimern.

      Scheibenwischer an, raus aus der Einfahrt, Gebläse auf die Frontscheibe. Der kurze Weg von der Haustür bis zu meinem Wagen hatte ausgereicht, um meine Jacke so zu durchnässen, dass die Scheibe fast augenblicklich beschlug und ich die Lüftung voll aufdrehen musste.

      Die wirklich sehr nette junge Dame im Reisebüro zeigte viel Verständnis für meine etwas delikate Situation, die ich ihr – ohne allzu sehr ins Detail zu gehen – schilderte, während das Regenwasser vom Saum meiner Hose langsam aber sicher eine Pfütze vor ihrem Schreibtisch bildete. Sie ließ ein freundliches Lächeln zu mir hinüber wehen und bot mir einen Stuhl an. Ich setzte mich zwar, wusste aber nicht genau, warum. Die ganze Angelegenheit konnte eigentlich nicht mehr als höchstens ein paar Minuten in Anspruch nehmen, kaum Zeit genug, deshalb einen gepolsterten Stuhl zu durchnässen. Trotzdem nahm ich das Angebot an.

      Sie war hübsch. Echt hübsch. Vielleicht ein bisschen zu jung für den alten Herrn Kruse, aber hübsch. Ich erwischte mich dabei, so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu haben. Schließlich war ich ja noch immer mit Karin zusammen.

      Als mir die Reisebürotraumfrau dreißig Sekunden später eröffnete, die Stornierung der Reise sei gar kein Problem, und dass sie die Tickets gerne zurücknehmen und mir sogar ganze dreißig Prozent des Kaufpreises erstatten würde, wurde mir klar, dass sie mir den Sitzplatz nicht ohne Grund angeboten hatte. Scheinbar war sie ein Profi im Reisegewerbe und konnte sich denken, wie einem Buchhalter zumute sein musste, wenn er erfuhr, dass er für jeden ausgegebenen Euro dreißig Cent zurückbekäme. Bei der Buchung war der Begriff „Reiserücktrittsversicherung“ beiläufig erwähnt worden, wenn ich mich recht erinnere, auch mehrmals und mit steigender Dringlichkeit seitens des Verkäufers, aber die wollen einem heute ja schließlich zu jedem Mist irgendein saumäßig teueres Extra verkaufen. Ich war an diesem schicksalhaften Tag im Reisebüro erschienen, um für mich und meine Frau die Mutter aller Reisen zu buchen, und nicht um eine Versicherung abzuschließen, verdammt noch mal! Man kann heute nicht mehr für zwanzig Euro tanken, ohne dass die Schnalle an der Kasse nach der Benzin-und-mehr-Punktekarte fragt, oder ob man Mitglied im ADAC ist, oder ob man an irgendeinem beschissenen Treueprogramm teilnehmen will! Als ich also damals im Reisebüro auf eine Versicherung angesprochen wurde, hatte ich nur weltmännisch abgewunken, den Reiseverkaufsknecht müde angelächelt und dankend abgelehnt.

      Ich Idiot.

      Klar... Natürlich ist eine Reiserücktrittsversicherung grundsätzlich eine gute Sache, nur gesetzt den Fall, dass man irgendwie daran gehindert wird, eine gebuchte Reise tatsächlich anzutreten, aber was zur Hölle muss denn bitteschön passieren, damit man allen Ernstes auf eine waschechte Karibik-Kreuzfahrt verzichten möchte? Eine weltweite Invasion insektenäugiger Aliens? Und wie standen wohl die Chancen, dass man – selbst wenn man seinen Kopf unter dem Arm mit sich herumtrug – nicht versuchen würde, irgendwie an Bord eines Schiffes zu kommen, das einen in die Südsee bringt? Ich meine... Wie stehen wohl die Chancen?

      Nun, in meinem Fall standen sie bei etwa einhundert Prozent. Aber das konnte ich ja vorher noch nicht wissen.