Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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langweiligen Sitzung abhalten konnte.

      Im Badezimmerspiegel überprüfte sie noch einmal ihr Aussehen. Ihr Gesicht war auffallend blass. Dafür hatte es schon gereicht, sich gründlich abzuschminken, so völlig ohne künstliche Farben im Gesicht hatte ihr Mann sie eher selten gesehen. Das musste ihn doch einfach besorgt machen. Außerdem trug sie am helllichten Nachmittag ihren Bademantel, eine Nachlässigkeit, die sie sich sonst nie erlaubte.

      „Der blöde Gemeinderat kann lange auf ihn warten. Heute hat er Wichtigeres zu tun“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu. Und dann zog sie alle Register.

      Doch zu ihrer großen Enttäuschung bekam Gerd gar nicht mit, wie sie bühnenreif ins Wohnzimmer wankte. Theatralisch hielt sie eine Hand gegen ihre Stirn gepresst, während sie ihm die andere Hilfe suchend entgegenstreckte. „Mir geht es gar nicht gut“, jammerte sie, als sie neben der Couch angekommen war.

      Gerd gab ein unwilliges Grunzen von sich. „Was ist denn los?“, fragte er nach, ohne die Augen aufzumachen.

      „Ach, ich weiß auch nicht. Mir ist ganz elend, schon den ganzen Tag fühle ich mich so schwach. Und schwindlig ist mir auch.“

      „Kein Wunder. Von dem, was du heute gegessen hast, wird ja nicht einmal ein Spatz satt. Mach dir ein ordentliches Wurstbrot, das stellt dich wieder auf die Beine.“

      Das war nun nicht die Antwort, auf die sie gehofft hatte. „Ich könnte jetzt keinen Bissen runterkriegen“, hauchte sie und ließ sich in einen Sessel sinken.

      Endlich reagierte er. Er schlug die Augen auf und setzte sich hin. Geistesabwesend wanderte sein Blick über ihr blasses Gesicht und den hauchdünnen Bademantel, der ihre Figur umspannte. „Vielleicht kriegst du eine Erkältung. Das würde mich nicht wundern, immer diese kurzen Röcke und die dünnen Blüschen. Am besten packst du dich ins Bett und schläfst ein paar Stunden. Dann geht es dir bestimmt besser.“

      Er hörte sich ja an wie ihre Mutter! Irgendwie lief das Ganze ganz und gar nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte. „Ach, das ist dir doch im Grunde völlig egal. Ich sehe doch, dass du mit deinen Gedanken ganz woanders bist.“ Ihre Enttäuschung war nicht zu überhören.

      Ungeduldig schaute Gerd auf seine Armbanduhr. Keine Sekunde lang glaubte er daran, dass es seiner Frau wirklich nicht gut ging. Dass sie ausgerechnet heute so ein Theater vollführte, passte ihm überhaupt nicht. Er musste sich konzentrieren. Von dieser Gemeinderatssitzung hing so viel ab.

      Es ist schon ein Kreuz mit den Frauen, dachte er. Wenn sie einmal nicht die erste Geige spielten, konnten sie richtig unangenehm werden. Aber es war besser, auf sie einzugehen, bevor die Situation noch eskalierte. Einen Ehekrach konnte er jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Leise seufzend stand er auf und beugte sich über seine Frau, die jetzt wie ein nasser Sack im Sessel hing. Er streichelte ihr Gesicht und tätschelte ihr beruhigend die Wange. „Ruh dich aus. Ich bin in zwei Stunden wieder da, und dann kümmere ich mich um dich. Versprochen. Nur im Moment geht es nicht. Du weißt doch, dass ich jetzt los muss.“ Mehr konnte er nun wirklich nicht für sie tun.

      Als die Haustür kurz darauf hinter ihm zuklappte, fuhr Marlene mit einem Wutschrei aus dem Sessel hoch. „Das wirst du mir büßen, mein Lieber!“, schrie sie zornbebend. Jetzt fühlte sie sich wirklich elend. Mit schleppenden Schritten schaffte sie es bis ins Schlafzimmer, wo sie sich auf das Bett fallen ließ. So fühlte es sich also an, wenn eine Ehe am Ende war. Schluchzend zog sie die Bettdecke über sich und rollte sich zusammen. Vielleicht sollte sie wirklich eine Weile schlafen. Und danach würde sie mit neuer Kraft überlegen, wie es weiterging mit ihr und Gerd.

      9.

      Als Gerd das Rathaus betrat, hatte er Marlenes Unwohlsein schon wieder völlig vergessen. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Er hatte sich ausführlich auf die Sitzung des Gemeinderats vorbereitet, aber nun, in letzter Minute, hatte er das Nervenflattern. Dass der Punkt ‚Verschiedenes‘ als letzter auf der Tagesordnung stand, machte es nicht besser. Lang und breit wurde über eine Fußgängerampel an der Frankfurter Straße debattiert. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe! Auch der Ankauf von Streumitteln für den Winter schien ihm jetzt mitten im Sommer nicht besonders dringlich zu sein. Aber es nützte nichts, er musste sich in Geduld fassen.

      „Kurze Pause“, verkündete Hartmut Schneider, der heute die Sitzung leitete, weil der Bürgermeister verhindert war.

      „Ihr wollt doch nur eine rauchen“, maulte Gerd.

      Aber der Gemeinderat, der ausschließlich aus Männern bestand, begab sich fast geschlossen nach draußen. Gerd flüchtete auf die Herrentoilette und schloss sich in einer der Boxen ein. Während er auf dem Klo saß, ging er noch einmal seinen Sprechzettel durch. Jedes Wort musste sitzen, wenn er überzeugen wollte. Da war er Perfektionist.

      ***

      Alfred hatte Hummeln im Hintern, und er schaffte es nicht, das in den Griff zu kriegen. Schon beim Mittagessen konnte er kaum noch still sitzen. Es war nur gut, dass Marion heute auch ungewöhnlich nervös war und nichts von seiner Unruhe mitbekam. Während sie nach dem Essen in der Küche hantierte, verdrückte er sich klammheimlich und fuhr zur Gerätehalle seiner kleinen Firma. Liebevoll tätschelte er seinen Bagger und kletterte voller Elan ins Führerhaus. Dort saß er dann und starrte eine ganze Weile vor sich hin. Vor seinem geistigen Auge sah er sanft gewellte, grüne Fairways. Es würde ein wunderschöner Golfplatz werden. Und er würde ihn mit seinen eigenen Händen erschaffen, so wie der Herrgott die Welt erschaffen hatte. Er schnaufte tief durch, denn dieses erhabene Gefühl übermannte ihn, und er musste ein bisschen Tränenfeuchte hinunterschlucken. Aber dann drückte er auf den Anlasser.

      Mit einem tiefen Blubbern sprang der Motor an. Als Alfred das Gaspedal betätigte, steigerte sich das Motorengeräusch zu einem wahren Fortissimo, das das gesamte Gefährt erzittern ließ. Alfred grinste von einem Ohr bis zum anderen, dieser Klang war Musik in seinen Ohren. Mit diesen temperamentvollen Pferdchen unterm Hintern konnte sich ein Mann noch frei fühlen. Er legte den Gang ein und rangierte den Bagger elegant aus der engen Halle hinaus auf den Vorplatz. Mit keinem Geld der Welt war das Gefühl zu bezahlen, ein solches Monstrum zu beherrschen. Mit sicherer Hand lenkte Alfred den Bagger durch die Straßen des Industriegebietes und bog in die Hauptstraße ein.

      Der Weg durch den Ort glich einem Triumphzug. Immer noch verzückt lächelnd schaute Alfred auf die Autos hinunter, die von hier oben fast wie Spielzeug aussahen. Jetzt am Nachmittag war einiges los auf der Straße. Der Berufsverkehr hatte bereits eingesetzt, und auf der Landesstraße, die sich durch den gesamten Ort zog, reihte sich ein Auto ans andere. Aber Alfred hatte es nicht eilig. Gemächlich schob sich der Bagger Meter für Meter vorwärts. An einigen Stellen wurde es eng, aber mit der Routine vieler Jahre umschiffte Alfred lässig die kritischen Passagen. Nur gedämpft hörte er den Verkehrslärm um sich herum. Die Autoschlange hinter ihm wuchs schnell an, und ab und zu hupte jemand. Aber das war ihm egal. Er fühlte sich wie ein König, und wenn der König unterwegs war, hatte das Fußvolk gefälligst Platz zu machen.

      ***

      Es lief wie am Schnürchen. Als Gerd zum ersten Mal das Wort ‚Golfplatz‘ aussprach, schaute er Schneider provozierend in das fleischige Gesicht mit den verächtlich nach unten gezogenen Mundwinkeln. Etliche Köpfe ruckten interessiert nach oben, das war etwas Neues, Interessantes, mit dem niemand gerechnet hatte. Und Gerd hatte seine Hausaufgaben gemacht. Punkt für Punkt knallte er dem Gemeinderat die Fakten um die Ohren. Und die konnten sich durchaus sehen lassen. Zusätzliche Steuereinnahmen, neue Arbeitsplätze und als Sahnehäubchen der Prestigegewinn, der Gelnhausen durch den neuen Golfplatz sicher war. Er registrierte, wie die Aufmerksamkeit der Männer beträchtlich anstieg.

      „Damit katapultieren wir unsere schöne Stadt in den Fokus einer ganz neuen Klientel. Die neue Nummer Eins im Golfsport, meine Herren, Sie wissen, was das für unsere Stadtkasse bedeuten wird“, schloss er seine Rede ab.

      Innerlich triumphierend sah er, dass Schneider blass geworden war. Das hatte gesessen. Er lehnte sich zurück und lauschte zufrieden dem angeregten Gemurmel der Anwesenden. Nun kam der beste Teil, auf den er sich schon die ganze