Rotraut Mielke

Herrengolf und andere Irrtümer


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man wollte sich keine Blöße geben und erst einmal sehen, wohin der Hase lief. Aber die Debatte nahm rasant Fahrt auf, der Geräuschpegel stieg und mit ihm die allgemeine Begeisterung. Niemand, absolut niemand fand stichfeste Gegenargumente. Und Schneider war stocksauer, wie seinem Gesicht deutlich anzusehen war.

      ***

      Durch die schallisolierte Kabine war das scharrende Geräusch kaum wahrnehmbar, aber natürlich bekam es Alfred trotzdem mit. Der Bagger hatte etwas angestoßen. Und er sah auch gleich, was es war. Die Fußgängerzone wurde mit großen Blumenkübeln vom fließenden Verkehr abgegrenzt. Und einen dieser Betonbottiche hatte es erwischt. Um den Schaden machte sich Alfred keine Sorgen, der würde sich in Grenzen halten. Ärgerlich war allerdings, dass er nun erst einmal nicht weiterfahren konnte. Es war ein öffentlicher Blumenkübel, und somit musste die Polizei antraben, um ein Protokoll aufzunehmen. Er drehte den Zündschlüssel herum, und der Motor erstarb mit einem letzten Blubbern. Erst als er die Tür seiner Kabine öffnete, bemerkte er verblüfft die lange Schlange von Autos die sich hinter ihm staute. Ein Ende der Blechlawine war nicht in Sicht. Nun kam Leben in die Fahrer, Fenster wurden heruntergelassen, und zornrote Gesichter brüllten Unfreundliches in seine Richtung. Er verschränkte ungerührt die Arme vor der Brust. Das war aber auch wirklich Pech. Denn es würde dauern, bis die Sache geklärt war.

      Der Einsatzwagen hatte erhebliche Mühe, den Unfallort zu erreichen, sämtliche Straßen inklusive der stadtbekannten Schleichwege waren binnen weniger Minuten total verstopft. Alfred hatte sich eine Zigarette angesteckt, und als das wütende Hupkonzert der festsitzenden Autos immer mehr zunahm, war er wieder in sein Führerhaus zurückgeklettert. Er hatte keine Lust, sich mit irgendwelchen aufgeregten Pendlern anzulegen. Fast erleichtert sah er endlich ein Blaulicht auftauchen, und kurz darauf stiegen zwei Beamte aus dem Wagen. Der eine von ihnen war ein alter Bekannter, der würde kein großes Aufheben um die Sache machen. Den anderen Polizisten kannte er nicht. Er war noch ziemlich jung und sah reichlich verkniffen aus.

      Grüßend legte der einen Finger an seine Dienstmütze. „Führerschein und Wagenpapiere bitte“, forderte er nicht eben freundlich.

      „Tach, Ernst. Dumme Sache mit dem Kübel. Ich komm natürlich für den Schaden auf.“ Alfred beschloss, den jungen Schnösel zu ignorieren. Sein alter Kumpel Ernst kannte ihn ja, da brauchte man sich nicht mit Formalitäten abzugeben.

      Der junge Polizist schaute sauer drein. „Ihre Papiere bitte, und zwar ein bisschen plötzlich. Haben Sie nicht mitbekommen, dass Sie hier einen Stau produzieren?“

      „Hey, was soll dieser Ton?“, brauste Alfred auf und machte einen Schritt auf den schmächtigen, jungen Mann zu, der einen Kopf kleiner war als er. „Der Ernst kennt mich, das sehen Sie doch.“

      Statt einer Antwort schnüffelte der junge Beamte plötzlich misstrauisch. „Haben Sie Alkohol getrunken?“

      Alfred musste kurz überlegen. Zum Mittagessen hatte er ein Bier gehabt, wie immer. Und dann zwei Kurze zum Verdauen, auch wie immer. Das brachte so einen Kerl wie ihn doch gerade mal auf Betriebstemperatur. Dass er damit tatsächlich so einiges an Alkohol getrunken hatte, wurde ihm erst jetzt bewusst. Aber betrunken war er eindeutig nicht. „J-ja“, stotterte er schließlich. Er hatte schon zu lange mit seiner Antwort gezögert, um das noch überzeugend abstreiten zu können. „Ein Bier zum Mittagessen.“

      Der junge Schnösel schnupperte weiter. „Das war nicht nur Bier. Auf meine Nase kann ich mich verlassen.“

      Direkt lügen wollte Alfred nicht, also schwieg er lieber. Was kam jetzt, etwa eine Verwarnung?

      „Sind Sie mit einem Alkoholtest einverstanden?“

      Warum sagte Ernst eigentlich nichts? Hilfesuchend schaute Alfred ihn an, aber der schüttelte bedauernd den Kopf. Alfred zuckte ergeben mit den Schultern. „Von mir aus…“

      Die ersten Schaulustigen hatten sich versammelt, und der Kreis der Gaffer wurde schnell größer. Handys wurden gezückt, ein paar Jugendliche feixten und zeigten mit dem Finger auf ihn. Das Ganze wuchs sich zu einem größeren Spektakel aus, etwas, das er gar nicht brauchen konnte.

      „Geben Sie schon her“, knurrte er. Er nahm dem Polizisten das Messgerät aus der Hand und pustete hinein. Verblüfft betrachtete er das Messergebnis auf der Anzeige. 0,7 Promille, nie im Leben hätte er das gedacht. So allmählich machte ihn diese ganze Szene richtig wütend. Was sollte das eigentlich werden? Er hatte lediglich einen Blumenkübel umgenietet, und die machten ein Theater, als habe er jemand abgemurkst. Beleidigt zog er sein Portemonnaie aus der Hosentasche. „Ich zahle ja. Was kostet denn so ein Dings…?“

      Aber der Polizist winkte ab. „Ich fürchte, damit ist es nicht getan. Das wird weitaus schlimmer. Mit diesem Alkoholpegel hätten Sie sich gar nicht erst ans Steuer setzen dürfen. Um eine Anzeige kommen Sie nicht herum.“

      Erschüttert wandte sich Alfred an seinen Kumpel. „Sag doch auch mal was. Das kann doch alles nicht wahr sein!“

      „Das ist ein guter Bekannter von mir. Können wir da nicht mal ein Auge zudrücken?“ Ernst sprach leise auf seinen jungen Kollegen ein, aber der winkte ab.

      „Das ist wirklich zu heftig, da geht gar nichts. Außerdem, schau dir mal den Stau an. Das können wir nicht ignorieren, sonst kriegen wir selbst eins auf den Deckel.“

      Auch der gutmütige Ernst musste einsehen, dass sein Kollege Recht hatte. Da war wirklich nichts zu machen.

      Jetzt reichte es Alfred. Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zu seinem Bagger zurück. Aber als er einen Fuß auf die unterste Stufe gesetzt hatte, spürte er eine Hand schwer auf seine Schulter drücken.

      „Was haben Sie denn vor? Ihnen ist doch wohl klar, dass Sie nicht weiterfahren dürfen.“

      Mit einer unwirschen Bewegung schüttelte Alfred die Hand ab. Er riss die Kabinentür auf und zog den Zündschlüssel heraus. „Da! Fahr das Ding doch selber weg, du blöder Bulle!“

      Er drückte dem verdutzten Beamten den Schlüssel in die Hand. Mit Fäusten und Schultern bahnte er sich rücksichtslos einen Weg durch die Reihen der Zuschauer und verschwand im Gewühl der Fußgängerzone.

      Die beiden Polizisten schauten ihm nach.

      „Das mit dem Bullen haben wir nicht gehört, klar?“ Das war das einzige, das Ernst noch für seinen alten Kumpel tun konnte. Ansonsten würden die Dinge ihren Lauf nehmen.

      ***

      Es war das pure Glück. Mit siegessicherem Lächeln lauschte Gerd der aufgeregten Diskussion der Gemeinderatsmitglieder. Schneider saß stumm zwischen seinen Fraktionskollegen und starrte finster vor sich hin. Ein paar Leute waren aufgesprungen, schüttelten Gerd die Hand oder klopften ihm anerkennend auf die Schulter.

      Im Getümmel ging es völlig unter, dass Schneider plötzlich sehr interessiert auf das Display seines Handys starrte. Seine Lippen bewegten sich, als er die Nachricht halblaut mitlas. Dann stand er auf und kam auf Gerd zu. Der bemerkte ihn erst, als er unmittelbar vor ihm stand. In Schneiders Gesicht war nichts mehr von Niederlage zu sehen, ganz im Gegenteil. Mit einer energischen Handbewegung verschaffte er sich Ruhe und wartete, bis ihn alle erwartungsvoll ansahen.

      „Meine Herren, wir sind sogar jetzt schon die Nummer eins. Allerdings nur bei den Staumeldungen. Ein Bagger hat einen Unfall verursacht und legt nun die gesamte Landesstraße lahm. Der Stau reicht schon bis zur Autobahn. Und nun raten Sie mal, wem dieser Bagger gehört.“

      In Gerds Ohren rauschte das Blut, den Rest bekam er nicht mehr mit. Das konnte nur Alfred sein. Dieser verdammte Idiot! Mit seiner Ungeduld und seinen Spontanaktionen hatte er alles zunichte gemacht.

      Im Eiltempo wurde die Sitzung geschlossen. Man hatte jetzt Wichtigeres zu tun als Streusalz zu bestellen oder sich um einen Golfplatz zu kümmern. Die Verkehrssituation musste umgehend geklärt werden.

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