Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


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wo er fas­zi­niert ste­hen blieb, um in al­ler Ru­he Lo­a­nas Streit mit dem Ers­ten Koch des Schlos­ses zu ver­fol­gen:

      »Das ist doch bloß ein Kraut, Wo­nu. Bloß ein harm­lo­ses, ge­sun­des Kraut, das du für den Rot­wein­sud ver­wen­den sollst. Ich ver­lan­ge ja nichts Un­mög­li­ches. Die­ses Kraut soll nur in den ver­damm­ten Sud. Man kann es nicht schme­cken oder rie­chen. Dei­ner So­ße pas­siert al­so nichts. Aber da­mit kann ich Le­na zei­gen, wie man man­che Din­ge nutzt, oh­ne dass an­de­re es be­mer­ken. Das ist wich­tig, ver­stehst du?« Lo­a­na fuch­tel­te wild mit ei­nem Bün­del, das nach Vi­tus‘ Ein­druck wie ge­trock­ne­tes Gras aus­sah, vor Wo­nus Na­se her­um. »Ach, weißt du was, du Koch­löf­fel­schwin­ger? Ich kann dich nicht im­mer mit Woll­hand­schu­hen an­fas­sen, hörst du? Ich bin dei­ne Kö­ni­gin und du han­delst ge­fäl­ligst nach mei­nen Bo­ten!«

      Wü­tend hielt sie dem gleich­sam wü­ten­den Koch das Bü­schel un­schein­ba­ren Krauts hin. Der nahm es ihr mit spit­zen Fin­gern und ei­nem de­mon­s­tra­tiv lau­ten, da­zu ein­deu­tig pro­tes­tie­ren­den Schnau­ben ab.

      »Wir wer­den ja se­hen, ob es mei­nem Ge­richt scha­det oder nicht«, me­cker­te er. »Du trägst die Ver­ant­wor­tung da­für. Bis­her sind mir mei­ne Spei­sen im­mer sehr gut ge­lun­gen, mei­ne Kö­ni­gin.« Er blitz­te Lo­a­na mit sei­nen klei­nen schwa­r­zen Kä­ferau­gen bö­se an. »Das soll auch so blei­ben!«

      In ih­rem Zorn hat­ten sie bei­de nicht be­merkt, dass Vi­tus im Tür­rah­men stand. Des­halb stapf­te Wo­nu nun mit dem Bü­schel in der Hand in Rich­tung Spü­le. Da­bei brum­mel­te er laut vor sich hin, frag­te sich noch da­zu, was das mit den »Woll­hand­schu­hen« und »Bo­ten« wohl wie­der mal zu be­deu­ten hät­te. Derb flu­chend wa­rf das Kraut zum Wa­schen ins Be­cken.

      Die Hän­de zu Fäus­ten in die Hüf­ten ge­stemmt dreh­te sich Lo­a­na der­weil mit sicht­lich zu­frie­de­ner Mie­ne um und stieß ge­ra­de­wegs mit ih­rem Mann zu­sam­men. So­fort ver­dun­kel­te sich ihr Blick. Sie press­te die Lip­pen zu ei­nem schma­len Strich zu­sam­men, wäh­rend sie ein paar edel­stein­grü­ne Fun­ken auf ihn ab­feu­er­te. »Mit Woll­hand­schu­hen kommt man bei dem nun mal nicht wei­ter, ge­nau wie beim Gärt­ner. Da­bei bin ich ei­gent­lich über­haupt nicht der Typ für Bo­ten. Das weißt du ge­nau, mein Kö­nig.«

      Vi­tus mus­ter­te sei­ne wun­der­schö­ne Frau von oben bis un­ten. Im­mer aufs Neue er­staun­ten, ja, er­reg­ten ihn ihr An­blick und ihr Geist. Dann setz­te er zu ei­nem schie­fen Grin­sen an und sag­te nur drei Wor­te: »Samt-hand­schu­he und Ge-bo­te.«

      »Oh«, war ih­re schlich­te Ant­wort.

      Lo­a­nas Mie­ne wur­de sanft, ihr Mund wie­der voll und sinn­lich. Sie sah Vi­tus mit ei­nem sü­ßen Lä­cheln an, stell­te sich auf die Ze­hen­spit­zen und gab ihm einen klei­nen Kuss. Er hielt sie fest, hob sie hoch, als sie sich von ihm lö­sen woll­te, und ver­tief­te den Kuss, bis sie nach Atem rang. Da­nach stell­te er sie auf die Fü­ße zu­rück.

      »Du willst uns al­so zum Abend­es­sen ein Kraut un­ter­ju­beln?«, er­kun­dig­te er sich.

      »Das ist ein sehr gu­tes Kraut. Ich hab es ge­sam­melt, als wir an der bre­to­ni­schen Küs­te an Land ge­gan­gen sind. Es wächst bis­lang nur dort. Und falls die­ser starr­köp­fi­ge Gärt­ner es end­lich zu­lässt, wer­de ich ver­su­chen, es hier zu kul­ti­vie­ren.«

      Lei­se flu­chend stell­te Vi­tus fest, dass Lo­a­na ih­re Ge­dan­ken sorg­fäl­tig ab­schirm­te, als er dar­in her­um­stö­ber­te. »Oh nein, mein Kö­nig, die Wir­kung die­ses Ge­wäch­ses ver­ra­te ich dir nicht. Noch nicht. Es ist zwar sehr stark, den­noch ab­so­lut harm­los, glaub mir. Sonst wür­de ich das nicht tun. Aber Le­na kann am meis­ten von mir ler­nen, wenn ich ihr prak­ti­sche Grund­la­gen ver­schaf­fe.«

      Vi­tus dach­te nach, was Lo­a­na ihm of­fen­bar so­fort an­sah. Schnell füg­te sie hin­zu: »Vi­tus, es ist ein gu­tes Kraut. Auch für un­se­re Ba­bys.« Sie nahm sei­ne Hand und leg­te sie auf ih­ren Bauch. »Un­se­re Ba­bys«, wie­der­hol­te sie flüs­ternd.

      ***

      Da Vi­tus kö­nig­lich stei­fe Zwän­ge zu­tiefst ver­ab­scheu­te, fan­den sich sei­ne Fa­mi­lie, sei­ne sechs Wach­leu­te, Freun­de und die meis­ten sei­ner Gäs­te fast aus­schließ­lich in der Kü­che am rie­si­gen Tisch zum Es­sen ein. Der gro­ße Spei­se­saal – mit den fun­keln­den Lüs­tern, ho­heits­vol­len Stuck­ver­zie­run­gen an den De­cken und be­ein­dru­cken­dem Ka­min – war grund­sätz­lich be­son­ders fest­li­chen An­läs­sen vor­be­hal­ten oder dien­te als Treff­punkt, falls der Platz in der Schloss­kü­che doch ein­mal nicht aus­reich­te.

      Es hat­te Vi­tus ei­ni­ges an Ge­duld ab­ver­langt, sei­ne sechs Wach­leu­te da­von zu über­zeu­gen, dass sie zu sei­ner Fa­mi­lie ge­hör­ten, und sie da­zu zu be­we­gen, re­gel­mä­ßig mit ihm am Kü­chen­tisch zu spei­sen. Nach an­fäng­li­chem Zö­gern fan­den sie all­mäh­lich Ge­fal­len dar­an.

      So ge­stal­te­te sich auch das heu­ti­ge Abend­es­sen zu ei­nem ge­müt­li­chen Bei­sam­men­sein. Und zwar oh­ne Be­diens­te­te, oh­ne Be­nimm­re­geln, oh­ne Pro­to­kol­le – oh­ne Vor­be­hal­te. Je­der konn­te sich nach sei­ner Fas­son am Buf­fet be­die­nen. Ei­ne prak­ti­sche Sa­che, falls ein­mal je­mand nicht pünkt­lich da sein könn­te.

      Trotz­dem ach­te­te Vi­tus bei sei­ner Gat­tin und den bei­den Nell-Frau­en stets dar­auf, dass ih­re Tel­ler gut ge­füllt und dann auch ge­leert wur­den.

      Als er An­na am Tre­sen ste­hen sah, fiel ihm auf, dass sie die Auf­re­gung rund um die Ge­richts­ver­hand­lung ei­ni­ge Ki­lo ge­kos­tet hat­te. Die­se neue Ho­se schien ihr förm­lich von den Hüf­ten zu rut­schen. Das ging wirk­lich nicht so wei­ter. Manch­mal wirk­te An­na so zart und äthe­risch, wie die Men­schen sich die El­fen in ih­ren Fan­tasi­en oft vor­stell­ten. Sei­ne Ve­ro­ni­ka hat­te da­mals ge­nau­so aus­ge­se­hen, kam es ihm in den Sinn. So­fort ver­wa­rf er den Ge­dan­ken an sie, ver­setz­te er ihm doch nach wie vor einen bit­te­ren Stich.

      Auch Lo­a­na war eher klein und zier­lich. Vi­tus schmun­zel­te bei ih­rem An­blick so­wie dem von An­na und sei­nem Sohn.

      Dar­auf­hin ließ er sei­nen Blick zu Sen­tran und Le­na glei­ten. Noch so ein un­glei­ches Paar, dach­te er.

      Le­na sah ih­rer Schwes­ter aus­ge­spro­chen ähn­lich, mit dem lan­gen gold­blon­den Haar. Nur trug sie kei­ne Bril­le und war ein paar Zen­ti­me­ter grö­ßer als An­na. Da Sen­tran al­ler­dings zwei Me­ter maß und als Wach­mann ei­ne be­son­ders aus­ge­präg­te Mus­ku­la­tur auf­wies, sprang je­dem der dras­ti­sche Ge­gen­satz zwi­schen den bei­den ins Au­ge.

      Un­ver­kenn­bar hat­ten sie al­le drei – er, Vik­tor und Sen­tran – ei­ne Schwä­che für solch zar­te Ge­schöp­fe.

      Die­ser Ein­druck von Zer­brech­lich­keit war rein äu­ße­r­lich zu be­trach­ten, mein­te Vi­tus. Denn es han­del­te sich bei al­len drei Frau­en um aus­ge­spro­chen star­ke Per­sön­lich­kei­ten. Auch bei den Nell-Schwes­tern, die sich trotz ih­rer Ju­gend, ge­nau wie Vik­to­ria, von ih­ren Män­nern nichts sa­gen lie­ßen oder die­se aber in dem Glau­ben lie­ßen, sie wür­den es ih­nen recht ma­chen. An­na hat­te zwar et­was län­ger ge­braucht, um ihr Selbst­be­wusst­sein auf­zu­bau­en, und war sich des­sen noch nicht im­mer be­wusst, aber