Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


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sei harm­los. Ich hat­te aber eher das Ge­fühl, es bringt uns um.«

      Er räus­per­te sich, al­ler­dings nicht oh­ne ein schalk­haf­tes Fun­keln in sei­nen Au­gen. »Ver­steh mich bit­te nicht falsch. Es war ei­ne aus­neh­mend an­ge­neh­me Er­fah­rung. Den­noch wür­de ich sie nicht ge­ra­de als harm­los be­zeich­nen.«

      »Jec­tam för­dert ex­trem die Kon­zen­tra­ti­on«, klär­te Le­na die an­de­ren auf, die völ­lig ah­nungs­los wa­ren und des­halb mit die­sem Ge­spräch über­haupt nichts hat­ten an­fan­gen kön­nen.

      »Te!«, schnaub­te Vi­tus. »Nennt man das jetzt so? Kon­zen­tra­ti­on

      Lo­a­na setz­te Le­n­as Er­klä­rung un­be­irrt fort: »Ich ha­be das Kraut ges­tern von Wo­nu un­ters Es­sen mi­schen las­sen. Es ist ge­schmacks- und ge­ruchs­neu­tral, ver­liert aber nicht sei­ne Wir­kung, wenn man es kocht.« Sie kau­te ver­le­gen auf der Un­ter­lip­pe. »Na ja, viel­leicht ver­stärkt sich die Wir­kung durch das Ko­chen noch ein biss­chen.«

      »Ein biss­chen?«, fuhr Vi­tus wie­der da­zwi­schen.

      »Ja, ein biss­chen«, be­harr­te Lo­a­na auf ih­rer Mei­nung. »Ihr denkt jetzt be­stimmt, Jec­tam sei eher ei­ne Art ero­ti­sche Dro­ge als ein Mit­tel zur Kon­zen­tra­ti­ons­stei­ge­rung. Schließ­lich hat­ten wir in die­ser Nacht al­le ei­ne in­ten­si­ve Er­fah­rung, falls ich mich nicht ir­re. Trotz­dem ist und bleibt Jec­tam ei­ne Heil­pflan­ze, die al­lein die Auf­merk­sam­keit, Acht­sam­keit, An­span­nung und Aus­dau­er be­ein­flusst. Mehr nicht.«

      Vi­tus kratz­te sich am Kopf. »Das hat sich heu­te Nacht nicht be­son­ders nach Acht­sam­keit an­ge­fühlt, Ke­ned. Und du kannst das nicht leug­nen. Du warst schließ­lich da­bei.«

      Vi­tus sprach in der ihm so ty­pisch of­fe­nen Art wei­ter: »Ich ha­be es für gren­zen­lo­ses Be­geh­ren ge­hal­ten und fin­de den Ge­dan­ken, dass die­ses Ge­fühl al­lein durch ein mick­ri­ges Kraut er­zeugt wur­de, ei­gent­lich furcht­bar scha­de.«

      »Das ist es aber nicht, Vi­tus. Jec­tam ver­stärkt und in­ten­si­viert aus­nahms­los das, was ich eben ge­nannt ha­be. Der Rest kommt von ei­nem selbst. Wä­re, hhm, sa­gen wir mal Eti­ta statt mei­ner im Schlaf­ge­mach ge­we­sen, hät­test du sie nie­mals an­ge­rührt, glau­be mir. Das funk­tio­niert nur mit be­reits vor­han­de­nen Emo­ti­o­nen. Au­ßer­dem hät­test du je­der­zeit auf­hö­ren kön­nen, wenn du ge­wollt hät­test, oder ich.«

      »Mmh mmh«, murr­te Vi­tus un­gläu­big und schüt­tel­te da­bei den Kopf. »Und was lehrt es dich und Le­na nun?«

      »In der Heil­kun­de wird es na­tür­lich an­ders ein­ge­setzt. Tja, und man soll­te es viel­leicht wirk­lich nicht ko­chen.« Den zwei­ten Satz hat­te sie mehr an sich selbst ge­rich­tet. Sie mach­te sich den ge­dank­li­chen Ver­merk, die ver­stär­ken­de Wir­kung ge­nau­er zu er­for­schen, schließ­lich hat­te sie die­ses Kraut seit vie­len Jah­ren nicht mehr ver­wen­det.

      Dann blick­te sie er­neut in die Run­de. »Es hilft zum Bei­spiel bei Denk­blo­cka­den. Man kann mit sei­ner Hil­fe ein be­stimm­tes Ziel in den al­lei­ni­gen Fo­kus stel­len. Über­dies ver­mag es von star­ken Schmer­zen ab­zu­len­ken. Es ist al­so äu­ßerst viel­fäl­tig ein­setz­bar.«

      Als sie Vi­tus‘ Blick be­geg­ne­te, füg­te sie noch hin­zu: »Ja­ja, und es kann, bei se­xu­el­ler Kom­pa­ti­bi­li­tät, zu äu­ßerst ero­ti­schen Zu­stän­den füh­ren.« Mit ei­ner klei­nen Ges­te ge­bot Lo­a­na den an­de­ren, zu schwei­gen. »Die­sen zu­letzt ge­nann­ten Zu­stand kann man durch Stei­ge­rung der ei­ge­nen men­ta­len Kon­zen­tra­ti­on all­zeit wie­der er­rei­chen, auch oh­ne Ver­wen­dung von Jec­tam. Al­so, kei­ne Sor­ge.«

      All­ge­mei­nes Mur­meln durch­brach die fol­gen­de Stil­le. Lo­a­na muss­te la­chen. »Es ist da­her kein Pro­blem, der­ar­tig, hhm, nun ja, sa­gen wir mal, reiz­vol­le Mo­men­te er­neut zu er­le­ben. Da­für be­nö­tigt man Jec­tam ei­gent­lich nicht. Aber es kann halt sehr in­spi­rie­rend sein.«

      Sie wand­te sich wie­der an Le­na: »Du siehst al­so, wie schnell man mit ein paar Kräu­tern an­de­re be­ein­flus­sen und ma­ni­pu­lie­ren kann. Das war ei­ne ein­ma­li­ge De­mon­s­tra­ti­on der Macht der Kräu­ter, um dich über dei­ne Ver­ant­wor­tung im Um­gang da­mit zu leh­ren. Ich ge­be dir gleich ein paar Auf­zeich­nun­gen mit. Dar­in kannst du al­les über Jec­tam und an­de­re Ge­wäch­se nach­schla­gen.«

      Sie lä­chel­te schel­misch. »Du brauchst üb­ri­gens gar nicht in eu­rem In­ta­netz nach­zu­schau­en. Jec­tam wächst aus­schließ­lich im El­fen­land und dort oben­drein nur an der bre­to­ni­schen Küs­te. Wir bei­de soll­ten trotz­dem ver­su­chen, es hier im Schloss­gar­ten zu zie­hen.«

      Sie stand auf und ging zur Kü­chen­the­ke. »So, ich hab noch et­was Hun­ger.«

      Wäh­rend sie sich die Erd­bee­ren mit Quark ge­ni­e­ße­risch zu Ge­mü­te führ­te, ließ sie den Blick durch die Run­de schwei­fen.

      War die Wir­kung des Jec­tam-Krau­tes viel­leicht ein klein we­nig hef­tig aus­ge­fal­len, so hat­te sich ih­re The­o­rie über die Re­ak­ti­on den­noch in al­len Punk­ten be­wahr­hei­tet. Das wog ihr schlech­tes Ge­wis­sen auf:

      Jec­tam war in vie­ler­lei Hin­sicht ein ef­fi­zi­en­tes Heil­mit­tel. Da­zu müss­te man al­ler­dings zu­vor sehr viel über den in­ne­ren see­li­schen Zu­stand des zu Hei­len­den er­fah­ren, um das Ge­wächs ge­zielt an­wen­den zu kön­nen. Es wä­re si­cher­lich hoch­in­ter­es­sant, es im hei­mi­schen Kräu­ter­gar­ten zu züch­ten, da­mit sie es je­der­zeit für di­ver­se Zwe­cke ein­set­zen könn­te, über­leg­te sie.

      An­de­re?

      An­na war schon ein­mal in die Ber­ge ge­reist, ge­nau­er ge­sagt, zwei­mal:

      … Beim ers­ten Mal ver­brach­ten die Nells ih­ren jähr­li­chen Som­mer­ur­laub vor ei­ni­ger Zeit, ent­ge­gen sons­ti­ger Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on, nicht auf ih­rer west­frie­si­schen Nord­see­in­sel, son­dern im All­gäu. Dort un­ter­nah­men sie vie­le Aus­flü­ge und Wan­de­run­gen.

      Na­tür­lich wur­den so­wohl Schloss Neu­schwan­stein als auch die Klös­ter Et­tal und An­dechs be­sich­tigt, nicht zu­letzt Mün­chen, ja, so­gar Sa­lz­burg und Inns­bruck be­sucht.

      Es ge­fiel ih­nen durch­aus, auf Ber­ge zu kra­xeln und die­se be­ein­dru­cken­de Welt zu er­kun­den. Den­noch wa­ren sie sich ei­nig, das Meer zu be­vor­zu­gen und die nächs­ten Som­mer­fe­ri­en wie­der dort zu ver­brin­gen.

      Das zwei­te Mal nahm sie mit ih­rer da­ma­li­gen Schul­klas­se an ei­nem ein­wö­chi­gen Ski­aus­flug nach Ös­ter­reich teil. Auch die win­ter­li­che Berg­welt fas­zi­nier­te An­na.

      Be­son­ders das Ski­fah­ren be­rei­te­te ihr rie­si­gen Spaß, trotz der häu­fi­gen Hän­se­lei­en ih­rer Mit­schü­ler. Die konn­ten ihr die Freu­de an die­ser Klas­sen­fahrt nicht ver­lei­den.

      Sie ge­noss den Schul­aus­flug in vol­len Zü­gen, ob­gleich sie sich in den Ber­gen schon beim ers­ten Mal nicht hun­dert­pro­zen­tig wohl ge­fühlt hat­te.

      Ihr