Agnes M. Holdborg

Sonnenwarm und Regensanft - Band 4


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un­auf­hör­lich aus­ein­an­der­klaff­te. Des­halb such­ten wir wei­ter.«

      Vik­to­ri­as Blick wur­de weich und ver­träumt. »Bei mir en­de­te die Su­che in dem Au­gen­blick, als ich vor fast drei Jah­ren Ke­tu zum ers­ten Mal be­geg­ne­te. Ich war da­mals furcht­bar un­g­lü­ck­lich, weil er mei­ne Ge­füh­le nicht zu er­wi­dern schien. Den­noch woll­te ich nie­mand an­de­ren mehr. Ich woll­te bloß noch ihn und wuss­te gleich, dass er der­je­ni­ge wä­re, der mei­ne Lee­re fül­len könn­te.« Sie seufz­te er­neut. »Es hat dann zwar noch mehr als zwei Jah­re ge­dau­ert, bis er sich end­lich ge­traut hat, der Toch­ter des Kö­nigs sei­ne Lie­be zu ge­ste­hen. Na ja, bes­ser spät als nie, nicht wahr?«

      Wie­der leg­te sie ih­re Hän­de an An­nas Ge­sicht und die ließ es re­si­gniert ge­sche­hen. Die Fa­r­be be­kä­me sie schon noch weg. Viel wich­ti­ger wa­ren ihr Vik­to­ri­as fas­zi­nie­ren­de Wor­te:

      »Bei Vik­tor hat es län­ger ge­dau­ert. Als er dich das ers­te Mal im Wald er­blick­te, An­na, da wuss­te er, dass sei­ne Su­che be­en­det war. Er hat sich vom ers­ten Au­gen­blick an in dich ver­liebt. Und das weißt du. Das weißt du ganz ge­nau. Nur du bist da­zu in der La­ge, sei­ne in­ne­re Lee­re zu fül­len und sei­ne Sehn­sucht zu stil­len. Nur du zählst für ihn. All die an­de­ren Frau­en hat­te er in dem Mo­ment ver­ges­sen, in dem du in sein Le­ben ge­tre­ten bist. Und ge­nau das ist der Grund, war­um er dir nie et­was da­von er­zählt hat.«

      Vik­to­ria lie­fen di­cke Trä­nen über das fa­rb­ver­schmier­te Ge­sicht. »Ich weiß das, An­na. Nicht nur, weil ich sei­ne Schwes­ter bin, son­dern weil ich haar­ge­nau das­sel­be bei Ke­tu emp­fun­den ha­be. Al­le Jun­gen, al­le Män­ner, die ich vor ihm kann­te, wa­ren von ei­ner Se­kun­de zur an­de­ren völ­lig egal, to­tal un­wich­tig. Sie wa­ren ver­ges­sen. Al­lein Ke­tu zähl­te. So wie du für Vik­tor.«

      Auch An­na wein­te. Un­ge­ach­tet der Tat­sa­che, dass sie da­mit ih­re neue Blu­se end­gül­tig ru­i­nier­te, fiel sie Vik­to­ria in die Ar­me.

      »Ach, Vik­to­ria, was bin ich doch für ei­ne blö­de Kuh?«, schluchz­te sie. »Es tut mir leid. Es tut mir ja so furcht­bar leid. Ich war so dumm.«

      ***

      Vik­to­ria hielt An­na trös­tend in den Ar­men und fühl­te sich da­bei auf son­der­ba­re Wei­se selbst ge­trös­tet. Die Er­in­ne­run­gen an die Zeit, in der sie sich der Lie­be ih­res Va­ters nicht si­cher ge­we­sen war, in der sie sich des­halb um­so mehr nach der Lie­be ih­rer Mut­ter ge­sehnt hat­te, tra­fen sie voll­kom­men un­vor­be­rei­tet. Die Emo­ti­o­nen über­flu­te­ten ihr Herz, er­schüt­ter­ten es in sei­nen Grund­fes­ten. Nie­mals hät­te Vik­to­ria an­ge­nom­men, dass die­se Sehn­sucht in ei­ner der­art gna­den­los bru­ta­len Wei­se wie­der in ihr auf­stei­gen und sie kom­plett aus der Fas­sung brin­gen könn­te. Von hef­ti­gen Wein­krämp­fen ge­schüt­telt woll­te sie sich von An­na lö­sen, doch die hielt sie fest.

      »Nicht, Vik­to­ria! Wen­de dich nicht ab. Lass es raus.«

      Froh dar­über, dass sie sich ge­gen­sei­tig hiel­ten, stan­den die bei­den ei­ne gan­ze Wei­le in Vik­to­ri­as Zim­mer und ga­ben sich ih­ren Trä­nen hem­mungs­los hin. Da­bei hat­ten sie die Zeit voll­kom­men aus dem Blick ver­lo­ren und zuck­ten bei­de über­rascht zu­sam­men, als Vik­tor, Ke­tu und auch Vi­tus zur Tür her­ein­platz­ten.

      »Was, um al­les in der Men­schen- und El­fen­welt, ist denn hier los?«, woll­te Vi­tus wis­sen, ob­wohl er die Ge­füh­le der Frau­en ein­deu­tig wahr­ge­nom­men hat­te.

      Für ei­ne Se­kun­de blieb sein Ge­sicht ab­so­lut aus­drucks­los, ehe es sich zu ei­ner schmerz­er­füll­ten Mie­ne ver­zog. Er riss Vik­to­ria in sei­ne Ar­me und hielt sie ein­fach nur fest. Un­ter­des­sen sah er zu An­na und Ke­tu.

      »Wür­det ihr Vik­to­ria, Vik­tor und mich bit­te kurz al­lein las­sen?«

      Die bei­den nick­ten stumm und gin­gen schwei­gend hin­un­ter in die Kü­che.

      ***

      An­na konn­te sich nicht be­ru­hi­gen. Sie war fas­sungs­los. Was hat­te sie da mit ih­rer blöd­sin­ni­gen, ego­is­ti­schen Ei­fer­sucht an­ge­rich­tet? Was hat­te sie sich nur da­bei ge­dacht? Dumm und an­ma­ßend, wie sie war, hat­te sie doch tat­säch­lich ge­glaubt, das See­len­le­ben der Zwil­lin­ge in­zwi­schen zu ken­nen, ins­be­son­de­re Vik­tors. Doch das war ein ge­wal­ti­ger Irr­tum. Dass er ihr einen der­art wich­ti­gen Teil eben die­ses See­len­le­bens ver­schwie­gen hat­te, schmerz­te sie viel­mehr, als dass es sie ver­wirr­te. Sie konn­te sich ein­fach nicht er­klä­ren, war­um Vik­tor ihr von die­sen an­de­ren Frau­en rein gar nichts er­zählt hat­te. Nun wur­de ihr be­wusst, dass es ihr nie­mals ge­lin­gen wür­de, ihn voll­ends zu ver­ste­hen, und das tat ihr weh.

      Sie hat­te schließ­lich im­mer ih­re ei­ge­nen El­tern um sich ge­habt, war sich de­ren Lie­be und Für­sor­ge stets ge­wiss. Solch schlim­mer Ver­lust, in­ne­re Lee­re oder quä­len­de Sehn­sucht, wie Vik­to­ria sie be­schrie­ben hat­te, wa­ren ihr un­be­kannt. Doch an­statt sich Ge­dan­ken dar­über zu ma­chen, war sie über Vik­to­ria her­ge­fal­len und hat­te sie qua­si da­zu ge­nö­tigt, sich die­ser Ge­füh­le er­neut zu er­in­nern.

      An­na war sau­er auf sich selbst. Was war sie doch für ei­ne be­scheu­er­te Zie­ge?, dach­te sie grim­mig. Dumm, ego­is­tisch, un­sen­si­bel!

      »An­na, hör auf da­mit!«, be­fahl ihr Ke­tu mit ei­nem Mal und hielt ih­re Hän­de fest.

      Erst jetzt be­merk­te sie, dass sie ei­gent­lich da­bei ge­we­sen war, Kaf­fee zu ko­chen, was zu die­ser Uhr­zeit blan­ker Un­sinn war. Au­ßer­dem hat­te sie, statt Was­ser in die Kaf­fee­ma­schi­ne zu fül­len, da­mit be­gon­nen, ih­re Hän­de zu schrub­ben. So, als woll­te sie al­les von sich ab­wa­schen. Nicht nur die Fa­r­be, son­dern al­les: all den Trüb­sinn, die Trau­er, ihr schlech­tes Ge­wis­sen, ih­re Zwei­fel. Al­les! Das Gan­ze war in ihr hoch­ge­kocht und soll­te ein­fach nur weg, weg, weg!

      Ehe sie sich ver­sah, be­gann Ke­tu, ihr mit ei­nem Kü­chen­tuch die Hän­de ab­zu­trock­nen. Als er sie wäh­rend­des­sen nä­her be­trach­te­te, husch­te ihm ein Lä­cheln über die Lip­pen.

      »Du hast Vik­to­ria beim Ma­len ge­stört«, stell­te er lei­se fest, nahm ein Pa­pier­tuch, be­feuch­te­te es un­ter dem Was­ser­hahn und be­gann, vor­sich­tig ihr Ge­sicht ab­zu­wi­schen. Da­bei schüt­tel­te er wei­ter­hin lä­chelnd den Kopf. »Wie oft sie mich schon mit Fa­r­be be­kle­ckert hat. Ich ha­be mir des­halb so­gar in ei­nem Dro­ge­rie­markt der Men­schen­welt sol­che Na­gel­lack­ent­fer­ner-Tü­cher be­sorgt. Da­mit be­kommt man das Zeug am bes­ten run­ter. Lei­der ha­be ich die letz­ten Tü­cher be­reits ver­braucht.«

      Er be­sah sich An­na noch ein­mal ge­nau­er. »Na ja, ein biss­chen bes­ser ist es schon. Aber dei­ne Blu­se ist lei­der hin, An­na. Tut mir leid.«

      Ke­tu war so lieb zu ihr. Viel zu lieb, das hat­te sie gar nicht ver­dient, fand An­na und konn­te ihr Schluch­zen nicht zu­rück­hal­ten

      »Hey, nicht wie­der wei­nen«, flüs­ter­te er. »Du hast doch gar nichts falsch ge­macht.«

      Ke­tu schob sie am Arm Rich­tung Wohn­zim­mer, um sie dort auf einen Ses­sel zu drü­cken. Da­nach eil­te er zur Kü­che zu­rück und brach­te ihr