Thomas Helm

Ost-wärts


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      Also weg von hier dachte er. Denn, als Spanner erwischt zu werden das durfte er mit Sicherheit nicht!

      Was er allerdings bei seinem letzten Blick ins Zimmer sah, dass trieb ihm fast die Schamröte ins Gesicht.

      Zumindest bestätigten sich damit vollauf die vagen Vermutungen. Jene, die er und Zernick am Nachmittag etwas belustigt geäußert hatten.

      Knäbelein, übermäßig dick und massig, nur mit einem gestreiften Bademantel bekleidet stand plötzlich dicht vor Rehnhack. Er streckte seine wurstigen Hände nach dem breitschultrigen Mann aus und zog ihn heftig an sich heran. Beide Männer küssten sich daraufhin lange und mit sichtlicher Gier.

      Faber stockte der Atem, als sich Rehnhack rasch des Pullovers entledigte und Knäbelein den Bademantel von den Schultern riss.

      Nackt und rosig wie ein großes Schweinchen warf sich der schwammige Funktionär rücklings auf das Bett. Wo er sich mit den Ellenbogen auf dem Laken aufstützte. Mit weit aufgerissenen Augen und einem teuflischen Grinsen starrte er auf Rehnhack.

      Der zerrte sich hastig die restlichen Klamotten herab.

      Fabers Herz schien fast aus dem Takt zu geraten, obwohl er nicht sehen konnte, was der Brigadier dem Funktionär soeben präsentierte. Atemlos beobachtete er, wie sich Rehnhack, nackt, breitschultrig und knackig zwischen die gespreizten dicken Schenkel von Knäbelein auf den Boden kniete. Mit seinen Pranken griff er unter dessen weißen, mächtigen Bauch. Hastig stopfte er sich sogleich das, was ihm da anscheinend entgegen wuchs, in den Mund.

      Faber stand wie gebannt. Derartiges hatte er noch nie gesehen! Doch, als Knäbelein sich unvermittelt umdrehte, aufs Bett kniete und Rehnhack den dicken Hintern entgegenreckte passierte es.

      Der Sicherheitschef wurde plötzlich von einem Hustenanfall gewürgt.

      So schnell es ihm möglich war stieg er von der vereisten Treppe herab und lief los. Erst zwei Eingänge weiter blieb er stehen und hustete ab.

      Dass er unvermittelt eine derartige Szene präsentiert bekam, haute ihn fast um. Merkwürdigerweise ging ihm jedoch das soeben gesehene stärker ans Gemüt als der morgendliche Leichenfund!

      Nachdenklich aber dennoch mit einem wachen Blick strebte Faber seiner Wohnunterkunft entgegen. Für heute hatte er wahrlich genug erlebt! Schluss, aus, Feierabend!

       Baufeld Prokowski unweit des Wohnlagers (Samstagnacht)

      Am Rande des Baufeldes dicht am hinteren Zaun stand ein rostiger Aufenthaltscontainer. Darin saßen sich zu später Stunde Kolja Bruhns und der Transportmeister vom Spezialtransport, Arno Schimmel, gegenüber.

      Seit langen Minuten schwiegen sie. Die Stille in der eiskalten Kiste unterbrach nur das monotone Klopfen, das Bruhns mit seinem Feuerzeug auf der Tischplatte erzeugte. Zudem rauschte der Heizkörper neben der Tür.

      Mehrere Umkleidespinde aus Presspanplatten reihten sich beiderseits an den Wänden. Obenauf lagen Arbeitsschutzhelme, vergessene Handschuhe, alte Zeitungen und rostiges Werkzeug.

      Die Luft in diesem 40-Zoll-Container roch muffig. An der Decke und in den Ecken hingen Tropfen von Kondenswasser. Zwei Leuchtstofflampen gaben kaltes, bläulich–weißes Licht.

      Draußen wo sich der Schnee am Container fast mannshoch türmte, begann nach nur wenigen Metern der Waldrand. Ein breiter mit Splitt gestreuter Trampelpfad führte vom Fahrweg her zur Tür des Containers.

      Nur gelegentlich drangen gedämpfte Arbeitsgeräusche bis in diese abgelegene Ecke des Baufeldes. Grelle Lichtbögen warfen ab und zu ihr grelles Licht durch die klirrend kalte Nacht.

      Wegen der Faschingsfeier im Wohnlager arbeiteten heute in der Nachtschicht nur wenige Kumpels.

      Vor dem Container stand ein ARO-Diesel.

      Mit dem waren Bruhns und Schimmel nach dem Abendessen gemeinsam aufs Baufeld gefahren, um sich hier auszusprechen.

      Die beiden Männer starrten sich an.

      Bruhns schob mit dem Finger einige Krümel von der schmutzigen Wachstuchdecke des Tisches.

      Schimmel hingegen sog nervös an seiner Zigarette. Er strich sich das strähnige, ungepflegte Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel aus dem Gesicht. Unruhig kratzte er über die grauen Bartstoppeln. Plötzlich räusperte er sich. Und zum wiederholten Male musste sich Bruhns das weinerliche Gejammer seines Gegenübers anhören. »Mensch Kolja! Ich kann seit Wochen nicht mehr ruhig schlafen!«, begann Schimmel seine Litanei und starrte Bruhns dabei aus rot umrandeten Augen an. »Ich kann die Sache kaum noch wegsaufen! Und bei den Russenweibern liege ich auch nur noch ’rum wie ’n schlapper Waschlappen. Scheiße! Ich verkrafte das nicht, was wir da gemacht haben. Verdammter Mist. Immer auf dieser ewig langen Rückfahrt vom Verdichter her kommt’s mir hoch. Da geht mir die Sache durch den Kopf und ich werde vom Grübeln fast verrückt!« Mit dem Handrücken wischte er sich den Rotz von der tropfenden Nase, bevor er sie heftig hochzog. »Warum nur? Wieso musstest du mir das alles erzählen? Wenn ich es mir nur vorstelle, was mit uns passiert, sollte die Anlage irgendwann mal hochgehen. Da könnte ich kotzen! Die vielen Toten, die es geben wird. Im Verdichter und überall wo im Nachhinein die Rohrleitungen explodieren. Und was wird aus uns? Ich meine, wenn das Ding tatsächlich losgeht? Vor allem aber, wenn wir uns dabei noch hier im Lande befinden? Das kommt doch raus, wer das gemacht hat! Die Sowjets schleppen uns in den Steinbruch oder stellen uns gleich an die Wand!« Schimmel wischte sich mit dem Ärmel seiner Wattejacke die Tränen ab. Schniefend vergrub er das Gesicht in den zitternden Händen. »Ich hab’ so etwas an der ersten Trasse gesehen. Damals bei Gaisin war das!«

      Bruhns hob fragend die Brauen. »Was meinst du?«

      Schimmel flüsterte. Der Blick aus seinen nassen Augen huschte angstvoll umher. »Wir mussten dort die Rohrleitung verlegen und in der Nähe gab es so einen Steinbruch. Wo sie die Strafgefangenen hin gekarrt haben. Mit Ketten an den Füßen und in offenen Eisenbahnwaggons. Die zwangen sie, mit schweren Hämmern die Steine klopfen. Und ich konnte sehen, wie die getreten und geschlagen wurden! Nee danke! So was würde ich nie verkraften!«

      In Bruhns’ Hirn rasten indessen zornige Gedanken. In seinen Schläfen pochte heftig das Blut. Er ballte und öffnete die Fäuste. Dann verschränkte er die muskulösen Arme vor der Brust. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, bis die roten Ohren im Webpelzkragen seiner Jacke verschwanden.

      Verdammte Scheiße auch dachte er voller aufschäumender Wut. Er starrte auf den Genossen vor sich, der ihre Sache verraten wollte.

      Nein! Verflucht nochmal nein! Niemals hätte es zu dieser Situation kommen dürfen, gestand er sich ein. Dabei musste ich mich einfach nur an die eisernen Regeln der Konspiration halten! Und das Geheimnis wäre für immer gewahrt geblieben!

      Welcher Teufel ritt mich nur, als ich im Suff diesem Schlappsack anvertraute, was der Container in Wirklichkeit darstellt?

      War ich denn völlig durchgeknallt? Oder wollte ich mich einfach nur generös zeigen. Weil mich dieses Arschloch in die Betten von ein paar dieser scharfen Russenweiber unten in der Stadt brachte?

      Aber nein! Das allein konnte es nicht gewesen sein.

      Vor allem meine verdammte Geschwätzigkeit, die mich im Suff gelegentlich überfällt, hat mir das eingebrockt! Er presste die Lippen zusammen und starrte aus schmalen Augen auf Schimmel.

      Der heulte soeben laut auf. Tränen liefen über seine stoppeligen Wangen, der Rotz aus der Nase schlug Blasen.

      Bruhns schüttelte sich voller Abscheu. Er spürte, wie ihn der Anblick des vor ihm hockenden, knochigen Mannes heftig abstieß. Auch wollte er sich jetzt dessen Gejammer nicht mehr länger anhören. Darum versuchte er, ihn noch ein letztes Mal zu beruhigen. »Mensch Arno, Genosse! Was soll das Geflenne? Schließlich musstest du als gestandener IM doch wissen, welche wichtige Aufgabe du in meiner Gruppe übernimmst. Du wusstest doch genau, worauf du dich einlässt. Oder?« Er beugte sich vor, legte die Hand auf Schimmels Schulter. »Na ja! Die wahre Bestimmung des Containers hätte ich dir nicht verraten dürfen. Auf keinen Fall! Aber wir werden sicherlich irgendwann als Helden