Günter Opitz-Ohlsen

In den Sand geschrieben


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hat mir eine Schlepperbande 10 Moldawier geliefert. Die haben für mich das Haus saniert. Gewohnt haben sie in der Schrottimmobilie. Wasser- und Stromanschluss gab es ja noch. Für 2000 Euro im Monat haben die Tag und Nacht geackert. Nach 2 Monaten war alles fertig. 2 Luxuswohnungen mit echtem Stäbchenparkett. Ich glaube, die Menschen, die Geld haben, haben Angst, dass ihr Geld irgendwann einmal nichts mehr wert ist. Dann brauchen sie etwas anderes, womit sie tauschen können. So bin ich die Wohnungen auch schnell losgeworden. Haben mir 500.000 Euro eingebracht. Damit konnte ich den Kredit abzahlen und die Moldawier natürlich auch. Die waren so dankbar, dass wir zusammen moldawisches Richtfest gefeiert haben. Danach bin ich auf die Idee mit dem Erdloch gekommen. Habe lange den Grunewald nach einer günstigen Stelle abgesucht. Die einzigen Besucher, die sich an meinem Erdloch blicken lassen, sind die Wildschweine. Angst ums Geld habe ich auch nicht. Wer in einem Erdloch wohnt sorgt sich eher darum, dass er unerkannt bleibt und verschwiegene Freunde hat.

      Zuerst hatte ich nur ein Zimmer, nein, ein Loch in meinem Erdloch. Ein Ein-Loch-Erdloch sozusagen. Es war nass und im Winter kalt. Aber mit den 200.000 Euro, die ich vom Hausverkauf übrig hatte, konnte ich mir schon etwas Luxus in meinem Erdloch leisten. Eine schnelle Internetverbindung und eine komplette Wärmeisolierung zum Beispiel. Das mit den Schrottimmobilien und den Moldawiern habe ich dann mehrmals gemacht. Seit 10 Jahren mache ich das inzwischen.

      Die Moldawier sind immer ehrlich zu mir gewesen. Dadurch sind meine Gewinne immer größer geworden. Den Moldawiern konnte ich sogar mehr zahlen. Die haben sich wie die Schneekönige gefreut. Als sie aber hörten, dass ich in einem Erdloch wohne, haben sie mich ausgelacht. Aber dann habe ich es ihnen gezeigt, und sie haben mich blöd angeguckt. Mein Erdloch haben sie aber trotzdem prima ausgebaut. Inzwischen wohne ich in einem Elf-Loch-Erdloch, vergleichbar mit einer Villa. Ich habe Heizung, Strom, Energiespeicher und Wasseraufbereitung. Bin schließlich nicht an die Kanalisation angeschlossen. Natürlich lebt es sich in einem Erdloch sehr zurückgezogen. Der einzige Kontakt nach draußen sind die Moldawier, das Internet und die Arztbesuche. Alles andere lasse ich mir inzwischen von Menschen meines Vertrauens anliefern. Verschwiegenheit ist sehr wichtig. Will schließlich nicht auffliegen. Obwohl ich in RTL oder anderen Schrottsendern bestimmt eine prima Realityshow abgeben würde.

      Die Moldawier führen inzwischen das Geschäft. Davon hat das Dorf, aus denen die alle kommen, mächtig profitiert. Die waren sogar im Fernsehen und ihr Dorf musste als Musterbeispiel deutsch-moldawischer Wirtschaftsbeziehungen herhalten. Aber über mein Erdloch sagen sie nichts, und das ist gut so. Ich glaube, sie sind meine Freunde.

      Inzwischen bin ich sehr reich geworden. Ca. 60 Millionen Euro habe ich angehäuft. Ich lebe sehr zurückgezogen in meinem Erdloch.

      Einmal wollten die Moldawier mir eine Freude machen und mich mit einem Mädchen aus ihrem Dorf verheiraten. Da aber habe ich direkt nein gesagt. Ich will einer Frau mein Leben nicht zumuten. Zu der Zeit, als ich die erste Schrottimmobilie saniert habe, habe ich auch mit den Moldawiern dort gewohnt. Zwischen all dem Bauschutt und dem anderen Gerümpel. Das hat mir Spaß gemacht. Nie mehr wollte ich in einem gewöhnlichen Haus wohnen. Am liebsten auf der Müllhalde, aber da wäre ich aufgefallen. So gute Möglichkeiten wie im Wald hat man dort auch nicht. Also bin ich auf die Idee mit dem Erdloch gekommen. Bereut habe ich es noch nicht. Doch, einmal schon. Ich habe eine Frau kennengelernt. Ich glaube, sie mochte mich. Aber als ich ihr das mit dem Erdloch erzählte, ist sie schreiend aus dem Lokal gelaufen, in dem wir uns verabredet hatten.

      Was soll ich sagen? Mir geht es gut. Ich habe viele Freunde in Moldawien und alles, was ich zum Leben brauche. Aber was soll ich mit dem ganzen Geld machen? Irgendwann werde ich sterben. Ein Grabzimmer haben mir die Moldawier schon gebaut. Ich wollte es so haben, wie die Ägypter. Den Moldawiern braucht man nur ein Foto zu zeigen, und schon machen sie dir den schönsten Sarkophag, den man sich vorstellen kann. Als Grabbeigaben werde ich ein paar Goldklumpen und eine Kette aus Messing, die ich von meinem Vater geerbt habe, hineinlegen lassen. Der war Schreiner, hat aber so viel gesoffen, dass sich meine Mutter von ihm trennen musste. So bin ich auch als Kind allein groß geworden. Freunde auf der Schule hatte ich nicht. Ich war unauffällig. Habe mich aus allem raus gehalten, so gut es eben ging. Nur einmal hatte ich Ärger, als einer von mir Schutzgeld forderte, damit er mich nicht verprügelt. Das habe ich dem Direktor gemeldet. Aber ich habe dem gesagt, dass er bei der Geldübergabe schon dabei sein sollte. Hat geklappt. Der Schüler ist sofort von der Schule geflogen. Hat sein Abitur auf dem dritten oder vierten Bildungsweg gemacht und sogar ein Buch geschrieben: Wie mache ich meine erste Million. Das hat ihn dann zum Millionär gemacht.

      Mein Geld könnte ich verbrennen oder den Wildschweinen verfüttern. Vielleicht mögen die das. Besser wäre eine Stiftung, dann könnte ich mir ein Denkmal setzen lassen. Aber einer, der im Erdloch wohnt, ist kein gutes Vorbild. Dann gebe ich lieber alles den Moldawiern. Die werden sich bestimmt freuen, ach, was sage ich, die werden mich verehren.

      Dass ein Erdloch solche Auswirkungen auf ein ganzes Leben haben könnte, hätte ich anfangs nicht gedacht. Aber ich mache mir mal wieder zu viele Gedanken. Ob ich nun im Erdloch, im Bauwagen oder im Eisenbahnwaggon wohne, spielt eigentlich gar keine Rolle mehr. Hauptsache ist, die Moldawier bleiben bis zu meinem Tod bei mir. Aber daran zweifle ich nicht mehr.

      Der freie Fall

      Es ist kalt. Die Luft ist feucht, der Himmel ist grau. Und wenn sich einmal ein Lichtstrahl in diese Gegend verirrt, dann vergoldet er den Herbstwald für kurze Zeit: Das Rot leuchtet weit und der leichte Wind lässt die Blätter zu Boden tanzen. Ein Spiel mit Farben und Formen, ein Spiel, das alles gibt, bis es dunkel wird im Land, bis der Schnee die Landschaft einhüllt, zudeckt für den langen Winterschlaf. Das Baumhaus steht immer noch.

      Wie lang ist es her? 40 Jahre müssen es bestimmt sein. Das Dorf hat sich wenig geändert. Die Felder sind abgeerntet. Sie liegen brach. Im Märzen der Bauer sein Rösslein anspannt. Was wird gepflanzt? Weizen und Roggen für das täglich Brot oder Mais für unser täglich Benzin, das du uns heute gibst, damit wir aus unserm Dorf in alle Himmelsrichtungen entschwinden können. Doch, der Glanz der alten Tage ist vorbei. Den Bauer im Dorf gibt es nicht mehr, die Hotels, früher beliebter Urlaubsaufenthalt, sind heute Seniorenresidenzen. Das Dorf liegt im Dornröschenschlaf und kein Prinz ist in Sicht, der es wieder zum Leben erwecken könnte.

      Selbst die Dorfschenke hat jetzt noch geschlossen. Als er noch jung war, war sie schon morgens geöffnet, beherbergte Skatspieler einer Generation, die den Krieg noch aktiv mitgemacht hatte und ihn noch so in der Erinnerung lebendig hielt, als würde die Achtung einer Person von den alten Geschichten abhängen. Ein Gedenkstein erinnert an die Gefallenen für Kaiser und König, für den Diktator, der immerhin Autobahnen gebaut hat, und jetzt sogar für die Demokratie, die überall auf der Welt erkämpft werden muss oder, besser gesagt, mit Blut bezahlt wird. Mittags ging es dann schon hoch her im Dorfkrug. Die alten Lieder wurden gesungen, als könnte man sich die Traumatisierung weggröhlen. So war das damals.

      Der Dorfplatz ist immer noch der alte Platz, auf dem er steht. Hier sind noch die hohen Buchen und die Birken zu sehen, die er auch aus seiner Kindheit kannte. Gibt es eigentlich Orte, die der Veränderung trotzen? Das Haus, die alte Schule, gibt es noch, aber eine Schule ist es längst nicht mehr. Die Kinder im Dorf müssen in die nächste Kreisstadt fahren, um fürs Leben zu lernen, oder vielleicht doch nur für die Schule? Viele werden es nicht sein. Zu jener Zeit gab es für alle Kinder im Dorf auch nur einen Raum. Da waren acht Klassen untergebracht und er konnte im ersten Schuljahr den Stoff der zweiten, dritten oder vierten Klasse mithören. Er ist sich heute sicher, dass er nie mehr so viel gelernt hat wie damals im ersten Schuljahr.

      Den alten Eingang gibt es immer noch und das Vordach auch. In der Erinnerung erscheint alles viel größer. Wie lächerlich kommen ihm nun die Ausmaße des Hauses, des Hofes und des Vordachs vor. Als hätte eine Fee alles verkleinert, damit er mehr in den Blick bekommt, vielleicht auch das Ganze erkennen kann, das sich hinter jedem Ensemble versteckt.

      Sieben war er damals nicht, denn mit sieben ist er in die Schule gekommen. Also muss er sechs gewesen sein, als er den Bastelbogen im Lebensmittelgeschäft sah, ein Flugzeug aus Balsaholz, das musste er haben. Er sparte etwas von seinem Taschengeld, bis er den Preis bezahlen konnte. Er war sehr froh und das Flugzeug war im Nu zusammengebaut. Und wie