Helen Dalibor

Die Rollen des Seth


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Ist das klar?"

      "Wie immer!" Isis konnte viel reden, wenn sie wollte. Ob sich jeder daran hielt, war eine andere Sache. Das musste auch Isis wissen, denn misstrauisch beobachtete sie Karla. Dann ging ihr Blick zu einer großen Schublade mit Schloss.

      "Also schließe ich sie lieber weg. Ich will nicht noch Essensreste darauf wiederfinden. Oder noch schlimmer: Die Hefte sind von Cola oder sonst irgendeinem Klebezeug durchtränkt."

      Karla machte ein empörtes Gesicht. Das war eindeutig gegen sie gemeint.

      "Für was hältst du mich?"

      "Für ein pizzafressendes Wesen."

      "Vielen Dank, nun weiß ich endlich, was du über mich denkst. Das kann ich gleich in meinen Blog schreiben. Meine Freundin hält mich für einen Allesfresser, der die Wohnung vermüllt."

      "Solange du meinen Namen nicht erwähnst und ein Foto von mir ins Netz stellst, kannst du erzählen, was du willst. Nur mein eigenes Privatleben bleibt tabu."

      "Ich weiß, was du vom Web 2.0 hältst. Wir leben nicht im Mittelalter. Aber ich werde dich schon nicht erwähnen, da brauchst du keine Angst zu haben." Karlas Blick fiel auf die Namenszeile des zu oberst liegenden Heftchens. "Pascal Justine." Sie sprach den Nachnamen so aus, wie er auf der Heftzeile stand. „Ein ziemlich moderner Vorname für die damalige Zeit.“

      "Jüstin", sagte Isis und sprach den Namen mit weichem j französisch aus. "Und der Name tauchte in Frankreich schon Jahrzehnte früher auf als in Deutschland. In meiner Familie bekamen die männlichen Familienmitglieder französische Vornamen, um auf die französischen Wurzeln zu verweisen."

      "Justine? Aber du heißt doch Just, wie können deine Vorfahren dann Justine heißen?" Karla verstand mal wieder überhaupt nichts. Zwar hatte sie sich immer gewundert, warum Isis' eigentlicher Vorname Mélanie immer ein Accenté Gue auf dem ersten e hatte, doch war es ihr so nebensächlich erschienen, da Isis diesen Namen nicht mochte und nur von ihren Eltern und den Lehrern so genannt wurde. Nach dem Abitur waren jetzt ihre Eltern die einzigen, die sie noch bei dem Namen nannten.

      "Mein Großvater hat den Namen während der dreißiger Jahre geändert, weil er Probleme fürchtete. Im Dritten Reich erschien ein französischer Name suspekt. Und um keine Probleme zu bekommen, hat er ihn in Just abgekürzt. Er hatte es nicht gewollt, da er den Namen seiner Mutter in Ehren hatte halten wollen. Doch indirekt ist er dazu gezwungen worden. 'Mit dem Feind mache man keine Geschäfte', hatte es geheißen. Noch kurz vor seinem Tod grämte er sich, dass er das getan hatte. Aber es ließ sich nicht mehr rückgängig machen."

      "Deutschland, deine Ämter. Ein Kampf, der nie enden wird."

      "Das erinnert mich mal wieder an die Uni. Das ist auch ein einziger Kampf."

      "Solange wir nicht in die Walachei ziehen, können die sich die Köpfe einschlagen."

      "Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. In der Zeit solltest du dein Studium längst beendet haben. Oder willst du die letzte Diplom-Studentin werden? Der letzte Mohikaner sozusagen?"

      "Ewig studieren ist nicht gut. Ich bin schon jetzt völlig verplant. So verlehrt wie ich jetzt bereits bin, sollte ich schnellstmöglich das Studium abschließen. Geht Mona im übrigens genauso."

      "Es wundert mich immer wieder, dass du nicht nur in Formeln sprichst wie Mona. Vor lauter Physik weiß man doch schon gar nicht mehr, was sie uns eigentlich sagen will."

      "Das weiß man bei dir auch nicht. Und du benutzt keine naturwissenschaftlichen Formeln."

      "Danke, du bist wieder so nett wie immer."

      Mit einem Stift öffnete Karla das zu oberst liegende Heft. Voller Vorfreude hatte sie es geöffnet, wie enttäuscht war sie, als sie die Schrift sah. Ein unleserliches Gekrakel. Sauber und ordentlich geführt, doch vollkommen unleserlich.

      "Das kann man doch nicht lesen."

      Amüsiert verzog Isis ihren Mund.

      "Ach, ich dachte, du könntest sämtliche Schriften entziffern. Hast du dich nicht immer in der Schule damit gerühmt?"

      "Aber nicht diese Linien. Kann doch kein Mensch lesen."

      "Das ist die deutsche Schrift, besser bekannt als Sütterlin. So hat man damals vor knapp hundert Jahren geschrieben."

      "Und du kannst das lesen?"

      "Es geht. Anfangs war es für mich auch nur ein Gekrakel aus Linien. Je länger ich mich damit befasse, desto vertrauter wird es. Aber meine Großmutter kann es besser lesen. Sie hat die Schrift in der Schule gelernt. Im Gegensatz zu uns."

      "Schön, wenn man Großeltern hat."

      "Wenn sie noch leben."

      Isis' Stimme war hart geworden, Trauer mischte sich darunter.

      "Tut mir leid, ich habe deinen Großvater vergessen."

      Durch ein Nicken registrierte Isis die Entschuldigung, vertiefte sich aber sogleich auf ihre Internetsuche. Sie hatte den Laptop wieder angemacht. Doch wieder fand sie nichts. Wütend trommelte sie mit den Fingern auf die Tischplatte.

      "Das muss ja was ungemein Wichtiges sein, wenn du so bei jedem Fehlversuch reagierst. Aber wenigstens lässt du deine Wut nicht mehr an deinem Laptop aus."

      Interessiert beugte sich Karla über Isis' Schulter und warf einen Blick auf den Bildschirm.

      "Probier's doch mal mit einer anderen Suchmaschine. So toll ist die Königin der Suchmaschinen nicht. Was suchst du eigentlich?"

      "Eine alte Tonvase mit einer Kette. Irgendwo im Internet sollen die in einem Forum angeboten werden. Aber ich weiß nicht wo. Und diese blöde Suchmaschine sagt es mir nicht. Es ist zum Verzweifeln!"

      "Du willst das haben oder wie verstehe ich das?"

      "Exakt."

      Wieder tippte Isis etwas in das Suchfenster ein. Doch dieses Mal hatte sie die Bildersuche benutzt. Die ersten Bilder waren nicht das, was Isis suchte. Doch das zweite Bild in der letzten Reihe kam ihr bekannt vor.

      "Jawohl!", freute sie sich und klickte das Bild an. Schnell machte sich Enttäuschung breit, als sie nicht zum Beitrag weitergeleitet wurde, sondern eine Mitteilung auf dem Bildschirm erschien, dass sie kein Mitglied des Forums sei und diesen Beitrag nur sehen könne, wenn sie sich angemeldet habe.

      "Da wirst du dich anmelden müssen."

      "Was du nicht sagst. Ich weiß schon gar nicht mehr in wie vielen Foren ich eigentlich angemeldet bin. Die meisten habe ich schon seit Jahren nicht mehr besucht. Weiß gar nicht, ob ich da überhaupt noch Mitglied bin."

      "Wohl eher nicht. Manchmal schicken sie dir auch Erinnerungsmails."

      "Egal, also werde ich mich erst einmal anmelden. Und du erinnerst mich um vier an die Lokalnachrichten."

      "Stell dir den Wecker."

      Doch Isis hörte sie schon gar nicht mehr. Völlig vertieft in ihre Anmeldung und mit den Gedanken bei den beiden Objekten, nahm sie nichts mehr um sich herum wahr. Wenn sie Glück hatte, würde sie schon bald stolze Besitzerin der Objekte sein. Dann konnte sie die Vase und die Kette besser untersuchen und vielleicht auch das Geheimnis klären, warum sie die Vase bereits einmal gesehen zu haben glaubte. Die Regierungszeit Echnatons war ihr vertraut, die typischen Darstellungen aus der Amarna-Zeit konnte sie sofort erkennen. Doch die Vase, obwohl sie Züge der Amarna-Zeit trug, war ihr unbekannt und dennoch vertraut.

      9

      Die Zeitung berichtete am nächsten Tag ausführlich über den Mord an dem Juwelier. Isis überflog den Artikel desinteressiert. Die Kette, die gestern noch als mögliches Diebesgut gehandelt wurde, war mit keinem Wort erwähnt worden. Waren die Ermittler zu der Überzeugung gekommen, dass das Schmuckstück nichts mit dem Mord zu tun hatte? Es waren nur Fotografien gewesen. Vielleicht hatte sich die Kette nie in dem Besitz des Juweliers befunden. Möglicherweise hatte jemand, vielleicht die Person,