Helen Dalibor

Die Rollen des Seth


Скачать книгу

Und so sagte er seinen Namen, egal welches Risiko sich daraus ergab.

      "Johann", sagte er matt.

      "Gut, Johann, dann sag mir, was du hier machst und wie es kommt, dass du dich im Tierpark befindest, ohne dass du eine Eintrittskarte hast. Wie kommt es, dass der Wasserträger der Glasbläser verschwunden ist, während du hier vor mir stehst?"

      Johanns Augen weiteten sich vor Erstaunen. Wie konnte es sein, dass dieser junge Tierpfleger wusste, wer er war? Hatte er sich durch irgendetwas verraten?

      Verstohlen warf er einen Blick auf seine Hände und konnte keinen schwarzen Fleck erkennen. Vielleicht war in seinem Gesicht etwas zu sehen, doch hatte er es nicht gewissenhaft geprüft, bevor er das Beduinendorf verließ?

      "Habe ich dich ertappt? Zugegeben, ich habe es nicht darauf angelegt, dein falsches Spiel herauszufinden. Mein Auftrag war, deinen Freund zu beobachten, ob er nicht doch noch irgendwelche Krankheitssymptome zeigt. Na ja, der scheint mir vollkommen gesund zu sein, aber mit dir schien etwas nicht zustimmen. Ich wusste nie, was es war, bis ich dich vorhin ohne deine Verkleidung gesehen habe." Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erschien auf dem Gesicht des jungen Tierpflegers, als er daran zurückdachte, wie überrascht er gewesen war, dass sich der kleine unbeholfene Ägypter als blonder Junge entpuppte. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie erstaunt ich war. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und fragte mich sogleich, wie du die medizinische Untersuchung hinter dich gebracht hast, ohne erwischt zu werden."

      "Ich habe mich versteckt."

      "Habe ich es mir doch gedacht, kluges Kerlchen. Der Doktor hätte den Schwindel sofort erkannt. Eines muss man dir lassen, du bist wirklich gewitzt."

      Johann wusste nicht, ob er dies als Kompliment verstehen sollte. Noch immer konnte er den jungen Tierpfleger nicht einschätzen. Anstatt ihn sofort zu melden, redete er mit ihm. Er fragte nicht einmal, wo er herkam. Stattdessen sprach er mit ihm, als sei er kein Dienstbote, sondern ein normaler Junge. Es war ewig her, dass Johann so zuvorkommend behandelt worden war. Damals hatte seine Mutter noch gelebt.

      "Gehen wir zu deinem Freund. Auf dem Weg dorthin erzählst du mir, woher du kommst und wie es dazu kam, dass du als falscher Ägypter bei der Völkerschau gelandet bist."

      Johann verdrehte die Augen.

      Das war genau das gewesen, was er eigentlich nicht tun wollte. Er wollte nicht zurück zu seiner ungeliebten Tante und deren Söhnen. Sie hatte ihn als billige Arbeitskraft verkauft. Genau das würde sie wieder tun, wenn er zu ihr zurückkehren musste.

      13

      Masut hatte es kommen sehen. Eines Tages wäre Johann erwischt worden und das Versteckspiel aufgeflogen. Nun war es geschehen, doch anstelle von Konsequenzen, behielt Pascal das Geheimnis für sich. Pascal war der Name des jungen Tierpflegers, der Johanns Maskerade aufgedeckt hatte. Allerdings bestand er darauf, dass Masuts Freund das Versteckspiel beendete. Was er anstelle dessen tun sollte, hatte Pascal nicht gesagt, nur dass er sich kümmern wolle. Wie das aussehen sollte, wusste Masut nicht und konnte es sich auch nicht vorstellen.

      Er sah auf, als er Schritte kommen hörte. Johann trug wieder das Gewand eines Ägypters, doch hatte er sein Gesicht, seine Hände und auch seine Füße nicht mit Erde geschwärzt. Froh war er, dass das Versteckspiel endlich zu Ende war. Auch Masut dachte so, denn er war nicht mehr so gereizt wie in den letzten Tagen.

      Der blonde Junge in dem weißen Gewand saß vor der Hütte der Glasbläser und bot die fertig gestellten Produkte zum Verkauf an. Irritiert gingen Besucher an ihm vorbei und fragten sich, ob es sich bei ihm um einen Ägypter handle. Johann klärte sie nicht auf, sondern schmunzelte über diese Menschen, die ihn für einen Ägypter hielten und dennoch nicht sicher waren, ob er einer war. Wenn er gefragt worden wäre, hätte er ihnen geantwortet, dass er kein Ägypter sei, sondern sich so für den Verkauf der Waren angezogen hätte. Allerdings wagte niemand ihn zu fragen, weshalb er stumm blieb. Vielleicht hielten sie ihn wirklich für einen Ägypter und stellten ihm deshalb keine Frage, weil sie glaubten, er könne sie nicht verstehen, da er ihre Sprache nicht beherrsche.

      Der Verkauf ging heute nur schleppend voran, was den blonden Jungen nicht weiter störte. Beobachtete er eben die Besucher, das Geschehen im Dorf und lauschte dem Lärm der Tiere.

      Johann hörte Stimmen näher kommen. Eine konnte er als die von Pascal identifizieren, aber die zweite, die einer Frau gehörte, kannte er nicht.

      "Da haben wir ihn schon, unseren falschen Ägypter!"

      Der gerade Angesprochene blickte hoch und musste blinzeln, da er direkt in die Sonne sah. Doch dann erblickte er das Gesicht einer jungen Frau, die so alt sein musste wie Pascal. Sie trug ein langes hellblaues Kleid mit kurzen Ärmeln. Passend dazu hatte sie einen Sonnenschirm in der gleichen Farbe und einen Strohhut auf dem blonden Haar, der ein blaues Hutband hatte. Das Band war zu einer Schleife geknotet und die langen Enden hingen über die Hutkrempe und hatten sich mit dem strohblonden Haar, das ein wenig dunkler als das von Pascal war, vermengt.

      "Du bist also Johann. Mein Bruder redet seit Tagen ohne Unterlass von dir. Er scheint große Stücke auf dich zu halten.

      Johann merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. In diesem Augenblick hätte er sich gewünscht, sein Gesicht geschwärzt zu haben. Ihm war es peinlich, dass jemand ihn lobte, vor allem wenn er ihn kaum oder gar nicht kannte.

      Die junge Dame bemerkte sofort ihren Fehler.

      "Das hätte ich wohl nicht sagen sollen. Deinem jungen Freund ist es offensichtlich peinlich, Pascal."

      "Was musst du auch gleich mit der Tür ins Haus fallen? Du bist und bleibst ein Plappermaul, Claire."

      "Werd' nicht frech!! Ich bin die ältere von uns beiden."

      "Deshalb darfst du auch repräsentieren, während ich schuften muss."

      "Wer wollte denn Medizin studieren? Du hättest Vaters Firma sofort übernehmen können."

      "Ich verstehe nichts vom Geschäft. Das ist mir immer fremd gewesen, zum Leidwesen unseres Vaters."

      "Ach Vater, Gott hab' ihn selig." Claire, Pascals Schwester, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

      "Mein Vater ist auch tot", fuhr Johann dazwischen. Bis jetzt hatte er stumm neben den Geschwistern gesessen und ihnen teilnahmslos zugehört. Die beiden mochten sich gern, neckten sich, doch nicht auf beleidigende Art und Weise. Der falsche Ägypter hatte sich immer Geschwister gewünscht, doch war er ein Einzelkind geblieben. Dann waren seine Eltern gestorben und er zu seiner ungeliebten Tante gekommen, von deren Existenz er bis dahin nichts gewusst hatte. Deren Söhne hatte er wahrlich nicht als Geschwister bezeichnen können. Sie hatten ihm mehr als einmal üble Streiche gespielt.

      "Armer Junge, bist du deshalb Schiffsjunge geworden, um Geld für deine Mutter und deine Geschwister zu verdienen?"

      Claire hatte sich zu ihm herunter gebeugt und wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht.

      "Meine Mutter ist auch tot und Geschwister habe ich keine."

      "Dann bist du ja ganz allein. Hast du keine Verwandten mehr?"

      Johann senkte den Kopf. Wenn er von seiner Tante sprechen würde, müsste er sicherlich zu ihr zurück und das wollte er auf keinen Fall. Also blieb sein Mund verschlossen.

      "Hast du wirklich niemanden mehr?", hakte Pascal nach, dem nicht entgangen war, dass Johann die Frage unangenehm gewesen war und er nicht antworten wollte.

      Der blonde Junge drehte seinen Kopf weg. Er wollte die Frage nicht beantworten. Unter allen Umständen wollte er schweigen, egal was käme.

      "Sag mir die Wahrheit, Johann, sonst muss ich dich melden", drohte Pascal.

      Claire warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu. Wie konnte er den Jungen so ängstigen? Was sollte dieser von Pascal denken? Dass dessen Freundschaft nur geheuchelt war?

      "Wie kannst du ihm solch eine Angst einjagen? Sieh nur, wie verstört er ist. Schäm' dich, Monsieur Justine!"