Helen Dalibor

Die Rollen des Seth


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die beiden seit fünf Jahren in ihrem Haus. Zudem hatte sie sich in den Kopf gesetzt, sich das Geld irgendwie zurückzuholen. 3000 Euro waren eine Menge Geld, für die sie zwar nicht hatte hart arbeiten müssen, doch sie konnte das Geld nicht entbehren. Neue Fenster mussten gekauft und das halbe Haus neu gestrichen werden. Das würde einiges kosten, weshalb sie das Geld, welches sie ausgeben sollte, brauchte. Sie hob so ungern Geld vom Konto ab, sah lieber zu, wie es sich regelmäßig vermehrte. Wer weiß, was ihr da einfallen würde. Aber das Geld würde sie sich zurückholen. Kosten es, was da wolle. Vielleicht würde Karla etwas einfallen. Mit ihren Genen würde sie die nötige kriminelle Energie aufbringen können. Ihre Freundin selbst war zwar alles andere als kriminell, doch ihre Vorfahren stammten aus einem Land, wo angeblich die Hälfte der Landesbewohner Autos klauen oder aufbrechen würde. Das Klischee würde noch ewig bestehen. Mona und Isis zogen Karla deswegen gerne auf, was die nur mit trockenen Sprüchen kommentierte, oft aber auch selbst zum Besten gab.

      Treffpunkt Dienstag, 11.11 Uhr, Alte Rabenstraße/Alsterufer, schrieb Isis in die E-Mail. Doch wie sollte das Erkennungszeichen aussehen? In ihre Überlegungen mischten sich die Stimmen von nun inzwischen drei Frauen, die ihr immer noch den Platz an der Internetstation missgönnten. Isis warf ihnen einen bösen Seitenblick zu und schrieb dann das Erkennungszeichen in die Mail. Eine knallblaue Tragetasche, ähnlich der eines bekannten schwedischen Möbelhauses, würde sie dabeihaben und dort die Gegenstände verstauen bis sie diese sicher in ihr Auto gebracht hatte.

      Isis schickte die Nachricht ab, loggte sich aus und schloss die Seite. Kurz überlegte sie, ob sie noch irgendetwas anderes überprüfen sollte, doch sie hatte keine Lust sich mit den missgünstigen Schnepfen anzulegen. Nicht dass die sich später noch an ihr Gesicht erinnern könnten. Das wollte sie nicht riskieren. Deshalb öffnete sie keine neue Seite, sondern entfernte sich schnell Richtung Edeka. Um aber nicht von irgendwelchen Überwachungskameras erfasst zu werden, bog sie nach der Rolltreppe scharf nach links ab und ging wieder durch den Markt. Dann entschwand sie durch den zweiten Eingang, entledigte sich ihrer Mütze und Brille und strebte dem Bahnhof zu.

      Heute war ein schöner Tag, befand Isis und pfiff fröhlich ein Lied. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit fuhr sie nicht sofort nach Hause, sondern steuerte das nächste Elektronikfachgeschäft an.

      16

       Hamburg-Eimsbüttel

      Das Wochenende hätte so schön verlaufen können, wenn Isis nicht eine Mail von Professor Winter bekommen hätte. In der Mail hatte er wütend geklungen und schien zu allem entschlossen. Er konnte es nicht verwinden, dass ihm jemand die beiden Gegenstände vor der Nase weggeschnappt hatte, dass ihn jemand überboten hatte. Sofort hatte sie alles stehen und liegen lassen, war nicht mehr in den Garten gegangen, um die blühenden Obstbäume mit ihrer neuen Kamera zu fotografieren. Professor Winter wollte sie am folgenden Tag sehen, weshalb in Isis die Angst wuchs, dass sie ertappt worden sei. Ein völlig abwegiger Gedanke, der sich allerdings nicht verscheuchen ließ.

      Mona und Karla hatten sie beruhigen wollen, indem sie Isis vor Augen führten, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Wenn Professor Winter tatsächlich wusste, dass Isis den Zuschlag bekommen hatte, würde er nicht bis Montag warten, um sie dann mit seinem Wissen zu konfrontieren. Die Polizei hätte schon längst vor ihrer Tür gestanden und die junge Ägyptologin mitgenommen, aber es war niemand gekommen.

      Und so starrte Isis verschreckt aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers. Als einmal tatsächlich ein Polizeiauto vorbeifuhr, zuckte sie zusammen, verschwand vom Fenster und versteckte sich unter dem Tisch. Bange Minuten vergingen, sie wartete auf das Klingeln, doch nichts geschah. Langsam war sie unter dem Tisch hervorgekommen und sah vorsichtig aus dem Fenster. Vor dem Grundstück stand kein Polizeiauto.

      Mona und Karla hatten den Montag schließlich herbeigesehnt und als er endlich da war, dankten sie, dass die Zeit so schnell vergangen war, obwohl ihnen die Stunden zu lang vorgekommen waren. Ungewöhnlich früh hatten beide Isis aus ihrem eigenen Haus geworfen. Sie hatten dieses Nervenbündel nicht länger ertragen können.

      So stand Isis nun mit zitternden Knien vor der geschlossenen Tür von Professor Winters Raum. Unentschlossen hob sie den Arm, um anzuklopfen. Dann hielt sie inne und lauschte. Waren hinter der Tür nicht Stimmen zu hören? Wenn sie sich konzentrierte und leise verhielt, waren Stimmen zu vernehmen. Was gesagt wurde, konnte Isis nicht verstehen, die Worte wurden durch die Tür geschluckt. Doch einer der Sprechenden war Professor Winter. Ihn hatte sie an der Tonlage erkannt und dann war da noch jemand anderes, der nur kurze Kommentare von sich gab. Wenn sie nur verstehen könnte, was hinter der Tür gesprochen wurde. Zögerlich sah sie sich um. Der Flur war leer. Sie trat näher auf die Tür zu und hielt den Kopf dran. Dumpfen drangen die Stimmen zu ihr.

      "Sie müssen zur Polizei gehen. Der Handel war illegal."

      "Mein lieber Grehtlahn, Sie wiederholen sich. Denken Sie doch einmal daran, was das für Fragen aufwirft. Wir haben ein illegales Geschäft nicht gemeldet. Nein, das ist der letzte Ausweg. Wenn wir keine Lösung finden, können wir den Weg einschlagen, den Sie vorschlagen, vorher nicht."

      "Entschuldigen Sie, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Wollen Sie es wirklich darauf ankommen lassen, dass diese Dinge in einem Tresor verschwinden?"

      Professor Winter lachte laut auf. Es klang abwertend und war sicherlich auch so gemeint.

      "Hören Sie auf! Sie klingen schon wie Frau Just. Die bemängelt auch ständig, wie viele Artefakte ins Ausland wandern."

      Scharf sog Isis die Luft ein. Nicht einmal Professor Winter schien sie zu verstehen. Doch sie kannte es, das niemand sie verstand. Was sollte sie sich aufregen? Es würde ja doch nichts bringen. Dennoch schmerzte es sie, dass niemand ihre Denkweise teilte.

      "Sie wollen also abwarten?"

      Es kam keine Antwort, dafür aber hörte Isis Schritte. Schnell trat sie von der Tür, um nicht als Lauscherin entlarvt zu werden.

      Die Tür wurde aufgerissen und Dr. Grehtlahn stürmte aus dem Raum. Er streifte Isis, die sich an die Wand gepresst hatte und zusammenzuckte, als er sie mit einem unbedachten bösen Blick streifte.

      Er weiß, was ich getan habe, ging es ihr durch den Kopf.

      Die Angst erwischt worden zu sein, machte sich in ihr breit, doch bevor sie kehrt machen und den Gang zurückeilen konnte, hatte Professor Winter sie entdeckt.

      "Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Meine Bitte um ein Treffen war recht kurzfristig gewesen."

      In Isis machte sich ein Gefühl der Beklemmung breit. Wie sollte sie Professor Winter nur gegenüber treten? Kurz sammelte sie sich, verdrängte ihre Angst und trat so souverän wie immer auf. Nur wer sie genau kannte, bemerkte, wie viel Mühe es sie kostete, sich so zu verstellen.

      Ein unmerkliches Zittern breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, zugleich spürte sie eine Wärme in ihrem Gesicht hochsteigen. Sie fühlte sich bereits ertappt, ohne ein Wort der Anschuldigung vernommen zu haben. Sie musste sich zusammenreißen, wollte sie nicht auffallen.

      "Wenn Sie rufen, komme ich sofort. Vor allem scheint es wichtig zu sein. Sie haben den Zuschlag nicht erhalten, wie ich aus Ihrer Email erfahren habe." Isis versuchte so unschuldig zu klingen wie möglich und hoffte, dass ihr Gegenüber keinen Verdacht schöpfen würde. Wenigstens hörte man ihr die Anspannung nicht an.

      "Sehr richtig", unterbrach sie Professor Winter abrupt. "Irgendjemand hat uns überboten und den Zuschlag erhalten. Ich kann das immer noch nicht glauben. Dabei habe ich sämtliche Gelder zur Verfügung gestellt, die ich freigeben konnte."

      "Vielleicht war der Betrag dennoch nicht hoch genug."

      Was redete sie da einen Blödsinn. Professor Winter musste doch denken, dass sie den Verstand verloren hatte. Wenn jemand den Zuschlag nicht erhielt, hatte er immer weniger geboten als der Bieter, der den Zuschlag erhalten hatte.

      Sie versuchte ruhig zu bleiben, wusste sie doch wie viel sie geboten hatte, um schließlich den Zuschlag zu bekommen. Wie es schien, hatte sie mehr Geld zur Verfügung gehabt, als der