Helen Dalibor

Die Rollen des Seth


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trauen. Nun war der Juwelier tot und die Fotos mit der Kette befanden sich in den Händen der Polizei. Ihm wurde mulmig bei dem Gedanken, dass nun die Kette bekannt war. Vielleicht war sogar jemand aus dem Polizeidienst in dem Forum aktiv. Damit musste er rechnen. Solche Foren blieben nicht lange verborgen. Sicherlich wurde es überwacht. Vielleicht hatte ihm sogar ein Polizist ein fiktives Angebot geschickt. Er musste die beiden Gegenstände schnellstens loswerden. Sie hatten ihm von Anfang an nichts als Ärger gebracht. Den Fund hätte er gleich melden sollen, anstatt ihn mit nach Hause zu nehmen. Doch er hatte das Geld gewollt, brauchte es, denn Geld brauchte man immer. Und nun machten sie ihm nichts als Ärger.

      Sein Blick fiel auf das Betttuch, das er über den Krug gestülpt hatte. In der Ecke des Zimmers störte der Krug ihn am wenigsten. Bedrohlich erschienen ihm die Umrisse, die sich unter dem Stoff hervorhoben.

      Weg musste das Zeug, raus aus seiner Wohnung, aus seinem Besitz. Egal wie viel ihm angeboten wurde, er würde das höchste Gebot nehmen und dann die Dinger abstoßen und den Zaster nehmen.

      Er ging zu seinem Computer und schaltete ihn ein. Das Gebot von vorgestern, wo 2.000 Euro geboten wurden, klang viel versprechend. Also würde er dem Bieter eine positive Antwort geben. Schon als er den Internet Explorer aufrief, bemerkte er, dass das Internet sehr langsam lief. Bis die Startseite des Forums geladen war und er sich angemeldet hatte, vergingen einige Minuten. Das Postfach seines Benutzernamens enthielt noch einige neue Nachrichten, die er sich ansah und sie grob überflog bis er den Preis für ein Gebot fand. Doch keine der Nachrichten enthielt auch nur annähernd ein Gebot, dass dem entsprach, dem er den Zuschlag geben wollte. Er schien sich im falschen Forum angemeldet zu haben. Niemand war bereit für die beiden Gegenstände viel Geld auszugeben. Vielleicht fürchteten sie, dass es sich um Schmuggelware handelte. Doch was waren denn die anderen Objekte, die dort angeboten wurden? Handelte es sich nicht um Diebesgut oder war die Herkunft der Gegenstände bloß nicht mehr nachzuvollziehen? Seine Objekte stießen nur auf geringes Interesse, damit musste er sich abfinden. Vielleicht war das Interesse an altägyptischen Gegenständen gesunken. Erneut rief er die Hauptseite seines Postfaches auf, in dem Augenblick, wo er die Nachricht des Bieters anklicken wollte, der den Zuschlag erhalten sollte, kam eine neue Nachricht herein. Kurz überlegte er, ob er die Nachricht anklicken sollte, doch als er den Betreff las, wo eine 3000 stand, klickte er die Nachricht ohne zu zögern an. "Ich biete 3.000 Euro für die beiden Objekte. Falls jemand anderes mehr bieten sollte, biete ich 500 Euro mehr als dessen abgegebenes Gebot. Kommen Sie aber nicht auf die Idee das Angebot höher zu schrauben, als das Höchstgebot eigentlich ist. Ich habe Freunde, für die es kein Problem sein wird, ihre eingegangenen Nachrichten zu überprüfen, selbst wenn sie diese gelöscht haben sollten."

      Der Anbieter oder die Anbieterin - eigentlich konnte es bei der harten Formulierung keine Frau sein - mit dem Benutzernamen Putti schien genau zu wissen, was er wollte. Das gefiel ihm. Und das Gebot war in Ordnung. 3.000 Euro waren 1.000 Euro mehr als das Gebot des anderen Bietenden. So war das Leben, nur der mit dem meisten Geld kam an sein Ziel.

      Er bewegte den Mouseanzeiger und klickte auf den Antwortknopf. Wer sich auch immer hinter dem Benutzernamen Putti verbarg, diese Person würde sich freuen.

      11

       Stellingen, 1912

      Das Beduinendorf war der Realität naturgetreu nachempfunden worden. Die Gruppe hatte man aufgeteilt. Ein Teil der Männer sollte bei einem Schauspiel mitwirken, die als bewaffnete Reiter das Beduinendorf überfielen. Während der restlichen Zeit, in der dieses Schauspiel nicht aufgeführt wurde, sollte das Leben in einem Beduinendorf in Ägypten dargestellt werden. Verschiedene Berufe wurden den Besuchern anschaulich dargestellt. Die während dieser Arbeit gefertigten Dinge konnten von den Besuchern käuflich erworben werden.

      Als sie in Ägypten angeworben wurden, war nachgefragt worden, welches Handwerk sie beherrschten. Masut hatte angegeben, dass Glasbläserhandwerk zu beherrschen. Dies stimmte nicht ganz. Sein Onkel war Glasbläser gewesen und er hatte oft in dessen Werkstatt zugebracht und manchmal auch geholfen, doch wirklich beherrschen tat er die Kunst des Glasblasens nicht. Als Assistent wäre er eine Hilfe. So war schließlich auch entschieden worden. Und wenn er sich nicht zu dumm anstellte, musste er nicht fürchten, als Schlangenbeschwörer zu enden. Er hasste Schlangen und fürchtete sich vor ihnen.

      Rasch füllte sich das Beduinendorf mit Leben. Alle waren an die ihnen zugewiesenen Arbeiten gegangen. Backten Brot, stellten Anhänger her oder beschwörten Schlangen.

      Johann hatte sich rechtzeitig vor dem Verteilen der Arbeiten geflüchtet. Wie sollte er sich verständigen, wenn Masut nicht in seiner Nähe war? Einige Brocken Arabisch beherrschte er, doch das reichte nicht aus. Die ganze Zeit konnte er sich nicht verstecken, weshalb sein ägyptischer Freund entschieden hatte, ihn zu Handlangerdiensten in der Glasbläserwerkstatt einzuteilen. Er sollte dem Meister zur Hand gehen, ihm Wasser holen und das Feuer schüren. Masut hatte so ein Auge auf ihn und konnte mitunter helfen, wenn es zu Sprachschwierigkeiten kommen würde. Wenn es ihm möglich war, sollte sich Johann draußen vor der Werkstatt aufhalten. Die Hitze, die im Inneren vor den Öfen herrschen würde, wäre für die aufgetragene Gesichtsfarbe des eigentlich hellhäutigen Jungen abträglich. Der Schweiß würde ihm in Flüssen das Gesicht hinunter rinnen und seine wahre Identität preisgeben. Vielleicht war es möglich, dass der blonde Junge irgendwann die fertig gestellten Gläser und die Anhänger aus der Schmiede verkaufen konnte.

      Masut wollte es nicht wahrhaben, doch langsam erwies sich Johann als Klotz am Bein. Anfangs hatte es ihn gefreut mit jemandem Reden zu können, der ihm nicht misstraute. Seitdem sie allerdings das Schiff verlassen hatten und Johann sich als Ägypter ausgab, mussten sie immer aufpassen, dass das Versteckspiel nicht aufflog. Kein falsches Wort, keine falsche Geste, keine falsche Bewegung. Alles wurde beobachtet. Nie war man wirklich allein. Masut hatte sich das anders vorgestellt, nicht so kompliziert. Es war noch nicht einmal eine Woche vergangen und Masut ertappte sich oft dabei, wie er sich wünschte, er hätte Johann nicht gebeten, ihn zu begleiten. Doch es ließ sich nicht mehr rückgängig machen und vor den Kopf wollte er seinen blonden Freund auch nicht stoßen. Allerdings konnte es auf Dauer nicht so weitergehen. Er musste sich etwas einfallen lassen, bevor das Versteckspiel aufflog.

      Erschwert wurde das Versteckspiel durch einen ständig auftauchenden Tierpfleger, der immer wieder wie zufällig vorbeikam. Masut wurde das Gefühl nicht los, dass dieser junge Mann ihn beobachtete. War er hinter das Geheimnis gekommen? Es konnte unmöglich sein, außer seine Landsleute hatten es bemerkt und weitergegeben. Sie waren Johann gegenüber misstrauisch, mieden ihn und Masut. Dennoch schien es unmöglich, dass sie etwas bemerkt hatten. Er durfte sich den Kopf nicht weiter darüber zerbrechen, sonst würde noch wahr werden, was er fürchtete. Aus demselben Grund dachte er auch nicht an den Inhalt des Krugs, an seine Vorfahren und Verwandten.

      Für die gefährlichen Gegenstände hatte er noch keinen Plan entwickelt, was genau mit ihnen geschehen sollte. Er wollte beides an einem sicheren Ort verstecken.

      Nach ihrer Ankunft und der medizinischen Untersuchung waren sie im Tierpark herumgeführt worden. Sie hatten die wilden Tiere bestaunt, die nur wenige Meter von ihnen entfernt lebten. Johann hatte ihm erzählt, dass hier die Tiere nicht hinter Gittern leben würden, wie es in anderen Zoos sei. Das hatte Masut Angst gemacht, doch sein Freund beruhigte ihn. Noch nie habe ein Tiger oder Löwe sein Gehege verlassen und sei auf die Besucherseite gesprungen. Auch wenn kein Gitter vorhanden sei, könnten die Tiere nicht ihr Gehege verlassen. Das beruhigte den jungen Ägypter ungemein.

      Besondere Aufmerksamkeit erregten die Felsenbauten. Masut konnte sich nicht vorstellen, dass es kein wirklicher Fels sein sollte. Wie war so was möglich? Das musste Zauberei sein, ein Wunderwerk Gottes. Wie sonst war es möglich, so etwas Gewaltiges errichten zu können? In seinem Heimatland standen auch gewaltige Bauten, die vor ewigen Zeiten erbaut worden waren. Vielleicht hatten auch seine Vorfahren an den Bauten mitgewirkt, doch ohne die helfende Hand der Götter hätten die Bauten nie fertiggestellt werden können. Das war einfach unmöglich. Wie sollten Menschen solch eine Leistung vollbringen, wenn nicht mit Hilfe der Götter?

      Seit dem Tag war der junge Ägypter nicht mehr aus dem Dorf herausgekommen. Die Arbeit war hart