Скачать книгу

würde sie mindestens brauchen, um mit ihrem Auto durch den Verkehr der relativ kurzen Strecke zu kommen. Sie fluchte leise. Alles war so schön geplant gewesen, doch wieder einmal hatte die Zeit ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

      20

      Isis hatte es gerade noch geschafft pünktlich zum Seminar zu erscheinen. Als die Studenten ihre vorbereiteten Referate hielten, hatte sie noch einmal die Ereignisse Revue passieren lassen. Die Gegenstände gehörten nun ihr, lagen im Kofferraum ihres Autos und mussten schnellstens das Uni-Gelände verlassen. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass die Gegenstände sich so nah in Professor Winters Nähe befanden. Nach dem Seminar würde sie sofort nach Hause fahren und keine Sprechstunde abhalten, wie sie es sonst tat. Ihre Studenten würden es verkraften.

      "Danke für die Gestaltung der Sitzung. Nächste Woche werden wir dann etwas über die Bedeutung der geduldeten Götter hören." Als das Klopfen verebbt war, packte Isis ihre Sachen zusammen. "Ich wollte noch einmal anmerken, dass heute keine Sprechstunde stattfinden wird. Sollte es dringende Fragen geben, möge man mich bitte per Email kontaktieren."

      Noch einmal wurde mit den Handknöcheln auf die Tische geklopft. Damit war die Sitzung endgültig beendet. Die Studenten packten ihre Sachen, erhoben sich von ihren Stühlen und strebten der Tür entgegen.

      Isis führte noch ein kurzes Gespräch mit den Referenten und gab an, wie sie die Sitzung gefunden hatte. Es war ein gutes Referat gewesen, jedenfalls der Teil, den sie mitbekommen hatte. Und an der regen Mitarbeit des Kurses ließ sich darauf schließen, dass es auch den anwesenden Teilnehmern gefallen hatte.

      Schon viele Referate hatte Isis gehört, die spannend klangen, doch so unglaublich schlecht gehalten worden waren, dass man kaum zuhörte und nur das Ende der Sitzung herbeisehnte. Bei diesem war es nicht so gewesen. Auch die Tischvorlage, das so genannte Handout, machte einen vernünftigen Eindruck.

      Als sie den Raum abschloss und den Schlüssel wegbringen wollte, öffnete sich die Tür von Professor Winters Büro. Isis erschrak und zuckte zusammen.

      "Habe ich Sie erschreckt? Das tut mir leid."

      Isis schüttelte den Kopf.

      "Ich war in Gedanken und habe dadurch nicht gesehen, wie sich Ihre Tür öffnete."

      "Immer noch in Gedanken? Will Ihnen kein Thema für Ihre Promotion einfallen?"

      "Augenblicklich nicht."

      Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie wollte nach Hause. In ihrem Kofferraum lagen zwei brisante Gegenstände, die sie endlich in Sicherheit bringen wollte. Und nun wurde sie auch noch von dem Menschen aufgehalten, dem sie die Gegenstände vor der Nase weggeschnappt hatte.

      "Haben Sie noch etwas vor?"

      "Zahnarzttermin", war die einzige Antwort, die ihr auf die Schnelle einfiel.

      Professor Winter verzog mitfühlend das Gesicht.

      "Ich verstehe. Wie unangenehm. Ich versuche immer mich davor zu drücken, aber meine Frau achtet penibel darauf, dass mein Bonusheft jedes Jahr einen Stempel bekommt."

      Knapp nickte sie und wollte endlich seiner Gegenwart entfliehen.

      "Könnten Sie mich vielleicht zum Bahnhof fahren? Nur, falls Sie mit dem Auto gekommen sind."

      "Wo müssen Sie denn hin? Vielleicht liegt es auf meinem Weg."

      Warum machte sie ihm dieses Angebot? Warum behauptete sie nicht einfach mit der Bahn gekommen zu sein? Stattdessen wollte sie ihn mitnehmen. War sie nicht mehr bei Sinnen? Hatte sie vergessen, was sich in ihrem Auto befand?

      "Wenn es wirklich keine Umstände macht. Ich müsste nach Nedderfeld."

      "Ein Auto kaufen?"

      "Nein, beim besten Willen nicht. Dazu müsste ich erst einmal einen Führerschein besitzen. Ich will meinen Sohn treffen und ihn wegen des Forums um Hilfe bitten."

       Dann besteht noch Hoffnung.

      Vielleicht würde Isis Glück haben und der Mann löschte seinen Account, bevor Professor Winters Sohn mit seiner Spionagearbeit beginnen würde.

      "Bis zum Siemersplatz kann ich Sie mitnehmen, dann müssten Sie den Bus nehmen."

      "Das ist kein Problem. Bringen Sie nur den Schlüssel weg. Ich werde an den Aufzügen auf Sie warten."

       Mit Vergnügen. Ich blödes, blödes Biest.

      Isis verzog den Mund zu einem Lächeln, doch hinter dieser Maske war ihr hundeelend.

      So viel Blödheit konnte auch nur von ihr kommen. Warum sagte sie ihm nicht gleich, dass sie die Gegenstände ersteigert hatte? Sie hatte so ein Geheimnis um ihr Vorhaben gemacht. Ihre Herkunft verschleiert und Sackgassen gelegt, und das alles hatte sie mit einem Handstreich vernichtet. Die ganze Arbeit war vergeblich gewesen. Aber war das nicht typisch für sie? Entweder führte sie eine Arbeit nur halbherzig aus, oder sie brachte es fertig, am Ende alles zu versauen. Wirklich erfolgreich beendet hatte sie noch nie etwas, außer ihrer Magisterarbeit. Aber so sorgsam sie auch immer plante, es kam immer etwas dazwischen, was ihr einen Strich durch die Rechnung machte und alles über den Haufen warf.

      Und jetzt war genau so eine Situation eingetreten. Sie hatte alles so schön geplant. Das Ausführen war ohne weitere Komplikationen verlaufen und nun drohte alles aufzufliegen. Sie hätte sich ohrfeigen können. So viel Blödheit war doch wirklich nicht zu überbieten.

      Der Gang zum Auto verlief schweigsam. Isis überlegte fieberhaft, wie sie Professor Winter auf dem schnellsten Weg zum Siemersplatz bringen konnte. Die Strecke würde wieder voll sein. Und an der Hoheluftbrücke ging es weder vor noch zurück. Diese ewige Baustelle war ein Nadelöhr, in das alle hineinwollten. Eine furchtbare Strecke, weshalb Isis dort so selten wie möglich entlang fuhr. Die Strecke kostete sie nur Nerven und dieses Mal würde es sie mehr kosten als das, möglicherweise ihren Kopf.

      Die Lichter ihres Wagens blinkten kurz auf, als sie ihn mit der Fernbedienung öffnete. Als sie zur Fahrerseite ging und die Tür öffnen wollte, sah sie aus dem Augenwinkel heraus, wie Professor Winter vor dem Kofferraum stand. Starr vor Schreck ließ sie den Schlüssel fallen.

      Habe ich die Abdeckung nicht wieder zugezogen?, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich nach dem Schlüssel bückte.

      "Der Zahnarzt-Besuch scheint Sie sehr aufzuwühlen. So nervös habe ich Sie seit der Notenvergabe zu ihrer Magisterarbeit nicht mehr gesehen."

      "Ich lasse manchmal etwas fallen", sagte Isis. "Ist da ein Kratzer am Kofferraum?"

      "Nein, nein, alles in Ordnung. Ich wollte meine Tasche nur hineinlegen, aber ich weiß nicht, wie man den Kofferraum öffnet. Meine Frau ist immer fassungslos wie technisch unbegabt ich bin."

       Seine Frau kann man nur bewundern.

      Isis zögerte. Sollte sie Professor Winter das ausreden und sich verdächtig machen oder ihn gewähren lassen und erwischt werden? Egal wie sie sich entscheiden würde, beides wäre falsch. Warum musste sie sich auch immer in so eine ausweglose Situation bringen? Ihre Gutmütigkeit würde ihr eines Tages den Kopf kosten. Das musste sie ändern, bevor es zu spät war. Oder war es schon zu spät?

      "Warten Sie, ich öffne Ihnen den Kofferraum."

      "Sehr freundlich."

      Isis öffnete den Kofferraum und wollte die blaue Tasche mit den Gegenständen weiter ins Auto hineinschieben, bevor Professor Winter darauf aufmerksam wurde. Doch es war bereits zu spät. Das Adlerauge hatte die Tasche entdeckt.

      "Sind Sie heute Vormittag bei Ikea gewesen? Da will man natürlich seine Ruhe haben. Kein Wunder, dass ich Sie nicht erreichen konnte."

      Isis holte ihr Handy aus der Jackentasche. Es war ausgeschaltet. Gestern Abend hatte sie den Akku aufgeladen und nach dem Ladevorgang anscheinend vergessen wieder einzuschalten. Dies holte sie nun nach. Wie sollte sie für Mona und Karla erreichbar