Alfred Broi

Genesis I


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ihr Können aufbringen, um zu versuchen, diesen Übergang zu verhindern. Doch dazu musste sie auch in der Lage sein, all ihr Können abzurufen. Mit einer emotionalen Bindung, das hatte sie anfangs immer wieder erlebt, war ihr das nur sehr schwer möglich. Deshalb schob sie dem einen Riegel vor und ließ nichts mehr davon an sich heran. Und so gelang es ihr viel besser, ihre Arbeit zu erledigen, konnte so viel mehr Leben retten, als irgendjemand sonst hier.

      Sie hatte als Ärztin geschworen, das Leben zu achten und zu bewahren – und das tat sie auch verdammt gut.

      Das ihr eigenes Leben, die Lebensfreude und die Leidenschaft, von denen sie doch so viel in sich gehabt hatte, dafür Tag für Tag zum Teufel gingen, konnte sie dabei jedoch nicht verhindern.

      Acht lange, quälende Stunden versuchte Marivar schließlich alles, um die junge Frau noch zu retten, doch am Ende, als sie schon glaubte, sie zurück ins Leben gebracht zu haben, sackte ihr Kreislauf auf unerklärliche Weise innerhalb weniger Sekunden komplett ab und all ihr Können war vergebens.

      Doch niemand im Saal machte ihr einen Vorwurf – außer sie sich selbst.

      Denn obwohl sie wusste, dass ein erfolgreicher Abschluss dieser Operation ein glattes Wunder gewesen wäre, war sie nicht mehr sicher, ob die Worte der Ärztin aus der Notaufnahme im Vorfeld, die unweigerlich zu einer emotionalen Bindung von Marivar zu dieser jungen Frau geführt hatten, ihr Können nicht negativ beeinflusst hatten.

      Und genau das war es, was ihr jetzt zu schaffen machte und ihr einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, den sie so abgrundtief hasste.

      Marivar öffnete den Wasserhahn, hielt ihre Hände darunter und schüttete sich das kühle Nass dann ins Gesicht. Das ganze tat sie mehrmals hintereinander, bis sie spürte, dass die Abkühlung auch die Haut durchdrungen hatte.

      Dann nahm sie ein Handtuch von der Wand und drückte es zunächst nur auf ihr Gesicht, um es dann ganz langsam herabsinken zu lassen.

      In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Operationssaal erneut und der Assistenzarzt trat neben sie. Er war gut einen Kopf größer als sie und bereits 40 Zyklen alt. Im Gegensatz zu ihr schienen ihm die acht Stunden OP jedoch nichts ausgemacht zu haben. Seine Augen blickten noch immer klar und frisch.

      Mit zwei gekonnten Griffen hatte er sich der Maske und des Haarnetzes entledigt und sie in den Mülleimer geworfen. Als er sich die Handschuhe abstreifte, verharrte er in seiner Bewegung und schaute Marivar durch den Spiegel hindurch an. „Alles in Ordnung?“ fragte er.

      Marivar nickte und ließ das Handtuch endgültig sinken. „Ich bereite mich nur gerade innerlich darauf vor, ihrem Mann die tolle Neuigkeit zu überbringen, dass nach dem Tod seines ungeborenen Kindes jetzt auch seine Frau gestorben ist...!“

      „Man hatte ihn zu Beginn der Operation darüber informiert, dass es eigentlich keine Hoffnung mehr gibt!“

      Marivar warf das Handtuch in einen weiteren Mülleimer und schaute ihren Gesprächspartner direkt in die Augen. „Glauben sie mir. Das zählt in diesem Moment nicht mehr!“

      Jetzt nickte der Assistenzarzt. „Soll ich es für sie übernehmen?“

      Marivar sah ihn noch einen Moment an, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein!“ sagte sie erschöpft. „Das ist meine Aufgabe. Erst danach ist es für mich wirklich beendet!“

      Marivar atmete einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür zum Flur und trat hindurch.

      Quasi im selben Moment erhob sich von der Sitzreihe schräg gegenüber einzelner, kleiner Mann mit schwarzem Lockenkopf. Er schaute verlegen zu Marivar, senkte dann aber seinen Blick wieder und blieb unschlüssig stehen. In seinen Händen spielte er nervös mit einem großen Taschentuch.

      Marivar war zunächst etwas überrascht, sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Ehemann allein hier warten würde, sondern die komplette Familie der Patientin...Toten.

      Der Mann schaute noch einmal auf, dann schien er Mut zu fassen und kam mit gesenktem Kopf auf Marivar zu. Ihr Herz beschleunigte fast augenblicklich und es bildete sich ein Kloß in ihrem Hals.

      „Dr. Marivar?“ Die Stimme des Mannes klang brüchig und Marivar konnte sofort bei einem Blick in sein Gesicht erkennen, dass es von unzähligen Tränenschauern aufgedunsen und fleckig war. Für einen kurzen Moment hob der Mann wieder den Kopf und Marivar sah in erschütterte, blicklose Augen, in denen weitere Tränen standen.

      Sie reichte dem Mann die Hand. „Ja, die bin ich...!“ Auch ihr fiel es schwer, ihre Stimme zu finden. „Sind sie Uvok, Asishas Mann?“

      Uvok schaute wieder nur einmal kurz auf, dann nickte er mit gesenktem Kopf.

      Für einen Moment herrschte eine unerträgliche Stille zwischen ihnen.

      „Haben..?“ Uvok räusperte sich. „Haben sie Asisha...retten können?“ Erneut hob er seinen Kopf an, aber nur soweit, dass er Marivar anschauen konnte.

      „Nein!“ Marivar schüttelte traurig den Kopf. „Es tut mir leid Uvok…! Ich konnte sie nicht retten!“ Marivars Kloß im Hals wurde immer größer.

      Uvok begann wieder zu nicken und senkte seinen Blick.

      „Wir haben alles getan,...was in unserer Macht stand...!“ sagte Marivar weiter. „...aber ihre...Verletzungen...waren einfach zu stark!“ Sie hob ihren rechten Arm und legte ihn seitlich an Uvoks linken Arm.

      Uvok nickte immer noch, dann hob er urplötzlich seinen Kopf völlig in die Höhe und schaute Marivar mit tränenfeuchten Augen direkt ins Gesicht. „Hat sie… leiden müssen?“

      „Nein!“ Marivar schüttelte erneut den Kopf. „Sie hat das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Sie musste...nicht leiden!“

      „Und...das Baby ?“

      Marivar atmete einmal tief durch und schloss ihre Augen. „Es war...sofort tot!“

      Als sie ihre Augen wieder öffnete, schaute ihr Uvok noch einen Moment ins Gesicht, dann senkte er wieder seinen Blick und ergriff stattdessen mit seiner rechten Hand Marivars rechte Hand. „Danke Doktor! Danke, dass sie versucht haben, Asisha zu helfen!“

      „Es gibt Grenzen, die wir trotz all unserer Technik noch immer nicht zu überschreiten vermögen...!“

      „Danke, dass sie bei ihr waren, als sie...!“ Uvok verstummte, doch Marivar wusste, was er sagen wollte. „Ich stehe tief ihn ihrer Schuld!“

      Marivar musste wieder durchatmen. „Gibt es irgendetwas, das ich für sie tun kann?“

      Uvok schüttelte den Kopf. „Sie haben schon genug getan!“

      „Haben sie jemanden, der sich um sie kümmert?“

      Uvok schaute sie kurz blicklos an. „Nein!“

      „Ich werde ihnen jemanden schicken, der sie psychologisch betreut!“ Marivar versuchte kurz zu lächeln, wurde aber sofort wieder ernst. „Würden sie hier warten...bitte?“

      Uvok nickte wieder. „Ich werde mir einen Kaffee holen!“ Er deutete auf den Kaffeeautomat den Gang hinunter.

      Marivar nickte ihm zu. „Es wird nicht lange dauern!“

      Uvok drückte kurz ihre Hand, dann löste er den Griff, drehte sich um und ging langsam und ohne Antrieb den Gang hinunter.

      Marivar schaute ihm nach. In ihrem Inneren war sie völlig ausgepumpt, so unendlich schwer war es ihr gefallen, nicht zu weinen. Uvok hatte seine Frau und das ungeborene Kind geliebt, das hatte sie in jeder Sekunde gespürt. Die vernichtende Nachricht über ihren Tod hatte alles in ihm zerstört. Sie bezweifelte, dass dieser Mann jemals wieder so etwas wie Glück würde empfinden können.

      „Marivar?“

      Marivar drehte sich um und sah den Assistenzarzt mit einem Klemmbrett neben sich stehen. „Ja?“

      „Sie müssen noch den Totenschein unterzeichnen!“

      Marivar nickte, holte