Dieter Landgraf

Die Tote unter dem Schlehendorn


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erhalten.“

      Beide nicken zustimmend mit den Köpfen. Der Geschäftsführer der Marina ergreift das Wort: „Bis auf zwei kleine Änderungen bin ich einverstanden.“

      „Und die währen welche?“ fragt Cornelia Nicolai.

      „Den Einzelposten „Anlieferung“ können wir herausnehmen … wir holen die Ware selbst ab … das kann Herr Sander erledigen.“

      „Ist kein Problem … und was wünschen sie noch für Änderungen?“

      „Das wäre der Preis … ist da eventuell noch etwas zu machen?“

      „Ich muss sie in dieser Hinsicht enttäuschen … der Preis ist straff kalkuliert.“

      „Und wie sieht es bei ihnen mit einem Mengenrabatt aus … wir könnten auch gerne die Anzahl der Flaschen verdoppeln.“

      Bei diesen Worten frohlockt sie innerlich - lässt sich aber nichts anmerken.

      „Wenn das so ist … darüber können wir reden.“

      Nach einer kurzen Preisabsprache ordern sie einen größeren Posten - mehr als sich Cornelia Nicolai versprochen hat. Nach der Verabschiedung geht sie aus dem Sekretariat zurück in ihr Arbeitszimmer und schaut aus dem Fenster ihren Besuchern hinterher. Erst jetzt bemerkt sie ihre innerliche Anspannung, die sich langsam im Abklingen befindet. Sie bewegt nicht nur die Freude über den tollen Geschäftsabschluss. Vielmehr überwiegt bei ihr das Gefühl, Tim Sander endlich persönlich kennengelernt zu haben. Vergnügt summt sie ein Lied vor sich hin.

      „Das muss ja ein ganz besonders erfolgreiches Gespräch gewesen sein, wenn sie so fröhlich vor sich hinträllern“, bemerkt Rosemarie Belminchen, die Sekretärin der Brennerei, welche unbemerkt von Cornelia Nicolai das Zimmer betreten hat. Versonnen schaut Cornelia Nicolai sie an. Die Rosemarie ist noch eine vom alten Schrot und Korn, alte Schule eben - denkt sie - schade eigentlich, wenn sie in ein paar Jahren in Rente geht. Entgegen ihrer sonst sehr sachlichen Art bei dienstlichen Angelegenheiten sagt sie: „Ein wunderschöner Tag heute, direkt zu schade, den nur mit Arbeit zu verbringen.“

      Was sie nur haben wird - denkt Rosemarie Belminchen - die scheint ja richtig aufgekratzt zu sein.

      „Einer der beiden Männern war doch Tim Sander“, stellt sie fest.

      „Ja … aber warum diese Bemerkung?“

      „Ach … nur so … sie haben sich doch vor nicht allzu langer Zeit nach ihm erkundigt.“

      „Das war nur“, und kommt aus Verlegenheit fast ins Stottern, „das hat keine besondere Bedeutung.“

      Sie ist richtig froh, dass Rosemarie Belminchen nicht weiter nachfragt. Stattdessen verweist die Sekretärin auf ihren Notizblock und bemerkt: „Sie wollten mir doch noch einige Briefe diktieren … meinetwegen kann es los gehen.“

      Die Arbeit geht Cornelia Nicolai heute leicht von der Hand. Schnell sind die Briefe in den Block diktiert, noch ein paar Telefonate und dann ist Feierabend. Denn heute ist Freitag, da ist der Bürotag schön kurz, weil es schon seit Jahren in der Firma die Regel gibt, in der Woche täglich eine halbe Stunde länger zu arbeiten und sich am letzten Arbeitstag der Woche dafür mit mehr Freizeit zu belohnen. Gut gelaunt wünscht sie ihrer Sekretärin ein schönes Wochenende und verlässt die Firma. Auf dem Heimweg erledigt sie noch ein paar Besorgungen, dann liegen zwei herrliche freie Tage vor ihr.

      Von einem Hochgefühl der Glücksseeligkeit ergriffen geht sie ruhelos durch ihre Wohnung. Am liebsten möchte sie die ganze Welt umarmen - jetzt braucht sie jemanden, dem sie ihre ganze freudige Erregung mitteilen kann und greift zum Telefon. Ohne die sonst übliche Floskel beginnt sie angeregt drauflos zu plaudern:

      „Hallo Anke, du glaubst nicht, wen ich heute wieder gesehen habe?“

      „Nun mache es nicht so spannend … erzähl schon.“

      „Es ist der junge Mann aus der Mensa … du weißt doch … der mit der schwarzen Kleidung … den fandest du damals auch sehr attraktiv.“

      Nur mühsam kann sich Anke an die kleine Episode aus der Studienzeit erinnern.

      „Das ist doch schon so lange her … aber ich weiß schon, wen du meinst … deshalb musste das Essen immer pünktlich auf dem Tisch stehen“, und lacht bei der Erinnerung herzhaft.

      „Nun sei doch einmal in deinem Leben ein kleines bisschen ernsthaft … für mich bedeutet dieses Wiedersehen enorm viel … ich glaube …ich bin richtig verliebt.“

      „Du musst doch verrückt sein … was heißt denn überhaupt Wiedersehen … der kennt dich doch gar nicht … aber so ein kleinwenig verrückt warst du ja schon immer.“

      „Das hat überhaupt nichts mit Verrücktheit zu tun … dir kann ich es ja anvertrauen … die gleichen Empfindungen wie heute hatte ich damals schon, als ich ihn in der Mensa zum ersten Mal gesehen habe … ich habe dir nur nichts verraten … weil ich doch zur gleichen Zeit mit meinem späteren Mann zusammengewesen bin … aber ganz losgelassen hat mich die damalige Begegnung nie so richtig.“

      „Wenn ich das so höre … es scheint ja wirklich ernst mit dir und dem jungen Mann zu sein.“

      „Der junge Mann heißt übrigens Tim Sander … er sieht noch genau so attraktiv wie damals aus … und anspruchsvolle Umgangsformen hat er … zur Begrüßung fehlte nur noch der Handkuss.“

      „Wenn es die große Liebe ist, dann freue ich mich für dich … hoffentlich erlebst du keine Enttäuschung … er ist doch viel jünger als du.“

      „Nein, nein … es sind nur ein paar Jahre … und alt sehe ich nun wirklich nicht aus … das Schlimme ist … er weiß noch nichts von meinen Gefühlen … ich überlege die ganze Zeit, wie ich mit ihm ins Gespräch kommen könnte.“

      „Da brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen … bei deinem Aussehen wirst du schon einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben … wenn er dich sieht, kommt er ganz allein auf dich zu … da könnte ich fast darauf wetten.“

      „Und was soll ich dann sagen?“

      „Stell dich doch nicht so umständlich an … du beginnst einfach mit etwas Dienstlichem aus dem Gespräch in deiner Firma … das andere kommt dann von ganz allein … du bist doch kein Teenager mehr.“

      „So werde ich es machen … dabei fällt mir ein, er wollte sich um eine Werbeagentur für die Vermarktung meines „Schlehenzauber“ kümmern … das wäre zum Beispiel ein Aufhänger für den Beginn einer Unterhaltung.“

      „Siehst du … so schwer ist es doch gar nicht … und denke daran, wenn es so weit ist mit euch Beiden und die Hochzeitsglocken läuten … dann will ich Trauzeugin sein … aber vorher besucht ihr uns … ihr seit herzlich eingeladen … du hast mich jetzt richtig neugierig auf ihn gemacht“, und ein herzhaftes Lachen begleitet ihre Worte.

      Nach einer halben Stunde und dem Austausch aller weiteren wichtigen und belanglosen Ereignisse der letzten vierzehn Tage legen beide den Hörer auf.

      Ankes Bemerkung: „Ruf wieder an, wenn es etwas Neues gibt“, hört Cornelia Nicolai schon nicht mehr. Anke Falk schaut auf das Telefon, schüttelt fast unmerklich den Kopf und denkt - ein verrücktes Weib ist sie schon immer gewesen, aber trotzdem bleibt sie meine allerbeste Freundin. Hoffentlich geht alles gut.

      Neue Liebe

      Cornelia Nicolai übt ihren Beruf mit großer Hingabe und Leidenschaft aus. Trotzdem genießt sie die Freizeit an den Wochenenden in vollen Zügen. Das gestrige Telefongespräch mit Anke hat bei ihr eine gewisse Erleichterung bewirkt. Heute ist wieder einmal ein traumhafter Tag, wo die Morgensonne ihre Wohnung mit Licht durchflutet und das Radio leise die besten Hits aus den siebziger und achtziger Jahren spielt. Die ihr bekannten Texte singt sie laut mit und die weniger populären Melodien begleitet Cornelia Nicolai zumindest mit einem leisen Summen. Zwei wunderschöne freie Tage liegen vor ihr