Dieter Landgraf

Die Tote unter dem Schlehendorn


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nachdem ich zu Bett gegangen bin?“

      „Ach … nichts Wesentliches … über meine Arbeit im Krankenhaus … über seine Tätigkeit als Landarzt … über das Leben auf dem Lande.“

      „Das glaube ich dir nicht ganz … dich bedrückt doch etwas … da kenne ich dich zu lange und zu gut … also heraus mit der Sprache.“

      „Ja, also“, und nach einer kleinen Kunstpause fährt er fort, „hm … Frank hat mir erzählt, dass die Stelle des Stationsarztes im Klinikum in Ballenhainischen vakant ist … sie soll in der nächsten Woche öffentlich ausgeschrieben werden.“

      Mit besorgter, fast ängstlicher Stimme fragt sie: „Und … was hast du gesagt?“

      „Er soll sich mal erkundigen … und mich dann anrufen.“

      „Das kannst du doch nicht ernst gemeint haben.“

      „Es heißt doch deshalb nicht, dass ich auch die Stelle bekommen werde … soweit ist das noch lange nicht … da gibt es sicher eine ganze Menge an Bewerbern.“

      „Aber überlege doch einmal … gerade jetzt, wo ich die Teilzeitstelle in dem Rechtsanwaltbüros angeboten bekommen habe … schon in drei Monaten könnte ich dort anfangen … und an Yvonne und Tobias denkst du wohl überhaupt nicht?“

      „Doch, doch … aber in ihrem Alter lebt man sich überall ein … und neue Freundschaften findet man ebenfalls … das ist auf der ganzen Welt so … und bleibe doch bitte ganz ruhig … noch ist es ja nicht soweit … vielleicht findest du gerade hier viel leichter eine Stelle als Rechtsanwältin, als bei uns in der Stadt.“

      „Du hast ja recht … nein, ich rege mich nicht auf … du sollst dich lieber auf das Fahren konzentrieren … zu Hause können wir uns in aller Ruhe darüber austauschen“, bemerkt Anke. Sie ist sich bewusst, dass damit die Probleme nur aufgeschoben werden. In Wirklichkeit hat sie riesige Angst vor dem Neuen, vor dem Unbekannten, das auf sie zukommen könnte - und wenn sich ihr Ehemann etwas in den Kopf gesetzt hat, dann hat er es bisher immer verwirklicht.

      Der Umzug

      Mit ihren Gedanken über ihre Zukunft sollte sie recht behalten - und dann geht alles ganz schnell. Andreas Falk erhält die Stelle als Stationsarzt im Klinikum Ballenhainischen. Das bedeutet grundlegende Veränderungen im Leben der Familie. Mit dem Bescheid, dass sich die Klinik für ihn entschieden hat, kommt er freudig nach Hause und ruft schon im Korridor: „Ich habe den Zuschlag erhalten … in einem viertel Jahr kann ich die Stelle antreten.“

      „Herzlichen Glückwunsch, ich freue mich ganz sehr für dich“, reagiert Anke auf die Botschaft - sie hat sich längst mit der Umstellung ihres bisherigen Lebens abgefunden und meint es ehrlich mit ihrer Freude - auch wenn ihr schon vor der Zukunft etwas Bange ist. Sie setzt ihre Ausführungen fort: „Jetzt müssen wir noch die Kinder davon unterrichten … das wird nicht einfach … doch gemeinsam sind wir stark und werden es schon meistern.“

      „Schieben wir es nicht auf die lange Bank … wenn die Beiden zu Hause sind, dann sollten wir es sofort tun. “

      „Ja, Yvonne und Tobias sind in ihren Zimmern … ich sage ihnen Bescheid.“

      Beide Kinder setzen sich zu ihren Eltern an den Couchtisch im Wohnzimmer.

      „Sieht aus wie ein Familienrat … haben wir was ausgefressen?“, eröffnet die Dreizehnjährige die Gesprächrunde.

      „Nein, ausgefressen habt ihr nichts. Wir haben euch etwas Wichtiges mitzuteilen“, antwortet Anke, „Papa hat eine neue Arbeitsstelle bekommen … er übernimmt die Kardiologische Station des Klinikums in Ballenhainischen.“

      „Ist ja toll, dann bist du ja ein richtiger Chef … finde ich super, ich gratuliere dir ganz herzlich“, bemerkt Yvonne spontan.

      „Es ist nur ein kleiner Haken daran“, wirft Andreas vorsichtig ein, „wir müssen umziehen … nach Akazienaue.“

      „Wo liegt denn das … habe ich noch nie gehört“, fragt Yvonne schon nicht mehr so begeistert.

      Bei der Erklärung der geographischen Lage von diesem Ort wird es ganz still und die Mienen der Kinder werden nachdenklich. Tobias meldet sich zu Wort und fragt: „Müssen wir da auch die Schule wechseln … oder fährt von dort auch ein Bus bis hierher.“

      Ja … ein Schulwechsel ist notwendig … der Ort liegt zwei Stunden Autofahrt von hier entfernt … und mit der Bahn würdet ihr die doppelte Zeit brauchen.“

      „Ohne mich, sprudelt es sofort aus Yvonne heraus, „da mache ich nicht mit.“

      „Dann kann ich ja nie mehr Miriam sehen“, bringt Tobias mühsam hervor und hat sichtlich mit den Tränen zu kämpfen.

      Voller Mitgefühl nimmt Anke ihre zwei Lieblinge in die Arme und tröstet sie mit den Worten: „Leben kann man überall auf der Welt … und, lieber Tobias, du wirst in deinem Leben noch so viele Miriams kennenlernen … so etwas tut nur im ersten Moment weh.“

      Doch diese Ausführungen können die beiden Kinder nicht überzeugen. Anke merkt es und erzählt weiter: „Der Ort liegt an einem herrlichen See … da könnt ihr jeden Tag im Sommer baden gehen … ein Boot werden wir uns auch kaufen … und neue Fahrräder bekommt ihr selbstverständlich … und ein kleines Einfamilienhaus wird unser neues Heim … mit zwei großen Kinderzimmern … in unserem Haus richten wir einen grandiosen Party- und Freizeitraum ein … mit einem Dartspiel … Billard … Tischtennis … da könnt ihr euch richtig mit euren Freunden auslassen.“

      „Easy … kann man da auch Wasserski fahren?“ will Yvonne neugierig wissen.

      „Selbstverständlich, das ist ein ganz tolles Wassersportparadies … da machen andere Urlaub … und wir wohnen einfach dort.“

      „Ich will ein Mountainbike“, ruft Tobias mit einem Male hell begeistert, „mit dem man auch Geländefahrten machen kann.“

      „Und ich ein neues Laptop … mit integrierter Kamera, damit ich auf Skype mit meinen Freundinnen telefonieren kann … und einen neuen Bikini … und Wasserskier“, wirft Yvonne dazwischen.

      Anke ist über die begeisterten Ausrufe recht froh. Die niedergedrückte Stimmung ist verflogen. Mit ihren ermunternden Worten hat sie die Kinder wieder aufgerichtet und ihnen Hoffnung für eine inhaltsreiche und interessante Zukunft gegeben.

      Die nächsten Tage sind mit angespannter Betriebsamkeit im Leben der Familie Falk angefüllt. Allen bemächtigt sich eine freudige Erwartung auf das Neue. Auch ein Haus mit einem großen Garten ist schnell gefunden. Anke, ein Organisationstalent in allen Belangen des täglichen Lebens, erstellt einen Ablaufplan der wichtigsten Aufgaben für den Umzug in ihr neues Heim. Das Vorrecht für den Hauskauf haben sie sich bereits bei der Grundstücksverwaltung der zuständigen Immobilienfirma gesichert. So und ähnlich schallt es seit Tagen durch die Wohnung:

      „Andreas … du kümmerst dich gleich morgen um einen Termin mit der Bank für den Hauskredit … da müssen wir beide hingehen … das sind die Vorschriften … wird bei unserer Bonität sicher kein Problem … und schau einmal, was du im Internet für kostengünstige Umzugsunternehmen findest … und der Keller muss ausgeräumt werden, das heißt … du sortierst aus, was wir mitnehmen, das andere kommt auf den Sperrmüll … und vergiss nicht, die Umzugskartons zu bestellen, die brauche ich umgehend.“

      Dann ist alles geschafft und sie beziehen ihr schmuckes Häuschen unweit vom Akaziensee. Vergessen sind all die Aufregungen und die immense Arbeit der letzten zwölf Wochen, vergessen die Wege zu den Behörden und zur Bank - jetzt sind sie Einwohner von Akazienaue - ihrer neuen Heimat.

      Der Umzug in ihr neues Heim ist bis auf ein paar Kleinigkeiten bewältigt. Beide sitzen am Frühstückstisch. Andreas blättert in der Tageszeitung. Ab und zu liest er Anke eine Meldung vor, die ihm aus regionaler Sicht mitteilungswert erscheint. Unverhofft unterbricht ihn Anke: „Da ist eine Sache, die ich bei dem ganzen Trubel etwas aus den Augen verloren