Dieter Landgraf

Die Tote unter dem Schlehendorn


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wenn sich einer umbringen will, dann macht er das doch nicht unter freiem Himmel … dann bleibt er zu Hause … vielleicht in Bett … etwas Anderes habe ich noch nicht gehört … und dass es sich um einen Unfall handelt, ist überhaupt nicht möglich … in solch einem Fall hätte ich doch Verletzungsspuren bemerken müssen … aber davon ist hier nichts zu sehen.“

      Jens Knobloch bemerkt die kleinen Schweißperlen auf der Stirn des Wirtes.

      „Ich kann ja ihre Aufregung ganz gut verstehen … bleiben sie doch bitte ganz ruhig … ist ihnen etwas aufgefallen, als sie das Dorf verlassen haben … eine Person … ein Fahrzeug … irgendetwas Ungewöhnliches?“

      „Nicht dass ich wüsste … ich war mutterseelenallein.“

      „Haben sie die Tote berührt?“

      „Nein … ich wollte sagen ja … ich habe versucht, ihren Puls zu fühlen … habe sie nur am Handgelenk angefasst.“

      „Könnte sein, dass wir von ihnen noch eine DNA benötigen … wegen dem Vergleich mit eventuell anderen Spuren.“

      „Aber mit dem Tod habe ich wirklich nichts zu tun … ich habe sie lediglich zufällig gefunden“, versichert er nachdrücklich dem Kommissar.

      „Tja, das wär’s dann fürs Erste … wenn wir sie nochmals brauchen - und davon gehe ich aus - melden wir uns … zudem wäre es für unsere Ermittlungen dienlich, wenn sie die nächsten zwei Wochen Akazienaue nicht verlassen … oder haben sie die Absicht, eine Reise zu unternehmen?“

      „Nein, nein, jetzt noch nicht … aber in vier Wochen …“

      Den Rest des Satzes hört Jens Knobloch schon nicht mehr. Er hat im Moment kein Interesse, sich die Ferienpläne des Hoteliers anzuhören und begibt sich zurück zum Fundort der Toten. Dort ist inzwischen der Bestattungswagen vorgefahren. Zwei Männer in schwarzen Anzügen sind damit beschäftigt, die Leiche in den Sarg zu legen. Auch die Kollegen der Spurensicherung haben ihre Arbeit beendet und ziehen sich ihre Schutzanzüge aus. Veronika Sommercamp und Monika Bieberstein unterhalten sich mit ernsten Mienen. Jens Knobloch stellt sich zu ihnen und fragt: „Kann man jetzt schon etwas Genaueres über die Tötung sagen?“

      Erstaunt blickt die Hauptkommissarin ihn an … wieso sprichst du von Tötung?“

      „Hm …“, und nimmt sein Notizbuch zur Hand, „der Inhaber der Gaststätte „Haus am Akaziensee“ ist fest davon überzeugt, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt“, antwortet Jens Knobloch.

      Als er die fragenden Blicke der beiden Frauen bemerkt fügt er rasch hinzu: „Das ist der Mann, der die Tote gefunden hat … er heißt übrigens Armin Wenzel … und ist ehrenamtlicher Bürgermeister von Akazienaue … er hat die Bemerkung, dass es sich um Mord handelt, mehrfach wiederholt.“

      „Ist ja interessant … mit dem Herrn Wenzel beschäftigen wir uns später … wenn wir mehr wissen …jetzt soll erst einmal unsere Pathologie ihre Arbeit aufnehmen …

      dann werden wir gesicherte Erkenntnisse über die Tötung haben und können zielgerichtet die Ermittlung aufnehemen.“

      Beim Verlassen des Fundortes der Leiche sehen die Polizeikommissare Armin Wenzel in schnellen Schritten dem Dorf zustreben.

      „Das wird heute das Thema Nummer eins in Akazienaue … wollen wir wetten?“, bemerkt Jens Knobloch.

      „Darauf möchte ich zwar nicht wetten … aber bestimmt wirst du recht haben … etwas ist auf alle Fälle einhundertprozentig sicher: Unser heutiger Besuch in Akazienaue wird nicht der Letzte gewesen sein.“

      Herbst 1997

      Wieder einmal so ein Zwölf-Stunden Tag - überlegt Dr. Andreas Falk - und dann noch die Bereitschaft als Notarzt, das geht langsam an die Substanz. Gerne wäre er auch auf der Karriereleiter weiter nach oben gestiegen. Zu seinem Leidwesen sind die Führungspositionen durch Ärzte besetzt, die im Vergleich zu ihm nur wenige Jahre älter sind. Eigentlich besitzt er die besten Voraussetzungen für eine Stelle als Oberarzt in der Klinik. Das Medizinstudium, die Doktorarbeit und fünf Jahre Facharztausbildung hat er erfolgreich bewältigt. Vor kurzem absolvierte er die Ausbildung zum Notarzt. Als Student war es immer sein Wunsch, an einem großen Klinikum zu arbeiten - und wenn möglich, natürlich in einer Großstadt. Auch diese Vorstellungen sind in Erfüllung gegangen. Den beruflichen Aufstieg hat er sich aber doch etwas leichter vorgestellt. In den letzten Wochen wurden seine Gefühle und Gedanken immer wieder von Widersprüchen und Selbstzweifeln getrübt. Wie schon öfters stellt er sich auch heute die Frage, ob es nicht ein erfülltes Leben außerhalb des Klinikums und der Großstadt geben könnte. Unwillkürlich fällt ihm bei diesen Überlegungen sein Freund und Kommilitone aus der Studienzeit ein. Mit ihm verbindet ihn noch heute eine feste Männerfreundschaft. Sein Name ist Frank Ringhof. Er hat auf einer Südamerikareise die große Liebe seines Lebens kennengelernt. Seine Frau stammt aus ländlichen Verhältnissen und wollte unter keinen Umständen eine Städterin werden. Diesen Wunsch erfüllte Frank Ringhof seiner Frau und übernahm eine frei gewordene Landarztpraxis inmitten des Naturparks Sandahlener Heide. Das Einfamilienhaus mit einem großen Garten hat er in Akazienaue gebaut. Seinen Erzählungen zufolge lebt er glücklich und zufrieden in der ländlichen Abgeschiedenheit seines Wohnortes. Auf dem Nachhauseweg gehen ihm die Gedanken über Frank Ringhof nicht aus dem Sinn. In seiner Wohnung wird er freudig von Yvonne und Tobias, seinen beiden Kindern, begrüßt. Wie so oft ist die Zeit mit den Kindern nur kurz bemessen. Sie nehmen ihre Schulmappen und verabschieden sich mit einem Küsschen von seiner Frau. Ein kurzes Hallo in Richtung ihres Vaters und beide sind verschwunden. Liebevoll kommt Anke auf ihn zu und schmiegt sich zärtlich an ihn. Als er den Arm um ihre Hüften legt, spürt er, dass er diese Frau noch genau so liebt, wie vor zehn Jahren, als sie sich das „Ja-Wort“ gegeben haben. Im gleichen Jahr wurde ihre Tochter Yvonne geboren. Nachdenklich schaut Andreas Falk in seine Kaffeetasse.

      „Hast du irgendein Problem … du kommst mir ein wenig bedrückt vor!“, bemerkt Anke besorgt.

      „Bedrückt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck … ich bin einfach unzufrieden.“

      „Doch hoffentlich nicht mit mir?“

      „Um Gottes Willen … nein, nein … dich liebe ich noch wie am ersten Tag, als wir uns kennenlernten.“

      „Dann kann ich ja froh sein … und was macht dich dann so nachdenklich?“

      „Die Situation in der Klinik macht mir zu schaffen.“

      „Gibt es etwa Ärger?“

      „Auch das nicht …es ist schon alles in bester Ordnung … ich sehe einfach keine Chancen, von der Assistenzstelle wegzukommen … die Ärzte über mir sind in der Regel nur drei bis vier Jahre älter als ich.“

      „Aber die waren doch in der gleichen Situation, wie du jetzt bist … und haben auch eine leitende Position erhalten.“

      „Da gehört verdammt viel Geduld dazu … wenn ich darauf warten soll, dass einer von denen in den Ruhstand geht … das kann aus heutiger Sicht noch ganz schön lange dauern … und Oberarzt wollte ich eigentlich nicht erst fünf Jahre vor dem Ruhestand werden“, bemerkt er mit einem ironischen Unterton.

      „Ich versuch dich ja zu verstehen … du hast doch immer gesagt, dass es der schönste und dankbarste Beruf ist … gilt das jetzt nicht mehr.“

      „Daran wird sich auch nichts ändern … ich denke dabei auch an mein Gehalt … und die Notarztausbildung habe ich auch nur gemacht, dass wir uns ganz einfach etwas mehr leisten können.“

      „Meinetwegen brauchst du dir deshalb keine Gedanken zu machen … ich bin zufrieden mit dem was wir haben … und wenn du vor allem niemals aufhörst mich zu lieben.“

      Die letzten Worte überhört er absichtlich, obwohl er sie genau registriert. Ohne darauf einzugehen gibt er seinen Überlegungen weiter freien Lauf.

      „Es ist nicht nur das Berufliche … zurzeit habe ich das ganze Stadtleben