Dieter Landgraf

Die Tote unter dem Schlehendorn


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du denn das letzte Mal mit ihm telefoniert … geschweige denn, mit ihm persönlich gesprochen.“

      „Siehst du, genau das ist der Punkt … nicht einmal dazu kommt man … ich meine damit … seine alte Freundschaft zu pflegen … und zu ihm zu fahren gleicht ja einer halben Weltreise.“

      Anke überlegt, ob da nicht ein gewisses Verlangen nach einem Neubeginn aus seinen Worten herausgeklungen hat. Andreas hat eigentlich noch nie so geringschätzig über das Großstadtleben gesprochen. Tausend Gedanken jagen ihr durch den Kopf und sie sagt: „Um Himmelswillen, ja keine Umstellung oder Veränderung.“

      „Davon habe ich doch gar nicht gesprochen … aber wenn ich es mir einmal richtig überlege … was haben wir denn die letzten Jahre von den Angeboten in der Stadt genutzt … ja, vor zehn Jahren war das noch anders … da war jede Woche Theater, Kino, Kabarett oder Party angesagt … doch schon seit einigen Jahren ist es stiller mit uns Beiden und um uns herum geworden.“

      „Du hast ja recht … ich möchte natürlich, dass du glücklich bist … aber bedenke immer, dass auch das schönste Umfeld zur Gewohnheit wird, wenn man es vor Augen hat.“

      Andreas ist froh, dass er sich einmal aussprechen konnte und es geht ihm auch gleich viel wohler. Trotzdem ist er sich sicher, dass damit das Thema noch längst nicht aus der Welt geschaffen ist. Am Abend, die Kinder sind schon schlafen gegangen, holt Andreas eine Flasche von dem französischen Rotwein aus dem Weinregal und schaut Anke herausfordernd an. Voller Unternehmungslust sagt er: „Mit einem Glas Wein lässt es sich besser quatschen … und wir haben noch eine ganze Menge zu bereden.“

      Also doch, denkt sie, ihr Gefühl hat sie nicht getäuscht. Hinter der wortreichen Schilderung am Vormittag in der Küche verbirgt sich also doch ein ernsterer Hintergrund. Nach dem ersten Glas Wein kommt Andreas richtig ins Schwärmen.

      „Stell dir vor, wir beide wohnen in einem schönen kleinen Häuschen mit einem tollen Garten … rundherum nur die saubere Landluft … das Gemüse kaufen wir dann nicht mehr im Supermarkt sondern holen es frisch aus den eigenen Beeten … ich würde die schwereren Arbeiten übernehmen und den ganzen Nutzgarten bewirtschaften. … und du könntest all deine Kreativität im Vorgarten und den Blumenrabatten einbringen.“

      Begeistert von der bildhaften Schilderung einer möglichen Zukunftsvision lässt sich auch Anke anstecken und schmückt die Gedanken von ihrem Ehemann weiter aus.

      „Am liebsten möchte ich einen japanischen Garten anlegen … die dazu gehörigen Pflanzen und Skulpturen bekommst du in jedem gängigen Baumarkt“, und scherzend fügt sie hinzu, „oder wir bringen diese von unsere nächste Asienreise als Originale selbst mit.“

      „Was wir uns alles vornehmen könnten … zum Beispiel sind ausgedehnte Radtouren vorstellbar … ich habe gehört, dort soll es die am besten ausgebauten Radwege im ganzen Land geben … sicher kaufen wir uns auch ein kleines Kajütboot und ich werde ein richtiger Freizeitkapitän.“

      „Ich möchte mit dir an den Wochenenden Nordic Walking über taufrisches Gras unternehmen und den Sonnenaufgang genießen.“

      „Wir können uns die teuren Urlaubsreisen ersparen … die schöne Landschaft und Wasser haben wir jeden Tag direkt vor der Haustür“, steigert er sich immer mehr in seine Vorstellungen eines veränderten Wohnsitzes. Nach dem zweiten Glas Wein sieht sich Anke schon wie ein kleines Mädchen mit einem Wildblumenkränzchen im Haar über die Wiesen schweben und ihre Begeisterung wächst zunehmend. Voller Überschwang meint Andreas: „Du wirst dann meine Galionsfigur auf dem Boot sein … ich stelle mir schon die neidischen Blicke der anderen Bootsfahrer vor, wenn du im Bikini auf dem Bug unseres Schiffes ein Sonnenbad nimmst.“

      Lachend sagt Anke:„Wärst du da nicht ein kleines bisschen eifersüchtig auf die braungebrannten und muskelbepackten Seemänner?“

      „Ich und eifersüchtig … das ich nicht lache … ich würde einen jeden über Bord schmeißen, der dir zu nahe kommt … und am Abend hätte ich dich dann ganz allein … ohne das irgendeiner zuschauen kann.“

      „Was würdest du dann mit mir machen … hoffentlich keine Dummheiten“, fragt Anke scherzhaft.

      „Natürlich nur den Sonnenuntergang beobachten und die einzigartige Stille der freien Natur genießen“, gibt er ebenfalls spaßig zurück. In Gedanken spürt sie schon die feste Umarmung seiner kräftigen Arme und legt ihren Kopf sanft auf seine Brust. Dieser Abend endet wild romantisch - wie in den ersten Tagen ihres Kennenlernens. Beseelt vom süßen Rebensaft und den Zukunftsvisionen erleben beide eine leidenschaftliche Liebesnacht.

      Besuch des Freundes

      Am nächsten Morgen in der Klinik gehen Andreas nochmals die gestrigen Gedankenspiele durch den Kopf. Noch zögert er mit einem Anruf bei Frank Ringhof. Er ist sich nicht ganz sicher, ob Anke ihre Worte auch ernst gemeint hat - schließlich waren da auch zwei Flaschen Wein mit im Spiel. Nur nichts übereilen! Das ist eine Entscheidung, die das ganze Leben grundlegend verändern kann. Doch lange hält seine Unentschlossenheit nicht an. Kurzerhand ruft er Anke an und sagt: „Wärst du einverstanden, wenn wir am Wochenende zu Frank Ringhof fahren?“

      Mit einem Schlag wird ihr klar, dass die gestrige Unterhaltung kein Scherz gewesen ist. Nun ist sie sicher, dass Andreas all die Dinge nicht nur so dahergeredet hat. Mit seinem Grundanliegen hat er es ernst gemeint und antwortet: „Ja … schon … was willst du denn bei ihm?“

      „Einfach so zum Gedankenaustausch … über das Leben auf dem Lande … ohne den ganzen Schnickschnack der Großstadt.“

      „Gut, ich bin einverstanden … vergiss bitte nicht eine Flasche Sekt zu besorgen … als Willkommensgruß von uns … ich glaube, er wird ganz schön staunen … schließlich ist es das erste Mal, dass wir ihn besuchen … aus irgendwelchen Gründen haben wir die Fahrt zu ihm immer wieder verschoben. “

      „Ist nicht so schlimm, wie du denkst … ich habe ihn doch erst vor kurzem zum Klassentreffen gesehen und auch sonst öfter miteinander telefoniert.“

      „Wenn ich mich richtig erinnere habe ich deinen Freund zum letzten Mal vor drei Jahren gesehen … er war Teilnehmer an einem medizinischen Kongress und hat bei uns übernachtet … seine Frau kenne ich überhaupt nicht.“

      „Darüber brauchst du dir wirklich keine Gedanken zu machen … dafür kennt er dich ganz gut … ich habe ihn selbstverständlich viel von dir erzählt … du bist dabei immer gut weggekommen … und seine Frau stammt aus Peru … die Südamerikaner sind sehr kontaktfreudig … mit ihr wirst du dich ganz wunderbar verstehen.“

      Anke beendet das Gespräch und stellt das Telefon zurück in die Aufladestation. Einen kurzen Augenblick verweilt sie noch und schaut nachdenklich zum Fenster hinaus. In ihren Gedanken sieht sie eine riesige Lawine Arbeit und Probleme auf sich zurollen. Schnell beruhigt sie sich wieder. Er hat ja gesagt: Nur mal erkundigen - nichts Verbindliches - warum soll ich mir schon jetzt den Kopf zerbrechen - schließlich benötigt er ja auch eine Arbeitsstelle - und als einen Landarzt kann sie sich ihren Mann wahrlich nicht vorstellen - dazu ist er ein zu sehr begeisterter Herzspezialist.

      Das Navigationsgerät führt sie sicher in die Richtung nach Akazienaue.

      „Bisschen abgelegen“, murmelt Andreas fast lautlos vor sich hin - aber Anke hat es schon verstanden.

      „Nur ein bisschen ist noch untertrieben“, bemerkt sie, „ich habe auf den Tacho geschaut … wir sind zwanzig Kilometer gefahren und haben kein Haus, geschweige denn einen Menschen zu Gesicht bekommen.“

      „Mag ja stimmen … aber wenn du auf die Uhr schaust, dann sind es nicht mal fünfzehn Minuten gewesen.“

      „Ob hier überhaupt ein Bus fährt?“, fragt sie sarkastisch.

      „Halt doch auf mit deiner Schwarzmalerei … die sind hier weiter als wir in der Großstadt denken … Frank hat mir erzählt, dass es für die älteren Menschen sogar einen Bürgerbus gibt.“

      „Habe