belanglose Floskeln mit dem Kioskbesitzer austauschte, stand der Mann vor dem Regal mit Magazinen über Angeln, Golf und Sportfliegen und spitzte die Ohren. Sogar die Stimme war ähnlich, vielleicht ein klein wenig tiefer. Aber die Frau hier musste älter sein, Anfang Zwanzig schätzungsweise. So gesehen, konnte sie es nicht sein. Dennoch musste er herausfinden, warum sie eine so verblüffende Ähnlichkeit mit Lena hatte. Er beschloss ihr zu folgen.
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Lottas Nase schwelgt in Teedüften. Die quirlige Bedienung in dem kleinen Teegeschäft an der Ecke zieht geduldig eine große Teekiste nach der anderen aus den Regalen und lässt Lotta jeweils an einer kleinen Schaufel voll schnuppern.
„Rosengarten, zweimal ein halbes Pfund, bitte“, entscheidet Lotta. „Und dann noch von dem hier mit Rotbusch und Sanddorn und ein Pfund von der echten Ostfriesenmischung. Danke.“
Während die muntere Bedienung den Tee abwiegt, besieht Lotta die Angebote an Teegeschirr und anderen Utensilien, die zu einem gelungenen Teeaufguss gehören. Kurz entschlossen greift sie sich noch ein Glas mit Rum-Kandis und ein neues Teesieb. Alles andere ist in der Küche von ‚Haus Westwind‘ bereits in ausreichender Menge und Qualität vorhanden.
Mitten beim Auswählen der Kluntjes – Zitrone, Sanddorn oder doch lieber noch ein zweites mit Rum? – überfährt sie plötzlich ein kalter Schauer. Ihr ist, als ob sie beobachtet würde, beobachtet von unfreundlichen Augen. Doch als sie sich umdreht und aus dem Fenster blickt, ist niemand zu sehen, der sich für sie zu interessieren scheint. Dafür sieht sie auf der anderen Seite der Bahnschienen zwei bekannte Gestalten mit schweren Supermarkttüten in den Händen.
Ihr Herz macht einen freudigen Hüpfer, als Moritz – zu ihr? – herüberblickt. Sie beeilt sich, die zwei, in grobes Packpapier eingeschlagenen Kandis-Gläser in die Plastiktüte zu legen, damit sie nicht gegen einander schlagen, und bezahlt. Die Bedienung wünscht ihr einen fröhlichen vierten Advent und wendet sich dem nächsten Kunden zu.
Lotta schiebt die gefaltete Zeitung in die Tüte mit dem Tee, zieht Mütze und Handschuhe wieder an und verlässt das Teegeschäft. Sie überlegt kurz, ob sie so tun soll, als ob sie die beiden Jungs noch nicht gesehen hat, und einfach durch die Fußgängerstraße verschwinden kann. Doch da hebt Sebastian schon den freien Arm und winkt.
„Guten Morgen! Gut ausgeschlafen?“ ruft er im raschen Näherkommen.
Moritz folgt ihm etwas langsamer, da er zwei schwere Plastiktüten trägt. Doch auch er lächelt erfreut, als er bei Lotta angekommen ist. Sie spürt, wie sie unter seinem faszinierend grün-grauen Blick weiche Knie bekommt.
„Danke, wie ein Stein“, antwortet sie verspätet und an Sebastian gewandt. „Ihr hoffentlich auch.“
„Momo besser als ich“, grinst Sebastian und knufft seinen Freund kumpelhaft in die Seite. „Entschuldige, ‚Mo‘ wollte ich sagen.“
„Geht doch“, brummelt Moritz in den Kragen seiner olivgrünen Daunenjacke und wendet sich dann direkt, aber ohne sie anzusehen, an Lotta: „Bist du auf dem Weg nach Hause oder musst du noch einkaufen gehen?“
„Letzteres“, antwortet sie und fixiert einen Punkt irgendwo kurz neben seinem linken Ohr. „Aber ich schaffe das gut alleine, danke. Bringt ihr lieber euer Zeug nach Hause. Sieht schwer aus.“
„Wir sehen uns dann nachher gegen vier“, nickt Sebastian und stößt Moritz an, um ihn zum Gehen zu bewegen. „Oh verdammt!“
Er bricht ab und starrt die Fußgängerstraße hinunter. Lotta folgt seinem Blick und sieht drei junge Leute in Winterjacken heran kommen, zwei schlanke junge Männer und ein Mädchen im Oberstufenalter, die wie Geschwister aussehen. Alle drei tragen modische Boshi-Mützen auf ihren dunkelbraunen Haaren.
„Was macht die denn hier?“ flüstert Sebastian und will einen Schritt zur Seite treten, halb hinter Moritz und in den Sichtschatten des Teegeschäfts.
Doch das Mädchen hat ihn schon erspäht. Sie stockt für den Bruchteil einer Sekunde, dann löst sich ein Schrei aus ihrer Kehle, der Jubel, Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung zugleich ausdrückt.
Im nächsten Augenblick ist sie heran und klammert sich wie eine Ertrinkende an Sebastian, der die Einkaufstüte zu Boden gleiten lässt und unter der stürmischen Begrüßung um sein Gleichgewicht bemüht ist.
„Ich habe es gewusst!“ flüstert das Mädchen mit Tränen in den Augen. „Du hast mich nicht vergessen.“
„Hallo Linda“, murmelt Sebastian und schiebt sie mit sanfter Gewalt auf Armeslänge von sich. „Was machst du denn hier?“
„Weihnachten bei Opa.“
„Aha.“
„Ja, freust du dich denn nicht, mich zu sehen?“
Mittlerweile sind auch die beiden jungen Männer heran und sehen mit einer gewissen Bestürzung von ihrer Schwester zu Sebastian und wieder zurück. Mit Stirnrunzeln bemerkt Lotta, dass ihre Mienen alles andere als freundlich sind. Ihre Neugier ist geweckt, was nicht nur ihrer beruflichen Ausrichtung geschuldet ist. Vielmehr spürt sie, dass hier einiges im Argen ist.
Moritz tritt ungeduldig von einem Bein aufs andere, während Sebastian sich schweigend aus dem Klammergriff der Mädchenhände auf seinen Unterarmen befreit und die Einkaufstüte wieder aufhebt.
„Wer ist denn das?“ fragt Linda angriffslustig, als sie Lotta bemerkt, die neben Moritz stehend die Szene verfolgt.
„Lotta“, antworten Sebastian und Moritz wie aus einem Mund.
Im nächsten Moment fühlt sich Lotta von Sebastian an sich gezogen. Sein freier Arm liegt besitzergreifend um ihre Taille, als er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze haucht. Lotta ist zu perplex, um reagieren zu können. Dennoch nimmt sie mit einiger Überraschung zur Kenntnis, dass nicht nur Linda, sondern auch Moritz wie versteinert ist.
„Ach so“, macht Linda enttäuscht und mustert Lotta abschätzend. „Ich dachte, du stehst nicht auf Brünette. Was ist denn mit dieser, wie hieß sie noch gleich, Mager, äh, Marta? War das alles nur Show?“
Lotta muss sich ein Stirnrunzeln verkneifen. Innerlich streiten die Gefühle, ob sie Sebastian weiter schweigend helfen oder lieber ihrem Wahrheitsdrang folgen und klarstellen soll, dass sie keinesfalls mit Basti zusammen ist. Schon um diesen schrecklichen kalten Ausdruck aus den Augen von Moritz zu vertreiben. Erstaunt bemerkt sie, dass sich das herrliche Malachitgrün zu einem kalten, stürmischen Grau gewandelt hat. Er ist wütend, das spürt sie. Aber auf wen, auf seinen besten Freund oder sie selbst, das vermag sie nicht zu deuten.
„Komm, Linda“, mischt sich nun einer ihrer Brüder ein. „Lass uns gehen. Ich hab Hunger. Und Kai auch.“
Er wirft seinem Bruder einen auffordernden Blick zu, worauf dieser sofort nickt und die Hand seiner Schwester fasst. Er wedelt mit einer Einkaufsliste und ruckt mit Kopf hinüber zum Bäcker am Bahnhofsplatz.
„Da siehst du’s“, sagt der erste Bruder im Davongehen. „Er macht sich nichts aus dir, Linda, egal, wie sehr du ihn beeindrucken willst. Er ist halt doch nur ein windiger Surflehrer, ein Urlaubsflirt, der längst eine andere hat.“
Widerstrebend lässt sich Linda abführen, wobei sie immer wieder über die Schulter zu Sebastian zurückblickt, der seinen Arm solange um Lotta geschlungen lässt, bis die Geschwister nicht mehr zu sehen sind.
„Entschuldige“, sagt Sebastian kleinlaut und sieht Lotta an. „Ich musste schnell reagieren. Diese Linda…“, er seufzt traurig, „ist wie ein falscher Fuffziger, eine überaus anstrengende Klette. Man wird sie nicht wieder los.“
Lotta schweigt und wartet ab, ob er sich noch weiter erklären wird. Wie sie aus ihren bisherigen Verhören gelernt hat, ist es am besten, die Menschen einfach reden zu lassen, wenn sie einmal angefangen haben. Irgendwann kommt alles ans Tageslicht. Moritz sieht seinen Freund aufmerksam an, die Augen wieder ein dunkles sattes Malachitgrün, die Stirn glatt und die sanft geschwungenen