Ana Marna

Wächterin


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von Ungewissheit zu befreien. Das gelingt manchmal, manchmal aber auch nicht. Aber ich kann Ihnen zumindest sagen, dass es ein gutes Gefühl ist, wenn man weiß, warum eine Leiche auf meinem Tisch gelandet ist. Und noch besser ist es, wenn man herausfindet, wer dafür verantwortlich ist.“

      „Was machen Ihre Opfer aus Afrika. Beschäftigen Sie sich noch mit Ihnen?“

      Valea zögerte, doch schließlich nickte sie.

      „Ja, soweit es meine Zeit zulässt. Ich bilde mich fort, was Spuren durch Tierfraß angeht.“

      Er lachte leise.

      „Sie sind sehr bescheiden, Dr. Noack. Soweit ich weiß, halten Sie inzwischen Vorträge über dieses Thema, und die meisten Ihrer Kollegen halten Sie auf diesem Gebiet für außerordentlich kompetent.“

      Sie starrte ihn an.

      „Sie informieren sich offensichtlich gründlich über mich. Gibt es dafür einen Grund?“

      „Sie interessieren mich, Dr. Noack. Aber das habe ich Ihnen ja schon bei unserem ersten Treffen gesagt.“

      „Hm“ Sie lehnte sich zurück. „Ich hoffe, Sie haben keine Stalker-Tendenzen.“

      Er lachte wieder leise und in seinen Augen blitzte es kurz auf. Valea war sich nicht sicher, ob es Spott oder Erheiterung war.

      „Doch“, gab er zu. „Manchmal habe ich die. Ich bin ebenfalls Jäger, Dr. Noack, und da sind solche Tendenzen sehr hilfreich. Aber seien Sie unbesorgt. Ich werde Sie nicht nachts heimlich durch ein Fenster beobachten und Sie auch nicht auf Schritt und Tritt verfolgen.“

      Für kurze Zeit herrschte Stille. Dann griff er unvermutet zu einem Buch, das auf dem Wohnzimmertisch lag.

      „Die Hexen von Eastwick.“ Jetzt war er eindeutig amüsiert. „Sie mögen Fantasy?“

      „Nicht wirklich“, wehrte Valea ab. „Das Buch hat mir eine Kollegin ans Herz gelegt. Sie meinte, es wäre witzig und entspannend. Anscheinend habe ich den Eindruck vermittelt, dass es nötig sei.“

      „Und ist es das?“

      „Es lenkt ein wenig ab, ja. Aber ich mag die realistische Literatur mehr.“

      „Sie glauben also nicht an Magie.“

      Reflexartig lachte Valea auf.

      „Nein, natürlich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass solche Geschichten für viele Leute einen Reiz ausüben. Hexen, Monster, Vampire, was auch immer, spielen schließlich in allen Kulturen eine Rolle. Aber ich persönlich halte mich lieber an das, was ich sehen, riechen, hören und schmecken kann.“

      „Das klingt sehr vernünftig“, nickte er. „Aber Sie müssen zugeben, dass Ihre Sinne ihre Grenzen haben. Glauben Sie nicht, dass es auch noch Dinge in diesem Universum gibt, die menschliche Sinne einfach nicht erfassen können?“

      „Sicher ist das so“, gab Valea zu. „Und ja, ich stoße oft auf Grenzen und wünschte mir manchmal, hexen zu können. Doch da mir die einzigen Hexen bisher in Märchen begegnet sind, belasse ich sie auch gerne dort.“

      Roman Rothensteins Augen funkelten auf unbestimmte Weise. Machte er sich über sie lustig? Warum sollte er? Bisher schien er immer ein sehr rationaler Mensch zu sein. Doch Valea stellte im Laufe des Abends fest, dass ihr Besucher ein weitaus vielseitigerer Gesprächspartner war, als sie bisher geglaubt hatte.

      Die Zeit verflog und sie lauschte fasziniert seinen Erzählungen und Beschreibungen über Märchen, Mythen und Fabelwesen. Das Thema hatte ihn wohl eine lange Zeit beschäftigt, wie er zugab und Valea genoss seine Ausführungen und seinen Witz. Die Zeit verfloss, Wein kam hinzu und aus einer Flasche wurden zwei, bis Valea erschrocken feststellte, dass es bereits drei Uhr morgens war.

      Unsicher erhob sie sich.

      „Es ist spät, Herr Rothenstein und ich habe morgen wieder einen langen Arbeitstag.“

      Er stand ebenfalls auf.

      „Dann werde ich wohl besser gehen. Ich danke Ihnen für einen anregenden Abend, Dr. Noack, und wünsche Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg.“

      Als er verschwunden war, lehnte sich Valea mit geschlossenen Augen gegen den Türrahmen. Er hatte sich mit einem galanten Handkuss verabschiedet und hinterließ in ihr ein seltsames Gefühl. Mochte sie Roman Rothenstein? Sie war sich nicht sicher. Er war attraktiv, sogar sehr, und seine Nähe versetzte sie ein wenig in Unruhe. Mehr noch als bei ihrem ersten Kennenlernen. Aber sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser Mann nicht ungefährlich für sie war, obwohl keine seiner Handlungen und auch kein Wort darauf hindeuteten. Er behandelte sie respektvoll, rührte sie nicht an und schien nur an Gesprächen mit ihr interessiert zu sein. War sie deshalb so irritiert? Wollte sie, dass er sie anfasste? Dass er sich auch anders für sie interessierte? Sie spürte wie sich eine leichte Gänsehaut auf ihr ausbreitete, wenn sie an seinen intensiven Blick dachte. Den ganzen Abend über hatte er sie nicht aus den Augen gelassen, sie beobachtet, beinahe seziert. Doch noch immer wusste sie nicht, was er von ihr wollte. Was er in ihr sah.

      Mit einem leisen Seufzer löste sie sich von ihrem Platz und steuerte auf das Badezimmer zu. In dieser Nacht würde sie darauf keine Antwort finden. Aber vielleicht bekam sie ja noch ein wenig Schlaf.

      August 2011

       Frankfurt am Main, Deutschland

      Der Anruf kam überraschend und zu einer ungewöhnlichen Tageszeit, nämlich mitten in der Nacht.

      Valea schreckte hoch, als das Telefon klingelte. Verschlafen tastete sie nach dem Hörer. Hoffentlich war das nicht das Institut. Eigentlich hatte sie gerade keine Bereitschaft.

      „Ja?“, murmelte sie.

      „Dr. Noack? Dr. Valea Noack?“

      Der Akzent war eindeutig amerikanisch. Valea richtete sich auf und versuchte zu verstehen, wer da am Apparat war. Vermutlich hatte sie sich verhört. Auf Englisch fragte sie nach:

      „Wer ist dran? Könnten Sie Ihren Namen nochmal wiederholen?“

      „Bond. James Bond.“

      „Äh – hach – sehr witzig. Aber es ist bei mir mitten in der Nacht und da hält sich mein Humor in Grenzen.“

      „Entschuldigen Sie den späten Anruf, Dr. Noack.“ Die männliche Stimme klang ebenfalls leicht genervt. „Aber mein Name ist tatsächlich James Bond. Ich bin Special Agent beim FBI und brauche Ihren Rat.“

      „Dann muss ich mich wohl ebenfalls entschuldigen, Agent Bond.“ Valea musste grinsen und war dankbar, dass ihr Gesprächspartner dies nicht sah. Doch vermutlich konnte er es sich denken. Wer diesen Namen trug, bekam mit Sicherheit ständig dumme Bemerkungen und noch dümmere Witze zu hören. „Was kann ich für Sie tun?“

      „Ich habe hier zwei Mordfälle, naja vermutlich sogar drei. Alle tragen die gleiche Handschrift und wir kommen einfach nicht weiter mit unseren Ermittlungen. Man hat Sie uns empfohlen für solche speziellen – äh – Verletzungen.“

      „Sie meinen Fraßspuren.“

      „So was in der Art, ja.“

      „Haben Sie Bilder, die Sie mir zukommen lassen können?“

      „Hm, schon. Doch ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass Sie vorbeikommen.“

      Ein Trip nach Amerika? Rasch ging sie im Geist ihre Termine durch.

      „Ich muss sehen, ob ich das einschieben kann, Agent Bond“, meinte sie schließlich. „Doch Sie können mir die Bilder auf jeden Fall zuschicken, damit ich einen ersten Eindruck bekomme. Haben Sie meine Mailadresse?“

      „Ja, ich werde es sofort veranlassen. Wann kann ich mit einer Antwort rechnen?“

      Sie sah auf die Uhr. Es war zwei Uhr nachts.

      „Ich hoffe in etwa zehn Stunden“,