Beth St. John

Lost Vampire 3


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Kurzem waren sie und George hier nie ganz allein gewesen, denn sie hatten einen Geist als unfreiwilligen Mitbewohner gehabt: Leonard. Anfangs hatten weder Ever noch George von seiner Existenz gewusst – bis Sam aufgetaucht war. Als Engel hatte er ihn als einziger sehen können und schließlich – mit Evers Hilfe – hatte er seine Seele befreit und erlöst.

      Auch wenn Ever Leonard niemals zu Gesicht bekommen hatte, so war er dennoch da gewesen. Sie wusste freilich, er war keine böse Seele und es drohte keinerlei Gefahr von ihm, dennoch war sie froh, dass er mittlerweile verschwunden war. George und sie konnten nun wirklich unter sich sein – ganz unter sich. Ever schloss die Augen und atmete tief durch. Es war ein befreiendes Gefühl.

      „Warum kommst du nicht herein?“, erklang Georges tiefe Stimme von oben. Ever öffnete die Augen. Er stand auf dem oberen Ende des Treppenabsatzes und blickte fragend auf sie herunter. Allein bei seinem Anblick wurde Ever heiß und kalt zugleich – wie schon am ersten Tag ihrer Begegnung. George hatte eine dunkle Aura, grundsätzlich verschieden zu Sams. Seine nachtschwarzen Augen ließen einem schier das Blut in den Adern gefrieren und dennoch war es unmöglich, den Blick von seinem schönen Gesicht abzuwenden. Überhaupt war George der Inbegriff männlicher Schönheit. Er war groß, muskulös und seine Gesichtszüge beinahe aristokratisch. Aber das war nicht alles, weshalb Ever ihn so liebte. Sie liebte ihn auch wegen seiner Kraft, die er aufbrachte, um gegen das Böse in ihm und für seine Liebe zu ihr zu kämpfen. Sie war sich seiner so sicher, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen würde.

      „Träumst du etwa?“, fragte er ungeduldig und kam langsam und elegant wie eine Raubkatze die Stufen hinunter.

      Ever lächelte und trat endlich über die Schwelle, um ihm entgegenzukommen. „So ähnlich. Mir ist gerade bewusst geworden, dass wir dein Haus endlich mal ganz für uns allein haben.“

      „Ich habe dich vermisst“, flüsterte er verführerisch, als er ihren Nacken mit beiden Händen umschloss, um sie nahe an sich heranzuziehen.

      „Tatsächlich?“ Ever freute sich. „Ich war doch nur ein paar Stunden fort.“

      „Das war schon viel zu lange.“ George beugte sich zu ihr hinab und verschloss ihre zarten Lippen mit einem leidenschaftlichen, alles versprechenden Kuss. Eine Weile verloren sie sich ganz in der Nähe des anderen. Schließlich löste sich George und sah Ever in die Augen.

      „Hast du Hunger?“, fragte er und Ever wirkte überrascht.

      „Und wie“, gab sie zu. „Das College-Essen ist nicht so toll.“

      „Dann komm mit.“ George ging voraus in die Küche und Ever folgte ihm. „Erzähl mir von deinem Tag!“

      „Ach, es war ganz okay. Ist noch nicht viel passiert – die Professoren haben sich vorgestellt und erzählt, was wir im kommenden Semester zu erwarten haben. Nichts Weltbewegendes.“ Sie zuckte mit den Schultern und seufzte.

      „Setz dich“, forderte George sie auf und Ever nahm auf einem Stühle an dem Küchentisch Platz.

      „Was ist los mit dir?“, fragte der Vampir dann direkt mit einem Seitenblick auf seine Freundin, während er einen der Küchenschränke öffnete und einen Topf herausholte. „Dich bedrückt etwas, das spüre ich.“

      „Ach …“ Ever machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle sie ihre Sorgen fortwischen. „Issy ist gerade nicht so gut drauf und außerdem vermisse ich James. Erst verschwindet er, dann stirbt meine Mutter … ich hätte ihn gebraucht, weißt du.“ James war Evers Mentor gewesen – und viel mehr als das. Er war ihr Vertrauter, ihr Freund. Er hatte ihr offenbart, wer und was sie war, und sie vieles gelehrt. James war ein Wächter und damit zuständig für das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse. Nachdem er Torch Creek hatte verlassen müssen, übernahm ein anderer Wächter seinen Posten: Lukas Drake. Ein Mann, der Ever nach wie vor äußerst suspekt war.

      „Ich weiß“, antwortete George mitfühlend. „Ich bin sicher, James wird nach Torch Creek zurückkehren. Er wird wiederkommen.“

      Ever seufzte erneut. „Die Sache ist eigentlich komplizierter.“ Sie zögerte kurz und überlegte, wie sie am besten formulieren sollte, was ihr auf dem Herzen lag. „Einerseits vermisse ich ihn, andererseits weiß ich mittlerweile nicht mehr, was ich von ihm halten soll. Ich frage mich, ob ich ihn jemals wirklich gekannt habe.“

      George sah Ever verwundert an. „Wie meinst du das?“

      „Nun …“ Ever holte tief Luft. „Als Sam hier wieder aufgetaucht ist, hat er mir etwas mitgebracht. Ein Geburtstagsgeschenk.“ Ihr entging das gefährlich aufflackernde Funkeln in Georges Augen nicht. Er war eifersüchtig auf Sam, hatte es ihr gegenüber jedoch nie zugegeben. „Sei nicht böse“, versuchte sie die Situation zu retten, „dass ich dir bisher nichts davon erzählt habe. Ich wollte nicht, dass du dich praktisch wegen nichts ärgerst.“

      Georges Miene verriet sein Missfallen. Dennoch antwortete er: „Schon okay. Du kannst ja nichts dafür, wenn er dir etwas schenkt. Ich hätte allerdings erwartet, dass du mir davon erzählt hättest – nicht erst heute.“ Er rang sich ein verzeihendes Lächeln ab. „Erzähl weiter, bitte.“

      „Okay.“ Ever schenkte ihm einen dankbaren Blick. „Also … Er hat mir ein Tagebuch geschenkt. Das Tagebuch eines Gestaltwandlers. Und jetzt rate mal, wer darin erwähnt wird?“

      „James?“ Es klang nicht nach einer Frage.

      „Genau, James. Und außerdem unser guter alter Freund, Lukas Drake.“ Sie schnaubte hörbar.

      „Nun, das ist nicht weiter verwunderlich“, warf George ein. „Wächter arbeiten oft zusammen.“

      „Das war es auch nicht, was mir zu denken gegeben hat“, fuhr Ever mit Bitterkeit in der Stimme fort. „Der Gestaltwandler hat James für seinen Freund gehalten. Und dann hat er erfahren, dass James zusammen mit Drake vorhatte, ihn zu töten. Um Linestras zukünftiges Vorhaben zu stoppen.“ Ever schüttelte sich bei dem Gedanken an die böse Dämonin. Sie war nach Torch Creek gekommen, um den Höllenschlund zu öffnen – und eine ganz besondere Zutat für ihren dämonischen Zauber war ein Opfer. Aber nicht irgendeines Menschen, nein … Es musste ein Gestaltwandler sein. Nur das Blut dieser besonderen Wesen war wandlungsfähig – wie ein Universalschlüssel, der sämtliche Türen öffnet. James, George und Sam war es schließlich gelungen, Linestra zu bannen und gleichzeitig Ever zu retten, doch es war knapp gewesen. Da Gestaltwandler nur alle paar Generationen geboren werden und für die Dämonin eine so gewichtige Rolle spielten, hatten sich die Wächter damals für den einfacheren Weg entschieden: Das Ritual zu verhindern, indem sie den Gestaltwandler töteten. So konnte die Dämonin zu keiner Zeit an Gestaltwandlerblut herankommen. Ever schluckte bei der Erinnerung an das, was sie gelesen hatte. „Ich frage mich, ob er auch mich geopfert hätte.“

      George hielt inne und sah Ever an. „Nein“, sagte er bestimmt. „Nein. Das hätte er nicht.“

      „Woher willst du das wissen?“, fuhr Ever auf. „Warum sollte ich etwas anderes für ihn sein als dieser arme Mann damals? Es war doch alles genau gleich … James hat sein Vertrauen gewonnen, sich als sein Freund und Mentor ausgegeben, ihn vieles gelehrt. Und dann …“ Ihre Stimme brach und sie schluckte schwer.

      „Dieses Mal war er nicht mit dieser Lösung einverstanden. James, meine ich“, antwortete George. „Lukas Drake hatte damals auf ihn eingeredet, ihn ermahnt, dass es seine Aufgabe als Wächter wäre, höheren Zielen zu dienen und das Gleichgewicht zu wahren – und dass das Leben eines Einzelnen zur Not geopfert werden müsse. James hat es danach immer bereut, jeden einzelnen Tag seines Lebens.“

      Ever riss überrascht die Augen auf. „Du hast davon gewusst?“, fragte sie entgeistert.

      George senkte den Blick. „Ja“, gab er zögerlich zu. „Ich habe davon gewusst.“

      „Aber … Warum hast du mir nie davon erzählt?“

      „Ich wollte nicht, dass du dich praktisch wegen nichts aufregst“, gab er zurück.

      „Wegen nichts? Jetzt hör aber auf, den Beleidigten zu spielen! Nur weil