Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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schwer. Wenn ich mich nur nicht auf der falschen Seite des Schwimmbadzauns befinden würde!

      Laut meinen Unterlagen war Holger ein sportlicher, schlanker Typ. Knapp ein Meter zweiundachtzig groß, gepflegt und seine dunkelbraunen Haare in einem modischen Kurzhaarschnitt tragend.

      Die Unterlagen stimmten. Der Mann sah exakt wie ein Model aus einem Versandkatalog aus. Kein Wunder, dass er sich ständig mit anderen Frauen herumtrieb. Wie mochte seine eigene aussehen? Helga. Vermutlich eher der rustikale Typ, Marke ‚Hummelhüfte’, nicht Wespentaille. Ich lachte leise vor mich hin. Bei so einer Frau würde ich mein Glück auch anderweitig versuchen. Oder Helga sah vielleicht doch noch ganz anders aus - ich hatte sie ja nicht kennengelernt. Schließlich war es ja Bernd, mein Chef, der den Auftrag höchst persönlich angenommen hatte.

      Und natürlich die Zicke, also Birgit Zickler, unsere Sekretärin, die mir die Unterlagen dann brühwarm und mit einem süffisanten Lächeln überbrachte. „Schau hier, großer Johni, was ich für unseren Superdetektiven habe.“ Grinsend stand sie in der Tür zu meinem Büro, natürlich ohne anzuklopfen, und wedelte mit einer Mappe herum. „Jetzt kannst du wieder einmal zeigen, was in dir steckt!“ - „Leg’s da hin“, meinte ich nur müde und zeigte auf meinen Schreibtisch. Aber den Gefallen tat mir die ‚Zicke’ nicht. Sie schüttelte den Kopf mit den bunt gefärbten Haaren: „Sag’ erst ‚Bitte’.“ - „Birgit, du bist meine Sekretärin, also lass’ den Scheiß und leg’ die Akte einfach auf meinen Schreibtisch.“ Wo käme ich denn hin, wenn ich auch noch ‚Bitte’ sagen würde?

      Aber die Zicke drehte sich wieder um und stapfte davon - mit der Akte in der Hand. Im Flur hörte ich sie noch rufen: „Gut, dann informiere ich Bernd darüber, dass du an dem Job kein Interesse hast.“

      Nun ist es ja nicht so, als könnten mich diese Worte schrecken. Bernd war schließlich mein Freund. Aber um was für einen Auftrag handelte es sich überhaupt? Vielleicht wieder einer von dem Oberstaatsanwalt Eberson. Eberson, der uns von Zeit zu Zeit Aufträge erteilte, die hart am Rand der Legalität lagen. Gefährliche Aufträge. Aufträge, für die ein Jonathan Lärpers wie geschaffen war. Als Tarnung für diese Operationen hatten wir extra das Detektivbüro hier gegründet. ‚Argus’, so wie das Auge. Und jetzt verschwand die Zicke gerade wieder mit dem so wichtigen Auftrag?

      Keine zwei Sekunden stand ich hinter ihr und riss den Ordner an mich. So nicht, Fräulein! Ich drehte mich wortlos um und ging wieder zu meinem Büro.

      „Johni?“ Warum konnte sie mich nicht wie alle anderen Jonathan oder - wie ich es wollte, aber niemand tat - ‚Jon’ nennen?

      „Was?“, entgegnete ich barsch ohne mich umzudrehen.

      „Wie sagt man?“, klang es von ihr zuckersüß.

      Ohne ein weiteres Wort ging ich in mein Büro und setzte mich an den Schreibtisch. Dann klappte ich die Akte auf. Die Akte, die leer war und lediglich aus dem Pappendeckel bestand. Was sollte das jetzt wieder? Sekunden später stand ich vor Birgits Rezeption und klopfte auf den Tresen.

      „Ach, Johni, was kann ich für dich tun?“ - „Die Akte. Sie war leer. Wo sind die Blätter?“ - „Johni, du bist so unhöflich. Was sagt man, wenn man etwas möchte?“

      Ich biss mir auf die Lippe. „Bte“, murmelte ich dann - aber nur, um dem Ganzen hier ein Ende zu machen.

      „Was sagst du? Ich habe dich nicht verstanden.“

      Ich hätte die Frau erwürgen können. Diese Zicke war mein schlimmster Alptraum. „Bitte!“

      „Na siehst du, Johni, geht doch.“

      Sie reichte mir einige Blätter. „Viel Spaß mit dem Auftrag, Johni. Ist genau deine Kragenweite.“

      Natürlich war der Auftrag nicht ‚genau meine Kragenweite’. Meine Kragenweite? Wenn Birgit so etwas sagte, konnte nicht viel dabei herauskommen. Und genau das hatte ich ja auch schon vorher vermutet. Wieso schanzte Bernd mir immer wieder solche Aufträge zu? Gut, auf meine Frage meinte er lächelnd ‚wir müssen auch Geld verdienen’ und ‚du kannst ja nicht immer nur nutzlos herumsitzen’. Aber Beschattungen? Oder verschwundene Hunde suchen? Da hatte ich doch schließlich etwas Besseres verdient.

      Die Luft im Wagen kochte. Seufzend warf ich einen weiteren Blick auf das Thermometer: Neunundvierzig Grad Celsius. Ich überlegte kurz, ob es sinnvoll wäre, Herrn Anders Celsius wegen der Erfindung seiner von uns benutzten Temperaturskala zu verfluchen, beschränkte mich dann aber darauf, ein paar böse Worte über Bernd und seine Verteilung der Aufträge zu verlieren.

      Ich musste hier aus der Gluthitze raus. Mein Hemd war an zahlreichen Stellen durchgeschwitzt, Schweiß tropfte von meiner Stirn auf die Hose und die Kamera wäre beinahe meinen nassen Händen entglitten. Also ließ ich den Wagen an und fuhr von meinem Beobachtungsposten auf den ein wenig versteckt liegenden Parkplatz. Wenn jetzt nur HH nicht aus dem Schwimmbad flüchtete! Ich beeilte mich, schloss rasch die Fenster und sprang förmlich aus dem Wagen. Der stand zwar ein wenig schräg auf zwei Parkplätzen, aber wen kümmern schon solche Kleinigkeiten? Ich hatte es halt eilig, Holger durfte mir auf keinen Fall durch die Lappen gehen. Obwohl der in den letzten Tagen ja erst gegen einundzwanzig Uhr das Bad verlassen hatte. Wieso eigentlich so spät? Wie ich wusste, schloss das Bad doch um acht Uhr abends. Das war alles höchst verdächtig!

      Keuchend und schwitzend stand ich endlich in einer kurzen Schlange vor dem Kassenhäuschen. Um diese Zeit kamen nicht mehr viele Besucher, die meisten befanden sich schon seit den frühen Morgenstunden im Bad. Zumal ja heute auch noch Samstag war. Wer außer mir arbeitete schon an einem Samstag? Bei dieser Hitze. Ob Bernd mir eine Zulage zahlen würde?

      Ich dachte an meinen letzten Auftrag zurück. Nahezu im Alleingang hatte ich eine komplette rumänische Verbrecherbande zerschlagen. Ein Undercover - Auftrag, den uns der Oberstaatsanwalt Eber...

      Ich bekam einen Stoß in den Rücken und gleichzeitig plärrte hinter mir eine Stimme los: „Woll’n se nich oder könn’ se nich? Geh’n se man voran, se halten hier den ganzen Vekehr auf!“ Ich blickte mich um und sah zuerst in die Spitze eines Sonnenschirms an dessen Ende eine extrem dicke Frau stand. Kurz blitzte der Gedanke, wie dieses Walross in einem Badeanzug aussehen würde, durch mein Gehirn, dann schüttelte ich mich.

      „Einmal Erwachsener?“ Die Dame an der Kasse sah mich abschätzend an. War es so ungewöhnlich, dass ein durchgeschwitzter Mann ohne Badetasche oder Handtuch, aber dafür mit einer DSLR bewaffnet, ihr Bad betreten wollte? Mir kam eine Idee, wie ich die Eintrittsgebühren sparen konnte.

      „Guten Tag, junge Frau. Mein Name ist Jonathan Lärpers und ich bin von der Presse. Wir wollen einen Artikel über ihr schönes Bad schreiben. Lassen sie mich einfach rein.“

      Die Frau sah erst auf meine Kamera, dann in mein Gesicht. „Das müssen sie mit dem Chef ausmachen. Hier können sie nicht so einfach für irgendeine Zeitung fotografieren. Welche Zeitung ist das denn eigentlich?“

      Ich druckste ein wenig herum: „Rhnsch Pst.“ - „Entschuldigung, können sie auch deutlich sprechen? Ich habe sie nicht verstanden. Zeigen sie mir doch einmal bitte ihren Presseausweis.“

      Nun, einen Presseausweis besaß ich natürlich nicht. Ob es auch mein Detektivausweis tat? Ich verwarf den Gedanken. Unschlüssig stand ich vor dem Kassenhäuschen.

      „Jeht dat nich voran? Ich muss in et Wasser, Männeken. Hasse kein Geld? Mach hinne!“ Die dicke Frau hinter mir stieß mich wieder mit dem Schirm an.

      „Also, wo ist ihr Presseausweis?“ - „Den, den habe ich vergessen“, stammelte ich. Der Schweiß lief mir in Strömen das Gesicht herunter. Und das nicht nur wegen der Hitze.

      „Dann müssen sie wie jeder andere auch bezahlen. Aber die Kamera dürfen sie nicht mit hineinnehmen!“ - „Nicht mit hineinnehmen?“, echote ich. Wie sollte ich HH bei seinen Amouren fotografieren ohne Kamera? „Das geht doch nicht.“

      „Doch das geht“, beschied mir die Kassenfrau. „Das bestimme ich jetzt so. Alles andere können sie ja mit dem Chef besprechen. Wenn sie hinein wollen, dann nur ohne Kamera.“