Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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Fahrt zu kommen. Die Schirmspitze kam meinem Rücken wieder bedenklich nahe. Rasch trat ich aus der Reihe. Was nun? Ohne Kamera war es sinnlos in das Bad zu gehen. Es sei denn, ich würde mir Schwimmsachen besorgen. Was aber illusorisch war. Schließlich musste ich HH im Auge behalten, da konnte ich nicht einfach nach Hause fahren und meine Badehose holen. Also ohne Kamera hinein? Ich könnte ja in den Männerduschen nackt duschen. Wenn es so etwas gab. Sollte ich die Kamera zum Wagen bringen?

      Ich hastete den Weg zum Fahrzeug zurück und zermarterte mir das Hirn, wie sich das Problem an der Kasse lösen lassen würde. Dann kam mir eine Idee ...

      Mit der um die Schultern gelegten Decke, die sich zum Glück noch auf der Rücksitzbank befunden hatte, stand ich erneut in der Schlange. Die Digitalkamera hielt ich mit einer Hand krampfhaft fest, in der anderen befand sich schon das Eintrittsgeld. Langsam rückte die Reihe weiter.

      „Mama, ist das ein Indianer?“ - „Nein, mein Kind, das ist nur ein Mensch, der vermutlich friert.“ - „Hat der deswegen die alte Decke so um sich gezogen?“ - „Ja, mein Kind. Vermutlich.“

      Ich ignorierte die Leute hinter mir. Endlich stand ich wieder vor dem Kassenhäuschen.

      „Sie schon wieder? Frieren sie, oder was soll das mit der Decke?“ - „Einmal Erwachsener bitte.“ Die Frau sah mich wieder merkwürdig an, riss aber eine Eintrittskarte ab. „Typen gibt es“, murmelte sie und winkte mich weiter.

      Grinsend schaute ich mich um. Die Idee mit der Decke war nahezu perfekt gewesen. So fiel die Kamera nicht auf und ich konnte meine Suche nach HH ungestört beginnen. Sobald ich ihn in einer verfänglichen Situation ausmachen würde, käme die DSLR zum Einsatz. Blitzschnell. Naja, so schnell wie möglich, denn die Decke um meinen Körper fixiert zu halten, erforderte schon etwas Aufwand. Sie durfte ja nicht einfach herunterrutschen und mich mit der Kamera bloß da stehen lassen.

      Auf der Liegewiese fand ich Holger Hewa nicht, dafür aber einige leere Handtücher und Decken, die durchaus ihm hätten gehören können. Also eine davon. Und eine seiner Freundin. Oder zwei - sofern er sich hier mit zwei Freundinnen traf. Ich sah mir die leeren Liegeplätze genau an, konnte aber nichts ausmachen, was auf einen männlichen Besitzer hinwies. Dafür bemerkte ich, wie man mich genau beobachtete. Nun, die Decke um meine Schultern musste bestimmt den einen oder anderen ein wenig irritieren. Gut, dass niemand ahnte, welch wertvolles Stück Überwachungstechnik ich in meiner versteckten Hand hielt.

      Dann entdeckte ich ein übergroßes Handtuch und wusste sofort: dies gehört HH! Daneben lagen zwei kleinere Handtücher und ich schmunzelte: Holger, du Schwerenöter! Also doch zwei Freundinnen. Auf dem großen Handtuch stand eine abgedeckte Tasche. Diese konnte nur Holger Hewa gehören! Wem denn sonst? Ich näherte mich den drei Handtüchern. Ein unauffälliger Blick links und rechts zeigte mir, dass mich momentan niemand beobachtete. Rasch bückte ich mich und zog das Handtuch von der Tasche. Geschlossen, aber eindeutig die von Holger. Das ging gar nicht anders. Ich erinnerte mich zwar nicht daran, dass er mit solch einer Tasche das Bad betreten hatte, aber auch ein Jonathan Lärpers konnte ja einmal etwas übersehen.

      Nach einem weiteren unauffälligen Blick zog ich den Reißverschluss der Tasche auf. Und staunte nicht schlecht, was Holger so alles mit sich führte: Zunächst jede Menge Nahrung. Vermutlich Brötchen - der Form nach - aber eingepackt in Aluminiumfolie. Dann Obst. Nun, es sprach ja nichts gegen Obst. Das war ja schließlich gesund. Sonnencreme. Auch sehr löblich. Eine Packung Tampons. Tampons? Was wollte Holger damit? Na, vielleicht für die Freundinnen. Der Mann dachte aber auch an alles! Ein Taschenbuch. Ich konnte den Titel nicht erkennen, deswegen drehte ich das Buch ein wenig herum. ‚Romantische Ärzte’ - was Holger aber auch so las. Das klang für mich eher wie ein Frauenroman. Aber vielleicht suchte er ja in dieser Literatur nur Anregungen dafür, wie er sich den Frauen gegenüber verhalten musste.

      Ich beschloss der Sache hier und jetzt - also gleich - ein Ende zu bereiten. Ich brauchte ja lediglich darauf zu warten, dass Holger mit seinen Gespielinnen aus dem kühlen Nass kam. Dann die DSLR aktiviert und mit den Beweisfotos zurück ins Büro. Wer wollte da leugnen, dass Jonathan Lärpers der geborene Privatdetektiv war? Birgit der Zicke würde ich die Zunge herausstrecken.

      Ich zog mich ein wenig zurück und suchte mir eine günstige Fotografierposition. Dann hockte ich mich auf den Boden. Jetzt fiel die Decke wie ein Zelt über meinen Körper und die Kamera. Lediglich mein Kopf schaute noch heraus. Die perfekte Tarnung. Wie ich feststellte, beobachtete mich jetzt ein dicker Mann. Ich ließ mir aber nicht anmerken, dass ich es bemerkte. Ein Detektiv Lärpers lässt sich nicht von seinem Auftrag ablenken!

      Ich musste eine geraume Weile warten, dann tat sich etwas. Zwar war es nicht Holger Hewa, der sich da den Handtüchern näherte, sondern eine schlanke Frau Mitte dreißig mit zwei kleinen, lachenden Kindern, aber immerhin geschah jetzt etwas. Holger erstaunte mich immer mehr. Eine Frau mit zwei Kindern? Junge, war der Mann abgebrüht. Zu Hause wartete seine eigene Frau auf ihn und er vergnügte sich hier im Schwimmbad mit einer fremden Frau, die zwei Kinder hatte. Vermutlich war diese Frau auch noch verheiratet und beide gingen fremd. Er und Sie. Das würde im Büro einschlagen wie eine Bombe. Jonathan Lärpers löst Doppelfall mit dem kleinen Finger!

      Jetzt aber benutzte ich erst einmal meinen rechten Zeigefinger, um den Auslöser der Kamera zu betätigen. Auch wenn Holger noch nicht bei seinen Lieben hier eingetroffen war, so sicherte ich doch schon vorab Beweise.

      Gerade bannte ich den erstaunten Blick der Frau auf digitales Zelluloid, als sie bemerkte, dass das Abdeckhandtuch von ihrer Tasche nicht mehr am rechten Ort lag. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Langsam wandte ich meinen Blick und schaute direkt in das ernste Gesicht Holger Hewas.

      Holger schien sich umgezogen zu haben - daher vermutlich auch seine Verspätung - denn er trug keine Badekleidung, sondern eine weiße kurze Hose mit einem ebenso weißen T-Shirt. Den kleinen Schriftzug auf seiner Brust konnte ich nicht lesen, aber es handelte sich vermutlich um den Markennamen des Herstellers. ‚Eitel ist er auch noch’, dachte ich in Anbetracht seiner ausgefallenen Kleidung. Der Mann sah eher aus wie ein Tennisspieler, denn ein Badegast. Auch so eine Masche, um bei den Frauen besser anzukommen!

      „Was um alles in der Welt machen sie da?“, herrschte er mich an. „Stehen sie doch mal auf und kommen sie mit!“ An seiner Seite befand sich der dicke Mann, der mich vorhin schon beobachtet hatte. Was wollte der Kerl von mir?

      Holger zog mich zu der Frau mit den beiden Kindern hin. Zu seiner Freundin. Wollte er mir die drei jetzt vorstellen? Das wäre ja noch schöner, dann könnte ich ihn bitten, mit denen für ein Foto zu posieren. Ich musste ihm ja nicht sagen, was ich vorhatte. Aber Holger Hewa wandte sich jetzt an die Frau: „Entschuldigen sie, fehlt bei ihnen etwas? Dieser Herr hier“, er zeigte auf den Dicken, der leicht hinter mir stand, „hat beobachtet, wie dieser Mann“, jetzt zeigte er mit dem nackten Finger auf mich, „in ihren Sachen gewühlt hat.“

      Ich, gewühlt? Aber Holger sprach weiter: „Überprüfen sie doch bitte, ob etwas gestohlen wurde. Geld, Wertsachen oder sonst etwas. Obwohl wir ja immer davor warnen, Wertsachen in den Taschen zu lassen.“

      Die Frau sah erstaunt hoch: „Ich habe keine Wertsachen. Und mein Geld ist sicher im Schrank eingeschlossen.“ Dann wühlte sie in ihrer Tasche. „Nein, es scheint nichts zu fehlen. Wer ist der Mann?“

      Holger blickte mich an: „Ja, wer sind sie? Und was machen sie hier? Mir wurde berichtet, dass sie die Tasche dieser Frau durchsucht haben und - wie ich selbst sah - sie dann auch noch fotografierten. Was soll das also?“

      Der Dicke schob sich etwas nach vorne: „Ich habe den Typ schon die ganze Zeit beobachtet. Der hat sich alle möglichen Taschen und Liegeplätze angesehen. Das kann nur ein Dieb sein.“

      „Ich bin kein Dieb“, protestierte ich, wurde dann aber durch das Plärren eines der Kinder unterbrochen: „Ich habe Hunger, Mama, gibt es nichts zu essen?“ Mama wühlte in ihrer Tasche und brachte zwei der silbernen Päckchen zum Vorschein. Ich musste lächeln, denn jetzt würde sich zeigen, ob meine Vermutung richtig war. Befanden sich dort belegte Brötchen drin?

      Ich beobachtete aufmerksam, wie die Kinder die Aluminiumfolie abwickelten. Und wirklich! Belegte Brötchen.