Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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erblickte, beschloss ich mir ein kleines Essen zu gönnen. Mitten in der Einkaufsstraße befand sich nämlich ein winziger mobiler Verkaufsstand mit Pommes und Wurst. ‚Echte Berliner Currywurst’ stand da. Entgegen kam mir, dass noch kein einziger Kunde davor stand. So brauchte ich wenigstens nicht lange zu warten.

      „Einmal Currywurst, bitte“, orderte ich und suchte den Preis auf der kleinen Anschlagtafel. Auch der war in Ordnung. „Normal, scharf oder sehr scharf?“, fragte mich die Verkäuferin. Eine Frage, die sich bei einem Jonathan Lärpers doch eigentlich von selbst verbietet. Normal? Naja. Scharf? Hahaha. „Natürlich sehr scharf“, entschied ich und blickte die Verkäuferin lächelnd an. Eigentlich ganz nett, die Kleine.

      „Haben sie denn schon einmal ‚sehr scharf’ gegessen? Die ist nämlich ‚sehr scharf’, wirklich!“

      Machte sie sich jetzt Gedanken um mich? Natürlich hatte ich schon einmal sehr scharfe Currywurst gegessen. Curry - Erwin lachte dann immer, streute die doppelte bis dreifache Menge Currypulver über die Wurst und sagte regelmäßig: „Natürlich wieder sehr scharf, für den Spezialdetektiven Lärpers.“ Daran musste ich jetzt denken und lächelte in seliger Erinnerung.

      „Warum grinsen sie so? Haben sie denn wirklich schon einmal unsere ‚sehr scharfe’ Wurst gegessen?

      Ich winkte ab. Was sollte dieses Herumgerede; war ich der Kunde oder nicht? „Nun machen sie schon, bevor ich verhungere.“

      Sie nickte: „Pommes oder Brot dazu?“ - „Nein, danke, nur die Wurst.“ - „Ich würde aber Brot empfehlen.“

      Bald reichte es mir. Bekam ich nun endlich meine Wurst oder nicht? Aber die Verkäuferin schien nun verstanden zu haben und würzte. Ziemlich zurückhaltend, wie mir schien; Curry - Erwin war da großzügiger. Aber ich hielt mich mit Kritik zurück, sonst würde ich am Ende vielleicht nie meine Wurst bekommen. Endlich nahm ich die kleine Schale entgegen.

      „Wirklich kein Brot?“

      Ich hielt es nicht für notwendig, darauf zu antworten.

      Die ersten zwei Wurststücke schlang ich heißhungrig hinunter, beim dritten Stück lief es siedend heiß durch meinen Körper. Mein Mund brannte, mein Hals brannte. Der Magen rebellierte und vor Tränen erkannte ich alles nur noch verschwommen. Was war mit mir geschehen? Brannte die Wurst vielleicht? Hatte man mir brennendes Öl in den Rachen geschüttet?

      Lächelnd sah mich die Verkäuferin an: „Gut nicht? Und auch wirklich scharf. Aber das ist ja noch gar nichts. Wir verkaufen hier die Würste bis Schärfegrad vier, also so fünfzigtausend bis hunderttausend Scoville. In unserer Niederlassung in Berlin können sie Currywürste sogar mit bis über zwei Millionen Scoville kaufen.“ Sie lachte. „Aber die dürfen sie dann nur ab Achtzehn und auf eigene Gefahr essen.“ Sie blickte mich besorgt an. Es schien mir, als würden meine Augen aus dem Gesicht quellen.

      „Ist ihnen nicht gut? Sie haben doch gesagt, dass sie scharfes Essen gewohnt sind.“

      „Wasser“, krächzte ich, „Wasser.“

      Sie kramte eine Flasche mit Drehverschluss hervor. „Kalt oder warm?“, fragte sie dann und hielt die Flasche in für mich unerreichbare Ferne.

      „Egal, egal. Nur schnell“, meine Worte klangen wie ein einziges Hauchen. Die Schale mit der Wurst lag mittlerweile vor meinen Füßen am Boden. Beide Schuhe waren mit roter Currysoße bekleckert. Ich fächelte mir Luft zu und atmete hechelnd.

      „Wasser bitte.“ - „Also ich würde ja an ihrer Stelle lieber etwas Brot essen. Das lindert den Schmerz besser!“

      Ich schüttelte den Kopf: „Wasser, schnell.“

      Die Verkäuferin nickte: „Gut, wie sie wollen. Macht vierfuffzig.“

      Ich kramte einen fünf Euro Schein hervor und reichte ihn ihr. Dankbar nahm ich die Flasche entgegen. Ein Stück seitlich sah ich einen abgestellten Brunnen und ächzend ließ ich mich auf dessen Rand nieder. Meine Knie zitterten heftig. Dann setzte ich die Flasche an den Hals und trank in kleinen Schlucken. Das Wasser war kalt und durchfloss meine Kehle wie ein Strom von spitzen Nadeln. Ich verschluckte mich, hustete und übergab mich schließlich in den trockenen Brunnen.

      Ein älteres Ehepaar ging kopfschüttelnd an mir vorbei. Ich hörte nur wie sie zu ihm sagte: „Dass diese Penner schon mittags betrunken in der Stadt herumlungern.“ Worauf er antwortete: „Dat is dat Genussfest, Luise, dat Genussfest!“

      Das Wasser brachte nicht wirklich Linderung und ich brauchte noch eine geraume Weile, bis ich wieder einigermaßen normal atmen konnte. Nie und nimmer ging es bei dieser Currywurst mit rechten Dingen zu! Ich beschloss, um den kleinen Verkaufswagen einen großen Bogen zu schlagen. Sobald ich wieder gehen konnte.

      Als es mir endlich wieder etwas besser ging, wankte ich - im Bogen um den Currywurstwagen herum - zu einem Bierstand. Der Wirt in dem Stand blickte mir misstrauisch entgegen und schüttelte den Kopf, als ich mich schwer atmend auf den Tresen stützte.

      „Nee, nee Männchen. Hier krisse kein Bier!“ - „Wasser“, bat ich, „bitte ein Wasser.“ Er sah mich an: „Naja, Wasser geht. Drei Euro aber im Voraus.“

      Ich zählte das Geld ab und stürzte das lauwarme Getränk herunter. Nie war mir klares Wasser leckerer vorgekommen. Auch wenn dieses kaum noch über Kohlensäure verfügte und lauwarm war. „Noch eins.“ Wieder legte ich das passende Geld auf den Tresen. Dieser Tag kostete mich ein Vermögen. Nach dem vierten Glas ging es mir einigermaßen besser, einmal abgesehen von dem Wasserbauch und der damit verbundenen Übelkeit. Als ich an die Wurst von eben dachte, musste ich ein wenig würgen.

      „Datte mir hier nich hinkotzt“, herrschte der Mann mich an und wischte demonstrativ mit einem feuchten Lappen über die Theke. „Sie’ ma zu, datte weiterkomms.“

      Ich hatte ohnehin genug getrunken und meine Beine trugen mich wieder tadellos. Guten Mutes setzte ich meinen Weg durch die Stadt der Knospen und des Genusses fort. Schnurstracks auf einen Stand zu, der verschiedenste Accessoires feilbot. Mützen, Schals, Handschuhe und auch Hüte. Ich schaute mir die Auslagen an und musste schmunzeln. Jonathan Lärpers der Privatdetektiv mit Schlapphut. Das könnte mein Markenzeichen werden!

      „Wat grinste denn so dämlich oder willste wat kaufen?“ Die Dame auf der anderen Seite des Verkaufstisches schien entschieden zu haben, dass ich weniger ein Kunde wäre. Sonst hätte sie sich doch wohl kaum so rüde geäußert.

      Ich ließ meinen ganzen Charme spielen: „In der Tat gute Frau, ich habe vor eines ihrer Exponate zu erwerben.“ - „Wat willste? Wat kaufen - wat denn?“

      „Was soll denn dieser Hut dort kosten?“, erkundigte ich mich zeigte auf einen mittelbraunen Schlapphut.

      „Dat iss en Damenhut. Wollste den selbst tragen?“ - „Der Hut sieht mir aber mehr nach unisex aus“, entgegnete ich und griff nach dem guten Stück. Nach einigem Suchen fand ich einen Spiegel. Perfekt. Die Kopfbedeckung stand mir wirklich gut. Sie betonte richtig das Detektivische in mir.

      „Neunundsechzich neunzich. Un dat is nen Damenhut!“

      Nun, das war ein stolzer Preis aber schließlich wollte ich mich nicht lumpen lassen. Ich blätterte siebzig Euro in die ausgestreckte Hand der Frau. „Stimmt so“, beschied ich großzügig. „Für ihre freundliche Bedienung.“

      „Na, dat is ja wirklich großzügich. Zehn Cent! Willste noch wat kaufen?“

      Ich winkte dankend ab. Mein Barvermögen näherte sich drastisch dem Nullpunkt. Mehr konnte und wollte ich mir jetzt nicht leisten.

      Den Hut ließ ich gleich auf und machte mich mit meiner Errungenschaft auf den Heimweg. Wohlweislich wählte ich einen Weg, der mich in einem weiten Bogen um den Currywurststand herumführte. Auch den trockenen Brunnen mied ich.

      Auf dem Weg in meine Wohnung klingelte ich noch einmal probeweise bei Chrissi. Vielleicht war sie ja jetzt zu Hause. Aber niemand öffnete und bevor wieder die misstrauische Nachbarin auftauchte, stieg ich die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Nun, vielleicht sollte ich den Schlapphut ja morgen