Jürgen H. Ruhr

Reise - Begleitung


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Vornamen?“

      Bernd sah mich zweifelnd an. „Ist das jetzt wichtig, Jonathan? Kennst du ihn vielleicht?“ Er blätterte erneut in seinen Unterlagen, während ich mich beeilte zu erklären: „Nein, nein. Ich kenne den Mann nicht. Aber ist es nicht wichtig, den Vornamen zu erfahren?“

      Bernd schüttelte den Kopf. „Nein, ist es nicht, Jonathan. Aber der Mann heißt Detlef mit Vornamen. Ist dir jetzt geholfen?“

      Ich nickte dankend. Der Vorname sagte immer etwas über den Menschen aus. Das war mir als Detektiv bewusst. Detlef Sanurski. Nun ja. Detlef. Aha.

      „Also zurück zu Christine“, begann Bernd erneut und blickte mich kurz von der Seite an. „Dein Auftrag beginnt an einem Sonntag. Nämlich dem zweiundzwanzigsten Mai.“

      Er kramte in seinen Papieren und hob schließlich einen Flyer und eine dünne Mappe hoch. Dann schubste er beides quer über den Tisch zu Chrissi herüber.

      „Theresa Gräfin von Seydow ist eine gute Bekannte eines NRW Ministers und dieser Minister wiederum ist ein guter Bekannter unseres Oberstaatsanwaltes Eberson. Theresa Gräfin von Se...“

      „Welcher Minister denn?“, fragte ich. Eine berechtigte Frage, denn schließlich wollten wir ja alle wissen, um wen es sich hier handelte.

      „Das spielt keine Rolle, Jonathan. Sei mit der Information zufrieden, dass es sich um einen NRW Minister handelt.“

      Ich nickte. Schon klar, die hohen Herren wollten nicht in Erscheinung treten.

      „Also, um da weiter zu machen, wo ich vor der Unterbrechung durch Jonathan stehen geblieben war: Die Gräfin wird in Kürze eine Urlaubsreise antreten. Bisher begleitete sie immer ihre persönliche Gesellschafterin und Bodyguard, eine jüngere und agilere Frau. Diese Dame kündigte aber vor kurzem, da sie in Dubai die Liebe ihres Lebens gefunden hat und dort blieb. Eigentlich hatte die Gräfin auch schon eine neue Angestellte, die machte aber kurzfristig einen Rückzieher. Jetzt steht unsere Dame ganz ohne Begleiterin da, will aber die Reise nicht absagen. Und alleine verreisen will sie auch nicht, immerhin ist unsere Gräfin schon vierundsiebzig Jahre alt. Da eine Hand die andere wäscht und die höheren Herrschaften - wie es scheint - alle miteinander bekannt sind, sprach Eberson mich vor Kurzem an, ob wir aushelfen könnten. Bei der Reise handelt es sich um eine Kreuzfahrt in die Karibik. Abfahrt und Rückankunft in Mallorca, Hin- und Rückflug mit Lufthansa. Normalerweise wäre der Auftrag ideal für Monika gewesen, aber die steht ja nicht zur Verfügung. Aber ich glaube, mit Christine habe ich ebenfalls eine gute Wahl getroffen!“

      Christine strahlte über alle Backen. Wie ein Backenhörnchen. Wieso hatte Bernd eigentlich nicht mich ausgewählt? Bodyguard einer reichen Gräfin.

      Wir standen an der weiß gestrichenen Reling des Luxusliners und blickten auf das blaue Meer. Vereinzelte Möwen flatterten auf der Suche nach Nahrung herum, setzten sich hier und dort auf das Geländer und flogen dann aufgeschreckt wieder fort. „Dort hinten, sehen Frau Gräfin die Insel?“ - „Ja, Jon, auch wenn mein Augenlicht nicht mehr das einer Zwanzigjährigen ist, so de...“ - „Aber Frau Gräfin! So etwas dürfen Frau Gräfin nicht sagen, ja nicht einmal denken. Ihr Augenlicht scheint immer noch so hell wie in jüngsten Jahren, so hell wie das Funkeln der Sterne hier in der Karibik, so hell wie Diamanten an einem klaren Sonnentag. So hell w...“ - „Danke Jon, sie sind aber auch zu freundlich. Sie wissen, wie man mit alten Menschen umgeht.“ - „Frau Gräfin sind doch nicht alt, Frau Gräfin. Die Anzahl ihrer Lebensj...“ - „Ach Jon, ach Jon. Was habe ich früher nur ohne sie gemacht? Wie konnte ich ohne ihre tatkräftige Unterstützung überhaupt einen Fuß vor die Türe setzen? Es ist so gut, dass es sie gibt, lieber Jon. Aber jetzt ist mir heiß. Wollen sie mich in die Bar zu einem frühen Trunk begleiten?“ - „Aber selbstverständlich, Frau Gräfin, ich bin doch ihr ergebener Die...“

      Eine Hand legte sich schwer auf meine Schulter. Die Stimme Bernds drang an mein Ohr: „Was ist los, Jonathan? Bist du eingeschlafen? Die anderen sind alle schon fort. Also, was sitzt du noch hier herum? Birgit erwartet dich sicher schon in deinem Büro!“

      Birgit Zickler, die Zicke, saß auf meinem Bürostuhl und wippte vor und zurück. Vor ihr auf meinem Schreibtisch lag eine Mappe, noch ungeöffnet. Darin befanden sich vermutlich die Informationen zu unserem Auftrag. Kaufhaus ‚Kaufstatt’. Auch schön - Kaufstatt statt Karibik. Ich blickte meine neue Kollegin missmutig an. „Das ist mein Sessel. Und das ist auch mein Büro!“

      Birgit schüttelte den Kopf: „Unser, lieber Johni. Schon vergessen: wir arbeiten jetzt zusammen.“ - „Dann besorge dir selbst einen Stuhl. Und jetzt raus aus meinem Sessel!“

      Ich trat drohend auf sie zu, die Zicke aber lächelte nur. Hilflos stand ich vor ihr. Was sollte ich jetzt machen?

      „Also gut, Birgit, was willst du?“ - „Nichts, Johni. Sei nur einfach etwas netter zu mir. Du bist immer so griesgrämig ...“ Rasch stand sie auf und ging um den Schreibtisch herum. „Lies die Akte, dort stehen alle Informationen drin, die du brauchst. Ich gehe jetzt rüber ins Studio, Chrissi will mir zeigen, wie man mit Waffen umgeht. Also bis später, Johni.“

      Ich ließ mich seufzend in meinen Sessel fallen. Birgit hatte irgendetwas an der Einstellung verändert und fast wäre ich hintenüber gekippt. Ich fluchte. Warum tat Bernd mir das an? Ein Blick in die Akte zeigte mir, dass es wenig Neues gab. Es gab eine Zusammenfassung, offensichtlich vom Vorstand des Kaufhauses, welche Waren abhandengekommen waren. Ein kurzer Kommentar, wer verdächtigt wurde und eine Reihe von Maßnahmen, die aber offensichtlich alle nicht fruchteten. Entweder war die gesamte Belegschaft involviert oder die Diebe stellten sich äußerst geschickt an und besaßen einen siebten Sinn für Kontrollen.

      Es gab kurze Zeiträume, da verschwand nichts. Mir kam der Gedanke, dass man diese Zeiträume mit den Arbeitszeiten der Verdächtigen abgleichen sollte. Aber in einer weiteren Notiz fand ich dann den Hinweis, dass die Verantwortlichen auch schon auf diese Idee gekommen waren und dass dabei keine Ergebnisse erzielt worden waren. Es gab einfach keine heiße Spur. Interessant war auch, dass sowohl Waren aus dem Lager, als auch aus dem Verkaufsraum verschwanden. Und es gab keinerlei Beschränkung in der Auswahl des Diebesguts. Demnach mussten die Mitarbeiter von Kaufstatt freien Zugang zu allen Bereichen der Verkaufsfläche, sowie des Lagers, haben.

      Aber die Auswertung der Überwachungsvideos zeigte auch keinen Erfolg. Jedenfalls sollten wir Mittwoch pünktlich bei Detlef Sanurski erscheinen. Einfache, strapazierfähige Kleidung: Jeans, Hemd und bequeme Schuhe. Einen Arbeitskittel würde man uns stellen. Birgit und ich kamen angeblich vom Arbeitsamt und die entsprechenden Papiere lagen den Unterlagen bei. Laut unserer Legenden fristete Birgit ungelernt ihr Leben, wobei ich ein hartnäckiger Langzeitarbeitsloser mit einer lange zurückliegenden Ausbildung zum Bäcker sei. Den Beruf hatte ich wegen einer Mehlstauballergie angeblich niemals ausgeübt. Hin und wieder irgendwo gejobbt, aber niemals wirklich lange. Man ließ sogar anklingen, dass ich vermutlich nicht ganz ehrlich sei. Na, herzlichen Dank! Dann, als ich näher darüber nachdachte, musste ich zugeben, dass dieser Lebenslauf ziemlich ideal war: Ich schien der perfekte Kandidat für zweifelhafte Aktivitäten, sprich - Veruntreuung oder Diebstahl - zu sein.

      Irgendwann legte ich die Akte zur Seite. Es gab einfach keinen sinnvollen Hinweis. Kein Wunder, dass Kaufstatt jetzt eine externe Firma mit den Ermittlungen beauftragte.

      Ich verschränkte die Arme im Nacken und wippte mit meinem Sessel ein wenig zurück. In dieser bequemen Stellung dachte ich über den bevorstehenden Auftrag intensiv nach.

      IV.

      Unter meinem Arbeitskittel trug ich unauffällig das Schulterholster mit dem 38er Revolver. Natürlich geladen, sonst machte es ja keinen Sinn.

      Der Abteilungsleiter begleitete meine Hilfskraft und mich in den Verkaufsraum. Die blonde Kollegin, die mir Bernd als Hilfe zugewiesen hatte, trug unter dem Arbeitskittel einen extrem kurzen Rock und sehr, sehr lange Beine. Wir waren schon für den Feierabend miteinander verabredet und ich freute mich schon auf den heutigen Abend. „Jon“, sagte sie, „wird diese Sache hier gefährlich? Du beschützt mich doch, nicht wahr, Jon?“

      Ich