Peter Rogenzon

Adieu Justitia


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Beschluss erließ, flüsterten Vater und Tochter miteinander. Dann verließen sie gemeinsam den Sitzungssaal – fast wie ein Liebespaar, denn die Tochter hatte sich spontan bei ihrem neu erworbenen Vater eingehängt.

      „Das ist die Stimme des Blutes!“ bemerkte Dr. Prell, der diesem eigenartigen Paar nachschaute.

      Dann rief er den nächsten Fall auf: Ein schüchternes junges Mädchen trat vor, im Amtsdeutsch „Kindsmutter“ genannt.

      „Da haben Sie uns anscheinend bei Ihrer letzten Verneh­mung einen Bären aufgebunden“, sagte Dr. Prell, indem er die junge Frau vorwurfsvoll über die Brille hinweg ansah. „Sie haben behauptet, Sie hätten in der gesetzlichen Empfängnis­zeit nur mit Herrn Humberger verkehrt. Nun steht aber nach dem Gutachten fest, dass er nicht der Vater sein kann. Sie haben Glück gehabt, dass ich Sie nicht vereidigt habe, sonst wäre das ein Meineid geworden.“

      „Ich habe auch schon darüber nachgedacht, wie es das gibt, Herr Richter. Meine Aussage damals war schon richtig, ich hatte wirklich in der Verhängniszeit mit keinem anderen Mann einen richtigen Verkehr.“

      „Und mit wem hatten Sie dann einen unrichtigen?“ wollte Dr. Prell wissen und musste wegen des treffenden Ausdrucks „Verhängniszeit“ (statt Empfängniszeit) lächeln.

      „Also da war noch der Alfred Wanner aus Martinsried. Mit dem hab’ ich im Fasching ziemlich intim g’schmust und auf einmal war ich ganz nass am Oberschenkel – ganz oben, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Dr. Prell machte ein Gesicht, also ob er von einem plötzli­chen Zahnschmerz geplagt wäre, denn er war Junggeselle aus Überzeugung und hasste intime Details dieser Art. Dann sagte er:

      „Ja, ja, ich verstehe schon, was los ist. Seit ich hier sitze, weiß ich, dass es Frauen gibt, die eine Männerhose nur anzu­schauen brauchen, um schwanger zu werden. Also gut: dann beziehen wir also den Herrn Wanner auch noch mit in das Gutachten ein.“

      Der nächste Fall lag genauso: Wieder hatte die Kindsmut­ter behauptet, sie habe nur mit einem mit einem gewissen Alois Wimmer Verkehr gehabt und wieder war dieser durch ein Gutachten ausgeschlossen.

      Dr. Prell stellte auch diese Frau zur Rede.

      „Eigentlich sind Sie schuld!“ verteidigte sie sich. „Ich habe mich einfach geschämt, Ihnen als Mann zu sagen, dass ich nicht nur mit einem Mann...“

      „Und wie viele waren es dann?“ musste Dr. Prell fragen und kam sich vor wie ein indiskreter Beichtvater.

      „Nur zwei – ehrlich. Ich habe den zweiten nicht angegeben, weil ich mir ganz sicher war, dass es bei dem Wimmer geschnackelt hat.“

      „Das ist mir neu, dass Frauen so etwas spüren. Vielleicht kenne ich mich als Junggeselle da nicht so aus. Aber wer war denn nun der zweite Mann?“

      „Das ist ja gerade das Problem. Ich weiß es auch nicht, wie der heißt. Deshalb habe ich ihn auch nicht angegeben, weil mir das so peinlich ist.“

      „Sie müssen uns doch irgendwelche Anhaltspunkte geben können, die uns ermöglichen, den Mann zu ermitteln. Was hat er denn über sich erzählt?“

      „Also geredet haben wir eigentlich nichts. In der Disco war es so laut. Da konnt’ man nicht reden. Und bei dem... da red’t man auch nicht...“

      „Wie alt war er denn oder wie hat er ausgesehen?“ wollte nun die Vertreterin des Jugendamts wissen.

      „Also vielleicht um die 40. So 1,80 groß, mittelblond, vorn eher weniger Haar...“

      „Sie meinen also: so ähnlich wie der Richter?“ hakte die Vertreterin des Jugendamts nach.

      „Na hören Sie mal...“, warf Dr. Prell ein.

      „Genau!“ antwortete die Kindsmutter. „Ich meine, dass er genau so ähnlich ausgeschaut hat, aber eben nur ähnlich. Er ist es nicht!“

      „Da bin ich aber wirklich froh. Also, wenn Sie den Mann gefunden haben, kommen Sie wieder.“

      Dr. Prell verkündete ein klageabweisendes Urteil gegen Alois Wimmer und schlug den nächsten Akt auf: Wieder das Gleiche!

      „Warum haben Sie mich letztes Mal angeschwindelt? Ich habe Sie doch so eindringlich belehrt, dass es sinnlos ist zu lügen, denn die Wahrheit kommt so wieso auf.“

      „Ich habe nicht gelogen! Ich hatte nur vergessen, dass ich einmal stockbetrunken war und nicht weiß, was da passiert ist.“

      „Nun, wenn man betrunken ist, kriegt man noch kein Kind!“

      „Man hat mir erzählt, dass der wachhabende Offizier...“

      „Also langsam – der Reihe nach, damit ich mitkomme. Ich bin ein bisschen begriffsstutzig müssen sie wissen. Wo waren Sie und was haben Sie getrunken? Erzählen Sie bitte ganz von vorne, damit man weiß, was passiert ist.“

      „Am Heiligen Abend habe ich erst mit meinen Eltern zu Hause gefeiert. Ich musste Weihnachtslieder mitsingen und so’n Scheiß. Da hatte ich schließlich keine Lust mehr und habe meine Freundin angerufen. Der ging das Feiern auch auf den Keks, und so haben wir verabredet, ins Kasernenstüberl zu gehen. Es waren auch Soldaten da. Mit denen haben wir Glühwein getrunken. Es war recht lustig, und da habe ich vielleicht ein bisschen mehr erwischt, als mir gut tat. Die Soldaten haben uns eingeladen, die Kaserne zu besichtigen. Sie hatten nämlich eigentlich Dienst und hätten gar nicht in der Wirtschaft sein dürfen, aber an Weihnachten ging das nicht so genau. Ja, und dann sind wir in die Kaserne gezogen, wo ich auf die Idee gekommen bin auszuprobieren, wie man in einem Soldatenbett liegt und bin eingeschlafen. Hinterher hat man mir erzählt, dass der wachhabende Offizier mit mir geschlafen haben soll, aber davon weiß ich nichts.“

      „Na, dann fragen wir ihn halt“, sagte Dr. Prell und griff zum Telefon. Er ließ sich bei der Bundeswehr den wachhaben­den Offizier geben und fragte, wer Weihnachten Dienst gehabt habe.

      „Ich“, antwortete der Mann.

      „Na, dann kommen Sie mal gleich rüber. Sie werden sofort als Zeuge gebraucht.“

      „Ich weiß nicht, ob das so einfach geht!“

      „Sagen Sie Ihrem Vorgesetzten, dass Sie hier dringend benötigt werden und dass sonst der Richter persönlich kommt, um Sie abzuholen.“

      Schon nach einer viertelstündigen Pause erschien der Offi­zier in Uniform aus der nahen Kaserne.

      Dr. Prell belehrte ihn über seine Pflicht, wahrheitsgemäß auszusagen und fuhr dann fort:

      „Kurze Frage: Hatten Sie mit dieser Frau hier“ – er deutete auf die Kindsmutter – „Geschlechtsverkehr?“

      Er nannte noch die gesetzliche Empfängniszeit, also den Zeitraum, auf den sich die Frage bezog.

      „Jawohl!“

      Diese kurze zackige Antwort schien den Richter misstrau­isch zu machen. Er hakte nach:

      „Ich muss da leider etwas indiskret werden: Wie war das denn nun genau. Haben Sie zwei Ihrer Soldaten ausgeschickt, um sich jemand ins Bett zu holen?“

      „Also das kam so. Wir hatten am Heiligen Abend Dienst und da war uns fad. Jemand kam auf die Idee, ob nicht vielleicht im Kasernenstüberl Frauen sitzen könnten, die auch nichts mit dem Fest anfangen konnten. Und so sind dann zwei von uns hinübergegangen und haben tatsächlich zwei Weiber angeschleppt – ich wollte sagen: zwei Damen mitgebracht. Die waren ziemlich angesäuselt. Die eine legte sich gleich ins Bett und wollte ganz offensichtlich... , und da wollte ich auch nicht nein sagen.“

      „Fröhliche Weihnacht – kann man da nur sagen“, bemerkte Dr. Prell trocken. „Und die anderen haben zugeschaut?“

      „Nee, die haben auch mitgemacht – einer nach dem ande­ren.“

      „Dann müssen wir also bei dem Vaterschaftsgutachten die ganze Wachkompanie einbeziehen oder hat vielleicht einer doch Hemmungen gehabt?“

      „Doch einer. Aber