Peter Rogenzon

Adieu Justitia


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in Richtung zu seiner Begleiterin hinzu:

      „Ich hätte gern allein mit ihr gesprochen“, und zu seiner Verwunderung entfernte sich Frau Gernhuber jr. tatsächlich auch diskret.

      „Sie sehen’s ja. Ich bin alt und bettlägerig“, sagte die alte Frau.

      „Und werden Sie auch richtig gepflegt und behandelt?“

      „Ja, natürlich. Meine Schwiegertochter tut, was sie kann.“

      Dr. Prell holte seine Akte aus der Tasche und zeigte ihr den Zettel, der Anlass des Verfahrens war:

      „Haben Sie das geschrieben?“

      „Ja, schon“, antwortete die Frau gedehnt und lächelte verschmitzt.

      „Und warum, wenn es Ihnen doch angeblich gut geht?“

      „Wissen Sie, wenn man so da liegt und von seiner Schwie­gertochter gepflegt wird, dann gibt es schon einmal Streit. Und da bin ich halt auf die Idee mit dem Zettel gekommen. Ich wollte mal sehen, was dann passiert. Eigentlich wollte ich nur, dass überhaupt einmal etwas passiert, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      Dr. Prell fasste das Ergebnis des Gesprächs in einem Satz zusammen und ließ ihn sich von der alten Frau unterschrei­ben. Dann verabschiedete er sich. Als er die Treppe hinunter ging, fragte ihn Frau Gernhuber jr.:

      „Na, was hat sie gesagt?“

      „Nur das Beste über Sie, wenn Sie das meinen.“

      „Na also, was sollte dann das ganze Tamtam?“

      Dr. Prell erklärte ihr, dass man leider jedem Hinweis auf eine Straftat nachgehen müsse, auch wenn er noch so unsin­nig sei, denn das stelle sich ja meistens erst später heraus.

      In der Folgezeit wunderte sich Dr. Prell, dass kein Strafver­fahren gegen die Familie Gernhuber wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt eingeleitet wurde. Anscheinend meinten die Ermittlungsbehörden, sie hätten sich zu sehr blamiert, und kehrten daher den Fall lieber unter den Teppich, bevor man sich womöglich in einer öffentlichen Verhandlung lächerlich machte.

      Wenige Wochen später las Dr. Prell in der Zeitung, dass das Haus der Familie Gernhuber abgebrannt sei; die bettläge­rige alte Frau sei dabei ums Leben gekommen. Man ermittele wegen Mordes und Brandstiftung. Wieder einige Zeit danach stand in der Presse, dass sich der Verdacht, für den zwar viele Indizien gesprochen hätten, nicht sicher habe beweisen lassen.

      Alle diese alten Geschichten waren schlagartig wieder im Gedächtnis von Dr. Prell gegenwärtig, als wären sie gestern geschehen. Er wandte sich an seinen Banknachbarn und fragte ihn:

      „Was mich eigentlich immer interessiert hat: Wie war das eigentlich damals mit dem Brand? Heute können Sie mir das ja ruhig sagen, denn erstens bin ich nicht mehr im Dienst und zweitens liegt das alles ja auch schon so lange zurück.“

      „Haben Sie uns etwa die ganze Zeit hindurch in Verdacht gehabt?“

      „Sie sollten meine Frage erst einmal beantworten, dann sage ich Ihnen, was Sie wissen wollen.“

      „Also gut: Meine Frau war allein zu Hause, als das Feuer ausbrach. Sie hat das Feuer sicher nicht gelegt, denn sie weinte fürchterlich, weil ihr Hund verbrannt war. Wenn sie das Haus angezündet hätte, hätte sie zumindest ihren Hund gerettet.“

      Das klang etwas makaber, aber einleuchtend.

      Dr. Prell war nun also an der Reihe:

      „Ich habe Ihre Frau auch niemals in Verdacht gehabt, denn sie kam öfter zu mir, wenn sie ein Problem hatte.“

      „Das weiß ich ja gar nicht! Was hatte sie denn für Proble­me?“

      „Weil es keine dienstliche Angelegenheit war, weil es auch schon lange her ist und ihre Frau nicht mehr lebt, will ich es Ihnen erzählen. Ihre Frau kam eines Tages zu mir und wollte wissen, was sie tun soll, denn Sie würden sie betrügen. Ich fragte sie, wieso sie zu dieser Annahme komme. Sie antworte­te: ‚...weil mein Mann jeden Tag eine frische Unterhose anzieht, wenn er auf seine neue Baustelle fährt.‘ Ich konnte ihr natürlich nicht weiter helfen, habe ihr aber gesagt, dass die Indizienlage etwas schwach sei, wie bei dem Brand damals. Sie war entsetzt über diesen Vergleich und fragte: ‚Sie werden mich doch nicht in Verdacht haben?‘ Ich habe ihr geantwortet: ‚Nein, denn sonst wären Sie wohl kaum zu mir gekommen.‘“

      „Das freut mich, dass jedenfalls einer die Dinge gesehen hat, wie sie sind. Die Leute haben uns nach dem Brand wie Verfemte behandelt, so dass wir sogar wegziehen mussten. Doch auch an unserem neuen Wohnort haben uns die alten Gerüchte bald wieder eingeholt. Wir haben lange arbeiten müssen, bis unser Ruf wieder hergestellt war. Oder vielleicht ist nur langsam Gras über die Sache gewachsen.“

      „Ja, und was für schwierige Fälle waren das sonst noch, in denen ich mich mit Ihnen befassen musste?“ wollte Dr. Prell wissen.

      „Darüber reden wir das nächste Mal, wenn wir uns wieder treffen. Wir haben ja nun unendlich viel Zeit.“

      6. Der Krimiautor

      

      Als Richter Dr. Prell pensioniert wurde, beschloss er, Krimiautor zu werden. Er dachte sich, dass das Bücherschreiben eine nette Freizeitbeschäftigung wäre, bei der man mit etwas Glück noch Geld verdienen könnte. Die Abendprogramme der Fernsehsender waren ja voll von Kriminalfilmen, so dass offensichtlich ein großer Bedarf an geeigneten Romanvorlagen bestand. Außerdem meinte Dr. Prell, von seiner jahrzehntelangen beruflichen Erfahrung profitieren zu können: Schließlich war er Staatsanwalt und Schwurgerichtsvorsitzender gewesen.

      Er ging im Geist seine bekannten Mordfälle durch, die seinerzeit Schlagzeilen in der Presse gemacht hatten: „Der Mondscheinmörder“, „Die Bestie von Unterrohrbach“, „Der Jack the Ripper von Urselburg“ und wie sie alle genannt wurden. Nur eigneten sich diese Fälle auch für einen Krimi? Je mehr er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu der Überzeugung, dass die Wirklichkeit und die Welt der Kriminalromane überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Eigentlich waren seine Mordfälle schrecklich primitiv gewesen. Damit konnte man bei keinem Leser Spannung oder gar eine Gänsehaut erzeugen.

      Bei diesen Morden gab es nie die Raffinesse, mit denen die Täter in den Kriminalromanen zu Werke gingen. Er dachte an zwei Romanfiguren, welche die Schüsse auf ihr Opfer durch einen Stolperdraht bzw. ein Brennglas ausgelöst hatten, mit der Folge, dass ihnen, nachdem sie diese komplizierten Apparaturen wieder abgebaut und beseitigt hatten, kaum etwas nachzuweisen war, da sie dafür gesorgt hatten, für die Tatzeit ein perfektes Alibi zu haben. Dennoch war ein Meisterdetektiv ihnen auf die Spur gekommen. Es waren eigentlich lauter konstruierte, völlig lebensfremde Geschichten.

      Und so überlegte Dr. Prell, welche Art von Mord es wohl noch geben könnte, die zum einen noch nicht beschrieben worden war und zum anderen spannend genug war, um die Leser zu fesseln. Je mehr er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu der Überzeugung, dass der perfekte Mord ganz einfach war. Er stellte sich als Aufgabe, den perfekten Mord an seiner Frau zu begehen – rein theoretisch natürlich. Nichts leichter als das, befand er, denn ganz spontan war ihm schon eine absolut spurenfreie Mordmethode eingefallen:

      Er brauchte nur zu warten, bis seine Frau in die Badewanne gestiegen war. Dann würde er den Föhn seiner Frau mit einem Handtuch packen, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, und einschalten. Ein kurzer Plumps – und seine Frau hätte das Zeitliche gesegnet. Es würde ihm wohl nicht schwer fallen, den trauernden Witwer zu spielen. Er würde, falls Ermittlungen angestellt würden, erklären, er habe seine Frau schon oft davor gewarnt, den Föhn in der Badewanne zu benutzen, und sogar schon den Strom abgeschaltet, um dieses gefährliche Treiben abzustellen. Leider habe er am Unglückstag nichts davon mitbekommen, dass seine Frau sich trotzdem wieder geföhnt habe.

      Dasselbe ließe sich natürlich auch mit einem Radio machen, dachte Dr. Prell mit einigem Stolz darüber, nun schon die zweite todsichere Mordmethode gefunden zu haben.

      Dann