Peter Rogenzon

Adieu Justitia


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Bedenken, willigte dann aber doch ein:

      „Ich kann ohne diese Frau nicht leben. Ich muss sie halten – egal wie.“

      Dr. Prell verfasste einen Brief und schickte ihn an einen Jugendfreund, der nach Argentinien ausgewandert war. Er fügte ein kleines Begleitschreiben bei, in dem er am Ende schrieb:

      „Wenn Du ein gutes Werk tun und eine Ehe retten willst, wirf doch bitte den anliegenden Brief ein. Bitte beklebe ihn mit möglichst vielen exotischen Briefmarken.“

      Drei Wochen später erhielt unser junger Mann Post aus Argentinien. Wie ihm von Dr. Prell angeraten worden war, ließ er den Brief mit Couvert ostentativ auf seinem Wohnzimmertisch liegen. Als seine Frau ihn besuchte, um über die gemeinsamen Finanzen zu reden, fragte sie gleich neugierig, was es mit dem Brief auf sich habe.

      „Ach, nicht der Rede wert“, erwiderte er und legte ihn in die Tischschublade. Er klebte unauffällig ein kleines Stück Tesafilm so hin, dass er sehen konnte, ob das Fach geöffnet worden war. Als sie sich kurz „zum Hände waschen“ aus dem Zimmer entfernte, löste er über sein Handy das Läuten seines eigenen Telefons aus. Und als seine Frau ins Zimmer zurück kam, täuschte er ein Ferngespräch vor, indem er sagte:

      „Selbstverständlich, ich komme gleich!“

      Seiner Frau erklärte er, eine liebenswerte alte Dame aus dem obersten Stockwerk habe ihn gebeten, eine Fernsehsendung in ihren Videorekorder einzuprogrammieren:

      „Weißt du, sie kann das nicht selbst machen, weil sie – wie die meisten Leute – das Gerät nicht bedienen kann.“

      „Und warum muss das gerade jetzt sein?“ fragte sie.

      „Weil sie zum Arzt muss und sie soeben im Fernsehprogramm entdeckt hat, dass die Weltmeisterschaften im Tanzen übertragen werden. Sie war früher einmal selbst mit dabei. Du siehst: es ist ein echter Notfall. In drei Minuten bin ich wieder da.“

      „... wenn die Frau wirklich so alt ist, wie du sagst“, kommentierte sie.

      „Wir reden schon länger darüber, als es dauert“, sagte er und ging hinauf in seinen Speicher, um dort die drei Minuten abzuwarten.

      Inzwischen öffnete sie die Schublade und las:

      „Sehr geehrter Herr Hoffmann,

      wir sind beauftragt worden, die Erben der am 17.7.12 verstorbenen Christina Dimarez ausfindig zu machen. Nach umfangreichen Recherchen haben wir Grund zu der Annahme, dass Sie ein Neffe der Verstorbenen sind und damit der einzige Erbe des Millionen-Vermögens wären.

      Zur Aufklärung der Angelegenheit wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie folgende Fragen beantworten würden und mit einem Auszug aus dem Personenstandsregister belegen würden:... “

      Es folgte ein Katalog von Fragen, den sie kurz überflog, bevor sie das Schreiben in die Schublade zurück legte.

      Kurz darauf hörte sie, dass er die Tür öffnete. Er trat ein und fragte:

      „Na, was sagst du zu meiner neuen Rekordzeit?“

      „Beachtlich!“

      Er erzählte ihr noch, dass im Haus mehrere ältere Frauen wohnen und dass der Hausmeister ihm gesagt habe, er sei der „Liebling der alten Damen“. Dann fügte er hinzu:

      „Nur mit den jüngeren will das anscheinend nicht so klappen“, und er sah sie dabei bedeutungsvoll an.

      Er kam nun auf ihre finanziellen Angelegenheiten zu sprechen, die ihr auf einmal nicht mehr so eilig waren. Sie meinte hinhaltend:

      „Vielleicht sollten wir doch einmal abwarten, was Dr. Prell mit uns vorhat.“

      Als sie gegangen war, wusste er, was der Tesafilm an der Schublade anzeigen würde: Sie hatte den Brief gelesen.

      Sie brannte darauf, diese Neuigkeit ihrer besten Freundin mitzuteilen und rief gleich bei ihr an. Diese gratulierte ihr gleich zu ihrem Erbe.

      „Na, nun lass doch die Kirche beim Dorf. Nicht ich erbe, sondern Klaus.“

      „Was Klaus gehört, gehört auch dir. Ihr seid schließlich noch verheiratet. Und wenn du so lange durchhältst, bis die Erbschaftsangelegenheit erledigt ist, kriegst du bei der Scheidung die Hälfte als Zugewinnsausgleich.“

      Für den Leser sei an dieser Stelle angemerkt, dass dieser Rat von einer Nichtjuristin stammte, die ihre Rechtskenntnisse aus Illustrierten bezogen hatte. Man kann also wohl davon ausgehen, dass die wirkliche Rechtslage vielleicht ganz anders ist, ohne dass dies hier untersucht werden soll.

      Die Freundin fuhr fort, indem sie mahnend den Zeigefinger in die Höhe hob: „Weißt du noch, was uns die gute alte Mater Mathilde in der Klosterschule immer gesagt hat? ,Kinder‘, hat sie uns immer gepredigt, ‚seid nicht dumm. Ihr seid das schwache Geschlecht und müsst deshalb in Geldangelegenheiten immer auf euren Vorteil schauen. ‘“

      „Na gut, dann schauen wir halt mal.“

      In der Folgezeit fand beim Ehepaar Hoffmann ein merkwürdiger Rollentausch statt. Die junge Frau war wie verwandelt. Klaus Hoffmann benutzte dafür seinem Freund gegenüber die Worte:

      „Wie eine Wölfin, die Kreide gefressen hat.“

      Irgendwie kam damit aber auch zum Ausdruck, dass sich seine Einstellung seiner Frau gegenüber gewandelt hatte. Seine Zuneigung hatte sich nicht nur merklich abgekühlt, nein, er empfand sogar ein wenig Abscheu gegenüber diesem Wesen, das es offensichtlich nur auf sein Geld abgesehen hatte. Und so behandelte er sie oft von oben herab, ja sogar feindselig. Sie ertrug dies mit Gelassenheit, einer Charaktereigenschaft, die sie sich erst mühsam antrainieren musste, denn sie suchte die Schuld für dieses neue Verhalten ihres Ehemannes bei sich. Schließlich war sie es ja gewesen, die die Scheidung gewollt hatte.

      Das Ehepaar verharrte weiterhin in distanzierter Kühle, die Klaus Hoffmann die Augen dafür öffnete, dass auch „andere Mütter schöne Töchter“ haben. Glaubte er bisher, ohne seine Frau nicht mehr leben zu können, so plante er jetzt plötzlich intensiv schon für die Zeit nach der Scheidung. Und seine Frau, die es offensichtlich so sehr aufs Geld abgesehen hatte, war nun zu seiner Gegnerin geworden. Ihm fiel plötzlich ein Aphorismus ein, den er kürzlich gelesen hatte und über den er seinerzeit nicht weiter nachgedacht hatte:

      „Der gegenseitige Respekt ist das Fundament der Liebe.“

      Und respektieren konnte er seine Frau, die nun in seinen Augen ihr wahres Gesicht gezeigt hatte, nicht mehr. Da er mit ihr in der letzten Zeit keinen Streit gehabt hatte, wollte er nicht derjenige sein, der die alten Auseinandersetzungen von vorn begann. So schrieb er einen Brief an sich selbst mit folgendem Text:

      Sehr geehrter Herr Hoffmann,

      wir danken Ihnen für Ihre aufklärenden Zeilen, aus denen wir ersehen konnten, dass Sie für das von uns verwaltete Vermögen nicht als Erbe in Betracht kommen.

      Hochachtungsvoll!

      Diesen Brief ließ er offen auf dem Tisch liegen, als seine Frau wieder einmal in seiner Wohnung erschien. Ihr Blick fiel sofort auf dieses Schreiben, und sie fragte ihn, was es denn mit dieser Erbschaft auf sich habe. Er antwortete:

      „Ach, nichts besonderes. Es handelte sich nur um einen Irrtum!“

      „... nur ein Irrtum!“ Diese Worte fraßen sich in ihr Gehirn. Zu Hause dachte sie darüber nach: War also auch ihr Verhalten in der letzten Zeit nur ein Irrtum gewesen? Oder war es nicht doch ein Schritt in die richtige Richtung? War vielleicht ihre ganze Ehe nur ein Irrtum gewesen? Oder waren sie beide nur nicht in der Lage, Schwierigkeiten, die alle Paare in irgendeiner Form hatten, zu überwinden?

      Ihr fiel ein Fernseh-Interview ein, das sie kürzlich gesehen hatte: In der betreffenden Sendung wurden Paare gezeigt, die über 50 Jahre glücklich verheiratet waren. Die Reporterin versuchte herauszubringen, ob es ein Rezept für eine glückliche Ehe gebe und fragte eine der Frauen, ob sie denn im Laufe der vergangenen 50 Jahre nie an Scheidung gedacht habe.

      „Nein!“