Peter Rogenzon

Adieu Justitia


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das noch nie über eine Scheidung nachgedacht habe.

      „Bei mir ist das eben anders,“ lachte die Frau. „Scheidung kam bei mir nie in Frage, denn ich bin katholisch; ich habe nur immer gleich an Mord gedacht.“

      Sie und ihr Mann lachten herzlich, und er ergänzte:

      „Ja, Temperament hat sie immer gehabt und heute auch noch.“

      So einfach war das alles im Fernsehen. Ihre Gedanken machten vom Wort „einfach“ einen Sprung zu einem Zitat, von dem sie nicht mehr wusste, woher es stammte:

      „Alle großen Dinge im Leben sind einfach.“

      Wenn das stimmte, musste also auch die Liebe einfach sein. Sie dachte an ihre Freundin, die sie von frühester Jugend her kannte: Mit ihr hatte sie nie Probleme gehabt. Warum konnte es also mit ihrem Mann nicht genauso unkompliziert sein? Es konnte also eigentlich nur an der Verschiedenartigkeit der Geschlechter liegen, wenn es mit ihrem Mann nicht so gut klappte. Anderseits ist aber doch gerade die Unterschiedlichkeit der Geschlechter gerade das, was die Liebe zwischen Mann und Frau so besonders tief gehen lässt. Sie dachte weiter: Bestand dieser Unterschied überhaupt heute noch, wenn man vom Körperlichen einmal absah? War sie nicht selbst im Laufe der Ehe zur Kämpferin, statt zur reifen Frau geworden? Auf einmal besann sie sich, wie anders ihre Mutter einmal gewesen war, und sie fragte sich, ob alles, was sie als rückständig angesehen hatte, wirklich so altmodisch war oder ob nicht diese Lebensweise auf Grund ihrer langen Tradition eine gewisse Gewähr für ein dauerhaftes Glück bot.

      Plötzlich befand sie sich in einer Art von Gewissenserforschung. Sie sah ganz deutlich die Fehler, die sie selbst gemacht hatte. Und dabei dachte sie nicht gleichzeitig darüber nach, ob vielleicht das Fehlverhalten ihres Mannes gewichtiger oder der Auslöser für ihre Probleme war. Sie nahm ganz einfach eine Güterabwägung vor: Was war ihr wichtiger: ihre Ehe oder ... Wenn Sie sich scheiden ließ, würde sie einen neuen vergleichbaren Partner finden oder ihre Scheidung zutiefst bereuen? „Vergleichbarer Partner“, murmelte sie vor sich hin und erschrak darüber, plötzlich mit sich selbst zu reden:

      „Warum sich nach etwas Vergleichbarem umsehen, wenn ich doch das Original besitze?“

      Auf einmal bekam sie es mit der Angst zu tun, einen großen Fehler zu machen. Sie griff zu ihrem Telefon und sagte:

      „Ich muss unbedingt mit dir reden: Darf ich zu dir kommen?“

      „O.K.“ war seine kurze Antwort.

      „Na, was gibt’s denn?“ begrüßte er sie an der Tür und geleitete sie in sein Wohnzimmer.

      „Ich möchte mich entschuldigen. Ich habe Fehler gemacht. Lass uns noch mal von vorne anfangen“, sprudelte es aus ihr heraus, als sie sich setzte. Bei diesen beiden Sätzen war ihr ganz heiß geworden, nicht nur, weil sie über ihren eigenen Schatten gesprungen war, sondern weil sie nicht wusste, wie er das, was sie gesagt hatte, aufnehmen würde.

      Er glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, denn solche Töne war er von seiner Frau nicht gewöhnt.

      „Es ist warm hier!“ fuhr sie fort und öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse. Dieser Satz war einmal der Anfang ihrer Beziehung gewesen, an den er sich noch gut erinnerte. Er lachte und sie stimmte ein.

      So begannen sie mit einem neuen Start.

      Als sie dann später lachend im Park spazierten, sah Dr. Prell sie von ferne und dachte an ein Wort von Goethe:

      „...am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles.“

      Hier irrte er.

      5. Der alte Pensionist

      Dr. Prell hatte seit seiner Pensionierung endlich Zeit, das zu tun, was ihm Spaß machte, und das genoss er. So unter­nahm er täglich kleinere Spaziergänge in der näheren Umge­bung oder auch längere Wanderungen in den Bergen. Als er eines Tages auf einem Ausflug am Aussichtspunkt oberhalb der Kleinstadt halt machte und sich auf eine Bank setzte, kam ein Mann daher und fragte, ob der Platz neben ihm noch frei sei. Dr. Prell bejahte.

      Sein Banknachbar führte das Gespräch fort:

      „Sie sind doch Richter, nicht wahr?“

      Dr. Prell verneinte – wahrheitsgemäß, denn er war ja inzwischen pensioniert.

      Der Mann neben ihm ließ aber nicht locker. Ein Leuchten der Erinnerung ging über sein Gesicht:

      „Aber Sie waren doch Richter. Wissen Sie nicht mehr, wie wir beide an der Fortentwicklung des Rechts gearbeitet haben?“

      „Wieso? Waren Sie ein Kollege? Dann können wir aber nur kurz zusammen beim gleichen Gericht gearbeitet haben. Ich kann mich nämlich überhaupt nicht mehr an Sie erinnern.“

      „Nein, nein, ich habe sozusagen auf der anderen Seite des Rechts gearbeitet. Sie haben mich öfter verknackt. Sie haben immer gesagt, meine Fälle seien die schwierigsten.“

      „Ach, jetzt fällt’s mir wieder ein, wer sie sind. Sie heißen Gernhuber, nicht wahr?“

      „Genau! Wissen Sie noch, wie wir uns kennen gelernt haben?“

      Dr. Prell dachte an seinen ersten Posten bei der Justiz zurück. Er musste wie viele Kollegen als Ermittlungsrichter anfangen. Die erste Akte, die er auf den Tisch bekam, war dünn, aber dafür umso interessanter: Ein Passant hatte einen Zettel gefunden, auf dem mit zittriger Schrift stand:

      „Hilfe, ich werde vergiftet! Josefine Gernhuber, Bachau 7.“

      Die Polizei war zunächst mit einem Streifenwagen dort vorgefahren, doch war der Hausherr mit einem Schaufelbagger seines Tiefbauunternehmens erschienen und hatte geschrien:

      „Schleicht’s euch!“

      Die Polizeibeamten waren unverrichteter Dinge abgezogen und später mit mehreren Mannschaftswagen wieder erschienen. Gernhuber hatte das natürlich vorausgeahnt und seine Söhne herbeigerufen, die alle mit donnernden Motoren in weiteren Schaufellladern des Baggerbetriebs saßen und unerschrocken auf die Polizei zugefahren waren. Einer der Beamten hatte sogar seine Pistole gezogen und einen Schuss abgegeben. Die Kugel prallte mit einem lächerlichen „Bing“ an einer der riesigen Schaufeln ab. Ein röhrendes Gelächter der Gernhuber-Sippe war die Folge. Die Szene hatte etwas von einem alten Western an sich: Der große Show-down endete mit einem grandiosen Sieg der Helden: Die Polizei hatte heimlich, still und leise wieder Reißaus nehmen müssen. Eigentlich war das blamabel für die Polizei gewesen. Doch hatte sie der Staatsanwaltschaft berichtet, man habe abziehen müssen, um ein Blutvergießen zu vermeiden; man bitte um Anweisungen, was zu tun sei. Der Staatsanwalt war auch ratlos, und so verfiel er auf die Idee, den Ermittlungsrichter einzuschalten.

      Dr. Prell dachte kurz nach, als der Fall ihm übertragen worden war. Dann setzte er sich in seinen alten VW-Käfer und fuhr zum Anwesen der Familie Gernhuber.

      Vor dem Haus standen die Schaufellader, aber von den Männern war nichts zu sehen. Dr. Prell läutete an der Haustür. Als eine junge Frau öffnete, nickte er freundlich:

      „Darf ich mich vorstellen: Prell, Ermittlungsrichter. Ich hätte gern Frau Josefine Gernhuber gesprochen.“

      „Selbstverständlich! Gern! Kommen Sie mit. Übrigens: Ich bin die Schwiegertochter.“

      Die Frau führte Dr. Prell die Treppe hinauf und sagte:

      „Wissen Sie, wenn man uns höflich kommt wie Sie, dann haben wir nichts dagegen, aber wenn man so unverschämt ist wie die Polizei, dann müssen wir uns wehren.“

      „Ach, die tun halt auch nur ihre Pflicht“, warf Dr. Prell vorsichtig ein.

      „Aber doch nicht so! Wenn die mit mehreren Mannschaftswagen anrücken, dann denken ja alle Leute, wir seien Schwerverbrecher.“

      Sie betraten eine Dachkammer, wo die alte Frau Gernhuber im Bett lag. Sie freute sich sichtlich, einmal ein fremdes Gesicht zu sehen.

      Dr.