Norman Dark

Im Schatten der Hexe


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alles vorgefunden hatte.

      In der folgenden Nacht wurde Janet mehrmals wach und hätte nicht einmal sagen können, warum. Einmal fiel ihr Blick in Richtung Fenster, vor dem ein bequemer Lehnstuhl stand. Im Gegenlicht zeichnete sich deutlich ein dunkler Körper ab.

      »Alec, bist du das?«, fragte sie verschlafen blinzelnd. »Oh, Liebling, du ahnst nicht, wie sehr ich auf dich gewartet habe. Du fehlst Mitch und mir so sehr. Geht es dir gut, dort, wo du jetzt bist?«

      Statt einer Antwort, nahm sie ein leichtes Kopfnicken wahr, woraufhin sie aufstand und auf den Sessel zuging. Aber schon nach den ersten Schritten verlor der Körper an Dichte, wurde durchscheinend und verschwand dann ganz. Schluchzend warf sich Janet auf das weiche Sitzpolster, weil sie hoffte, den vertrauten Duft ihres geliebten Mannes einatmen zu können. Aber seltsamerweise nahm sie nur einen starken Rauchgeruch wahr.

      Unsinn, dachte sie, wahrscheinlich sitzt mir noch der Rauch aus der Hütte in den Haaren. Hütte, welcher Hütte? Entsetzt stellte sie fest, dass sie die Vision schon für real hielt. So langsam verstand sie gar nichts mehr.

      Am späten Nachmittag legte Janet gerade den gewaschenen und getrockneten Pullover von Percy Sutherland zusammen, als ihr Blick aus dem Fenster zur Ruine hin fiel. Mitch spielte friedlich auf einer Wiese nahe der Ruine. Na wenigstens ist er nicht wieder reingegangen, dachte sie, als sie noch einen zweiten Jungen bemerkte. Janet legte den Pulli zur Seite, verließ das Haus und steuerte auf die Wiese zu. Beim Näherkommen fiel ihr auf, dass Mitch allein war.

      »Ist dein Freund schon wieder gegangen?«, fragte sie irritiert.

      »Ja, er ist etwas scheu, und als er dich gesehen hat …«

      »Geht ihr zusammen in eine Klasse oder ist er nur auf deiner Schule?«

      Mitch schüttelte den Kopf.

      »Wie, beides nicht?«

      »Er geht in die Fairview School in Perth, glaube ich. Aber so genau weiß ich es nicht. «

      »Eine seltsame Geschichte. Worüber sprecht ihr denn, wenn ihr euch unterhaltet?«

      Mitch zuckte mit den Schultern.

      »Ach, du denkst, das geht mich nichts an, stimmt’s?«

      »Mum, jetzt nerv doch nicht. Mir ist egal, auf welche Schule und ob er überhaupt auf eine geht. Ich finde ihn nett, verstehe ihn aber manchmal nicht.«

      »Dann kommt er aus dem Ausland? Woher denn?«

      »Nein, er ist schon von hier, spricht aber so einen komischen Dialekt. Wenn er seine Mum meint, sagt er mo mhàthair, und den Hund nennt er an cù

      »Das ist Schottisch-Gälisch, wenn ich nicht irre. Seltsam, das wurde schon im 19. und 20. Jahrhundert aus den Highlands verdrängt, im Süden und Osten Schottlands sogar schon im 17. und 18. Jahrhundert. Hoffentlich haben sich seine Eltern nicht einer dieser obskuren Sekten angeschlossen. Er hat auch so ungewöhnliche Sachen getragen.«

      »Es kann nicht jeder wie aus dem Ei gepellt sein, Mum. Ich glaube, seine Mutter ist ziemlich arm. Einen Vater hat er nämlich nicht, genau wie ich.«

      Janet war etwas peinlich berührt und nutzte die Gelegenheit, eine Überleitung zu finden. »Apropos gut angezogen, wir haben heute Abend einen Gast zum Lunch. Zieh dir etwas Ordentliches an, ja?«

      »Weil ich sonst in Lumpen mit dir am Tisch sitze …«

      »Ach, Mitch, mach es mir doch nicht so schwer. Ich habe Mr. Sutherland vor dem Bäcker umgerannt und seinen Pullover mit Sahnetorte ruiniert. Deshalb habe ich ihm angeboten, den Pulli zu waschen. Und heute kommt er, ihn abholen. Ich würde es unhöflich finden, ihn an der Tür abzufertigen.«

      »Zwischen Tür und Abendessen gibt es ja noch andere Möglichkeiten, zum Beispiel eine Tasse Tee. Er gefällt dir wohl?«

      »Ja, er ist nett. Und es ist das erste Mal, dass ich nach … nachdem dein Dad nicht mehr da ist, überhaupt einen anderen Mann wahrnehme. Wir leben hier sehr abgeschieden, wie du weißt. Und es ist nicht allein dein Privileg, neue Freunde zu finden.«

      »Er scheint dir ausgesprochen gut zu gefallen, so sehr, wie du euer Rendezvous verteidigst.«

      »Jetzt habe ich aber genug. Davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Und kratze bitte nicht. Das ändert auch nichts.«

      »Wenn du dich mit Freunden treffen willst, lass doch Tante Leslee kommen, die hat wenigstens keinen Schwanz.«

      »Jetzt werde ich aber gleich böse. Du kannst auch allein auf deinem Zimmer essen. Und Tante Leslee kommt in zwei Monaten, damit du es weißt!«

      Als Percy am Abend mit einem großen Blumenstrauß vor der Tür stand, siegte Mitchs Neugier. Er kam adrett zurechtgemacht nach unten, um den Rivalen in Augenschein zu nehmen.

      »Du musst Mitch, der Herr des Hauses sein«, sagte Percy jovial, derweil Janet die Blumen ins Wasser stellte.

      »Ja, seitdem Dad nicht mehr da ist. Und wer sind Sie?«

      »My name is Percy Sutherland, Sir. Aber du darfst mich Percy nennen.«

      »Sehr freundlich, aber ich bleibe bei Mr. Sutherland.«

      »Mitch … Ihr könnt schon zu Tisch gehen«, sagte Janet, als sie mit der Vase und dem Pullover zurückkam. Möchten Sie als Aperitif einen Sherry trinken, Mr. Sutherland?«

      »Nein, danke, vielleicht nachher.«

      »Ihr könnt euch ruhig beim Vornamen nennen und duzen, auch wenn ich dabei bin.«

      »Danke, junger Mann, so weit bin ich eigentlich mit deiner Mutter noch nicht.«

      »Mitch, denke bitte daran, was ich gesagt habe …«

      »Ja, ist ja schon gut.«

      Kurz darauf brachte Janet eine Terrine dampfender Kartoffelsuppe - Mary Queen's Of Scot. Sie tat jedem auf und setzte sich dann dazu.

      »Schon wieder Kartoffelsuppe«, maulte Mitch, »was gibt’s denn als Hauptgericht?«

      »Lamb Cutlet - Lammkotellet mit Minzsoße, geröstete Kartoffeln und Karotten. Und zum Nachtisch Black Bun.«

      »Au fein«, jubelte Mitch, der den dunklen Früchtekuchen besonders mochte.

      »Ja, falls du den heute Abend noch erlebst«, sagte Kate ernst.

      »Sie verwöhnen mich, Mrs. Cameron …«

      »Sagen Sie doch Janet.«

      »Und der Pulli duftet, als hätte er tagelang auf einer Blumenwiese gelegen.«

      »Da hat er aber Glück gehabt, dass keine Kuh draufgekackt hat.« Mitch feixte.

      Janet schlug mit der Hand auf den Tisch, dass das Geschirr klapperte.

      »Lassen Sie nur, Janet. Ich finde, Mitch hat Humor, einen etwas derben, aber er ist durchaus kreativ.«

      In dem Moment klingelte Percys Handy. »Entschuldigung«, sagte er und meldete sich. »Mum, du bist es. Ja, ich bin gut angekommen. Doch, es bleibt wie besprochen. Gute Nacht, Mum. Bis nachher.«

      Mitch grinste breit, was ihm einen bösen Blick von Janet einbrachte.

      »Die Gute, immer in Sorge um mich. Das kann manchmal etwas nerven, aber sie meint es ja nur gut.«

      »Das tun Mütter meistens«, sagte Janet, »möchten Sie noch Suppe?«

      »Nein, danke.«

      »Und du, Mitch?«

      »Ebenfalls danke. Ich will ja noch Platz für den Black Bun haben.«

      »Gut, dann räume ich schnell ab und bringe den nächsten Gang.«

      »Wie geht’s denn in der Schule?«, fragte Percy, als Janet draußen war, »kommst du gut mit?«

      »Ja, ich komme ganz nach meinem Vater. Und Sie, was machen Sie so?«

      »Ich