Norman Dark

Im Schatten der Hexe


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ein. »Sag mir, was du denkst!«, meinte sie.

      »Aus der Ferne betrachtet hätte ich gesagt, es handelt sich um denselben Mann, der sich nur etwas anders frisiert hat, aber du hast ihm ja gegenübergestanden.«

      »Ich sage doch, er hatte stechend blaue Augen, während Percys tiefbraun sind. Die Stimme war zwar so ähnlich, hatte aber ein anderes Timbre. Nein, es müssen wirklich Brüder sein.«

      »Hm«, machte Leslee erneut und schwieg sich für den Rest des Weges aus.

      Etwa vierundvierzig Kilometer von Kinross entfernt lag Leith, ein Vorort von Edinburgh, in dessen Hafen man die ehemalige Königliche Yacht Britannia bewundern konnte. Leith hatte, außer dem Castle, lauten Pubs, schicken Bars am Wasser und einem scheinbar ständig wehenden, scharfen Wind, nicht viel zu bieten. Ein unscheinbares Städtchen, in dem man die Leute, die einen harten Akzent sprachen, als bodenständig bezeichnen konnte und die mit dem Castle im Allgemeinen nicht viel anfangen konnten. Außer der Waterfront und eher nichtssagenden Straßen, gab es etwas, das man nicht einmal in Edinburgh finden konnte – einen Straßenstrich.

      An diesem späten Abend waren kaum Männer zu Fuß unterwegs, da es leicht nieselte. Zusammen mit dem Wind war das sehr unangenehm. Deshalb sah man auch ungewöhnlich wenige „Damen“, die sehr verstreut herumstanden und sich sogleich auf jeden haltenden Pkw stürzten.

      Maira Chisholm, ein blutjunges Ding, das anschaffen ging, um ihre Drogen zu finanzieren, war meistens abgewiesen worden, weil sie einen Lippenherpes aufwies, der kaum zu übersehen war. Den Schatten, dem man kein Geschlecht zuordnen konnte, schien das nicht zu stören. Geduldig lauerte er im Schutz einer dunklen Einfahrt auf eine günstige Gelegenheit. Die kam, als Maira mutterseelenallein dastand.

      »Wie alt bist du?«, fragte eine Stimme, von der man unmöglich sagen konnte, ob sie weiblich oder männlich war.

      Maira antwortete nicht.

      »Noch liegt es in deiner Hand, deinem Leben einen Sinn zu geben. Also solltest du gleich damit anfangen.«

      »Sagt wer? Und was soll die Maskerade? Nimm erst mal deine Kapuze ab, damit ich dein Gesicht sehen kann, wenn du mich anquatschst. Ich bin durchaus in der Lage, mir meine Freier auszusuchen«, bluffte Maira, »und wenn ich einen schlauen Spruch hören will, gehe ich in die Kirche.«

      »Du hattest deine Chance«, schnarrte die Stimme und durchtrennte Mairas Kehle mit einem einzigen Schnitt des scharfen Rasiermessers, das wie aus dem Nichts auftauchte. Was von dem Mädchen übrig blieb, hatte nicht mehr viel Menschliches, als der Schatten ebenso lautlos verschwand wie er gekommen war.

      Am nächsten Tag berichteten der Perthshire Advertiser und die Edinburgh Evening News von dem grausamen Mord an einer minderjährigen Prostituierten in Leith. Ganz in der Manier eines Jack the Ripper war die Leiche schrecklich verstümmelt und nahezu ausgeweidet. Der Täter musste mit unvorstellbarer Kaltblütigkeit aus großem Hass vorgegangen sein. So etwas war in dem Edinburgher Vorort noch nicht vorgekommen. Und wieder wurden Stimmen laut, dem unmoralischen Treiben in dem Städtchen endlich ein Ende zu machen. Der Straßenstrich in der Nähe des Hafens wäre geradezu prädestiniert, allerlei mörderisches Gesindel anzuziehen, hieß es. Eine Forderung, die auch ohne Mord bisher kein Gehör gefunden hatte, und daran sollte sich auch so bald nichts ändern.

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